Süddeutsche Zeitung

40-Meter-Skulptur in Dachau:Sprungschanze am Altstadtberg - das steckt dahinter

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Eine riesige Sprungschanze wird derzeit am Altstadtberg gebaut. Dahinter steckt ein Projekt der Künstlervereinigung Dachau.

Von Gregor Schiegl, Dachau

Seit Jahrzehnten wird über eine Aufstiegshilfe auf den Dachauer Altstadtberg debattiert, über einen Aufzug, über eine Rolltreppe, vielleicht sogar eine kleine Seilbahn, mit der man irgendwann ohne Anstrengung zur Rathausterrasse emporschwebt. Nun könnte man meinen, das Projekt würde endlich in Angriff genommen. In dem bis vor kurzem dschungelartig wuchernden Wald von Essigbäumen am Rathausberg klafft nämlich seit geraume Zeit eine breite Schneise. Sie rührt nicht von den Ziegen her, die zum Behufe der Grünanlagenpflege von der Stadt zum Mampfen abgestellt wurden, sie ist Menschenwerk.

Und die Holzbalken, die im Hang verlegt wurden und nun eine besorgniserregend steile Trasse markieren, zeichnen auch nicht den Verlauf einer künftigen Rolltreppe vor. Was das Ganze werden soll, kann man mittlerweile schon erahnen wegen der rampenähnlichen Holzkonstruktion, die sich kurz vor dem Mühlbach in die Höhe schwingt: eine Sprungschanze, 40 Meter lang, sehr uneben, kurvig und verwegen.

"Es geht um den Absprung", sagt der Erbauer

Planer und Konstrukteur dieses Schelmenstreichs ist Christian Engelmann, Neumitglied der Künstlervereinigung Dachau (KVD), die in diesem Jahr mit der Kunst raus geht in die Stadt und dem Publikum Kunst in seiner schönsten und erstaunlichsten Weise präsentiert. "Raus", so heißt auch diese Freiluftausstellung, und Engelmanns Skulptur - es ist seine bislang größte - passt bestens zum Thema. "Es geht um den Absprung", sagt der 49-Jährige, und natürlich meint er das nicht unbedingt aufs Skispringen bezogen. "Das Thema meiner Arbeit ist Veränderung." Wer in der Kleinstadt groß wird, sucht als junger Erwachsener oft den Absprung. "Das erfordert Mut." Wie bei einem Skispringer, der erst einmal loslassen muss, abwärts rast und dann in eine große Leere springt und nicht so genau weiß, wo er am Ende landet und ob es ihn nicht vielleicht total zerlegt. Aber das ist nur eine von vielen denkbaren Lesarten.

Engelmann will, dass die Leute über dieses Werk aus rund zwei Tonnen Fichten- und Lärchenholz staunen und sich amüsieren. "Ich mag es, wenn die Leute lachen und sich dann ihre eigenen Gedanken machen. Dann habe ich schon 150 Prozent meines Ziels erreicht."

Das Werk trägt den Titel "Haltungsnote"

Engelmann ist ein origineller Kreativer, einer dessen große Kunst darin besteht, Dinge zu bauen, die nicht funktionieren - jedenfalls nicht so, wie sie es nach allgemeinem Verständnis tun sollten. "Ich baue viele kinetische Objekte, die hoch kompliziert sind", sagt Engelmann. So hat er auch schon mal eine interaktive Parkbank konstruiert, die jeden Ruhesuchenden nach exakt einer Minute sanft aber bestimmt abwirft. "Man mag es kaum glauben, aber da war Weltraumtechnik verbaut", sagt Engelmann: ein Dehnungsband wie er auch bei der Ariane-5-Rakete zum Einsatz kommt. Dem Münchner Künstler, der seine ersten beiden Lebensjahre in Dachau verbracht hat, kommt zugute, dass er mal Maschinenbau studiert hat. Das neue Werk mit dem eleganten Titel "Haltungsnote" ist im Vergleich zu früheren Tüfteleien allerdings von recht primitiver Machart: ein rudimentäres, mit Brettern verkleidetes, buckliges Holzkonstrukt. Engelmann gleicht die unruhige Topografie des Rathaushangs nicht aus, sondern nimmt sie bewusst in seine Absprungbahn mit auf; er spielt mit dem Gelände, baut es ein.

Für den dreifachen Familienvater ist "Raus" nach längerer Auszeit wieder mal eine Gelegenheit, sich kreativ zu betätigen. "Ich hatte wahnsinnig Bock auf dieses Kunstwerk." Die Planung war in zwei Tagen erledigt. Doch die Errichtung die Arbeit im Steilhang mit Kletterseil ist anspruchsvoll und schweißtreibend. Betreten darf man die Schanze natürlich nicht, weder mit Skiern noch ohne. Es wird auch niemals Schnee darauf liegen. Nach sechs Wochen, wenn die Freiluftausstellung vorbei ist, muss Engelmann seine Großskulptur wieder abbauen.

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Quelle:
SZ vom 20.07.2019
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