Landgericht München II:Freundschaft mit fatalen Folgen

Landgericht München II: Ein Stapel Akten liegt auf einem Tisch in einem Saal des Landgerichts. (Symbolbild)

Ein Stapel Akten liegt auf einem Tisch in einem Saal des Landgerichts. (Symbolbild)

(Foto: Matthias Balk/dpa)

Ein 32-jähriger Dachauer knüpft Kontakt zu einer Familie. Als er das Vertrauen der Mutter gewonnen hat, vergeht er sich an deren Sohn. Jetzt muss er ins Gefängnis.

Von Andreas Salch, München/Dachau

Noch heute ist Melanie V. (Name geändert) fassungslos und den Tränen nahe, wenn sie darüber nachdenkt, wie sie sich so "in einem Menschen täuschen konnte". Sie habe Schuldgefühle, sagte die 38-jährige Mutter bei ihrer Vernehmung vor dem Landgericht München II. Der Mann, in dem sie sich so sehr täuschte, ist der 32-jährige Holger W. (Name geändert) aus Dachau. Er hat sich an Melanie V.'s heute 13 Jahre alten Sohn vergangen und dessen drei Jahre älteren Bruder dazu gebracht, Alkohol und Drogen zu konsumieren. An diesem Montag verurteilte das Landgericht München II Holger W. zu vier Jahren Haft. Das Urteil nahm er äußerlich völlig regungslos auf. In der Haft will W. eine Sozialtherapie beginnen.

Nachdem das Urteil gesprochen war, sagte der Vorsitzende Richter Martin Hofmann zu Holger W., dass er sich nach Verbüßung seiner Haftstrafe wohl schnell wieder werde integrieren können. Immerhin habe er ja eine gute Ausbildung. Dürfte also kein Problem sein. Und die Opfer? "Ich glaube, dass es die beiden Geschädigten nicht so einfach haben werden", sagte Richter Hofmann zu Holger W. Vor allem der jüngere Sohn von Melanie V., den der 32-Jährige mehrfach sexuell missbraucht hat, werde "wahrscheinlich sein ganzes Leben mit den Vorgängen zu kämpfen" haben, glaubt der Vorsitzende.

Bald schon war Holger W. bei der Familie ständig zu Gast

Holger W. hatte die Vorwürfe schon vor Beginn des Prozesses eingeräumt. Während der Verhandlung hatte er sich bei Melanie V. entschuldigen wollen. Die Mutter antwortete: "Die Entschuldigung nehme ich nicht an." Im Rahmen eines sogenannten "Täter-Opfer-Ausgleichs" hat Holger W. den beiden Opfern bereits jeweils 10 000 Euro überwiesen. Das Geld soll zur "Wiederherstellung des gestörten Rechtsfriedens" beitragen.

2018 hatte Melanie V. Holger W. über ihren Lebensgefährten kennengelernt. Sie kamen gut miteinander aus und verstanden sich. Bald schon war Holger W. bei der Familie ständig zu Gast. "Ich habe ihn als sehr liebevollen Menschen kennengelernt", sagte Melanie V. bei ihrer Aussage. Holger W. wurde zu Familienfeiern eingeladen und sei mit "der Zeit in die Familie reingewachsen", berichtete die 38-Jährige. Sie und ihr Lebensgefährte vertrauten W. Er habe "sehr viele Ausflüge" mit ihren beiden Buben gemacht, so die Mutter und habe sie auch zu sich mit nach Hause genommen. Dem älteren, inzwischen 16 Jahre alten Sohn von Melanie V. brachte Holger W. bei diesen Gelegenheiten dazu, Drogen und Alkohol zu konsumieren.

Ihr Sohn redet nicht viel "über das, was gewesen ist"

Auf ihren jüngsten Sohn habe sich W. regelrecht "eingeschossen", erklärte Melanie V. Ab Anfang 2021 hatten sie und ihr Lebensgefährte nichts dagegen, dass der Bub in der Wohnung von Holger W. übernachtete. Laut Anklage der Staatsanwaltschaft soll W. zu dem damals Elfjährigen gesagt haben, dass er "ihn liebe und eine Beziehung mit ihm wolle". Nachdem der Bub öfters bei W. übernachtet hatte, sei er ihr und ihrem Lebensgefährten gegenüber "wahnsinnig respektlos" geworden, berichtete Melanie V. Den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zufolge kam es zu den sexuellen Übergriffen immer dann, wenn der Bub bei Holger W. zu Besuch war. Als der Angeklagte eigenmächtig "Erziehungsfunktionen" übernommen und ihr in ihre Erziehung "reingegrätscht" habe, sei es zu einem klärenden Gespräch gekommen, erinnerte Melanie V. bei ihrer Vernehmung. Auf ihre Kritik hin habe W. angefangen zu weinen. Was geschah, wenn sich ihre beiden Söhne in der Obhut von Holger W. befanden, erfuhren sie und ihr Lebensgefährte von einer Bekannten des 32-Jährigen im Dezember 2021. Sie berichtete von "Drogen, Alkohol und Küssen". Melanie V. erstattete daraufhin Anzeige bei der Polizei.

Als Richter Martin Hofmann die Mutter fragte, wie es ihrem jüngsten Sohn heute gehe, fing die 38-Jährige an zu weinen. Sie habe das Gefühl, dass er sehr erleichtert gewesen sei, "nachdem alles rausgekommen ist". Doch sonst rede ihr Sohn nicht viel "über das, was gewesen ist", höchstens "ein, zwei Sätze". Bei dem 13-Jährigen wurde eine "posttraumatische Belastungsstörung" festgestellt. Er ist derzeit in einer therapeutischen Wohngruppe untergebracht. Bei einem ihrer Besuche vor Weihnachten habe ihr Sohn gesagt, dass er sich für Holger W. nur eines wünsche - es war nichts Gutes.

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