Helfer in Nepal:"Schränke sind wie leere Kartons durch die Räume gehüpft"

Srefan Wolff

Stefan Wolff von der Heliosklinik in Markt Indersdorf hilft in Nepal, wo er kann.

(Foto: Helios-Amperkliniken AG)

Eigentlich wollte er sich nur in der Ayuverda-Heilkunst weiterbilden - dann kam das Erdbeben. Der Dachauer Facharzt Stefan Wolff hat seinen Urlaub verlängert, um in Nepal zu helfen.

Interview von Wolfgang Eitler

Stefan Wolff ist Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin an der Helios-Amperklinik in Markt Indersdorf. Seit vielen Jahren reist er nach Nepal. Dieses Jahr hatte er geplant, sich in der Ayurveda-Heilkunst fortzubilden, die in Nepal, Indien oder in Sri Lanka als Volksmedizin gilt. Aber es kam ganz anders. Stefan Wolff erzählt im Interview mit der SZ, wie er von dem Erdbeben überrascht wurde, wie die Menschen dort reagierten und sich gegenseitig helfen. Der 45-jährige Arzt engagiert sich seit Jahren für dieses Land und für die Menschen dort. Deshalb haben ihn die Helios-Amper-Kliniken in Dachau und Markt Indersdorf freigestellt. Sie unterstützen mit Rat und Tat, also auch finanziell. Der Indersdorfer Chefarzt Björn Johnson hält den Kontakt mit ihm.

Haben Sie noch Angst?

Stellen Sie sich vor, unter Ihnen schwankt immer wieder leicht der Boden, wie auf hoher See, nur dass Sie auf der Erde stehen und sich nicht über die Reling übergeben können. Mal abgesehen davon, dass Ihnen die Decke auf den Kopf fallen könnte und es zwischendurch wirklich gewaltig bebt.

Wollten Sie nicht sofort nach Hause zurück?

Als das erste mal die Erde bebte, am Samstag, befand ich mich in der Ojus-Ayurveda-Klinik und war als Nicht-Erdbeben-Erfahrener natürlich komplett überrascht, als schon alle Nepali sofort beim ersten leichten Beben aufgesprungen waren. Ich bin dann mit in den Türrahmen und habe mich dort festgekrallt, ein Therapeut der Klinik hat sich dabei eine Innen- und Außenknöchelfraktur zugezogen. Das Beben war so stark, dass er beim Laufen umgeknickt ist und ihm dabei beide Knöchel komplett gebrochen wurden.

Das ist ja unvorstellbar.

Die Naturkräfte sind unvorstellbar: Schränke die man nicht mal mit zwei Menschen anheben konnte, sind wie leere Kartons durch die Räume gehüpft. In dem Viertel, wo ich war, sind einige Häuser komplett eingestürzt. Die ersten vier darauffolgenden Tage waren nicht gerade entspannend: wir haben in dieser Zeit draußen im Freien geschlafen oder sind immer wieder nach draußen gelaufen, wenn es anfing zu wackeln. Das Telefonnetz und Stromnetz waren zusammengebrochen. Die Erde kam einfach nicht zur Ruhe und sie ist es immer noch nicht ganz. Am meisten hat mich die Ungewissheit beschäftigt, ob eines der insgesamt fast 100 Nachbeben wieder in einen so genannten Major Shock ausarten könnte. Viele der hier anwesenden Westler sind verständlicherweise mit angeschlagenem Nervenkostüm vorzeitig abgereist.

Aus Nepal erreichen die Öffentlichkeit vor allem Informationen darüber, dass die Lage sehr bedrückend und die Organisation und die Hilfe chaotisch ist. Wie ist Ihr Eindruck?

Mit unserem westlichen Wertesystem ist der "nepali way of life" nicht zu begreifen: Was für uns chaotisch erscheint ist hier schlicht Alltag. Trotz der Existenz bedrohenden Umstände (die für viele hier in diesem Entwicklungsland Normalität sind) bleiben die Nepalesen gelassen, momentan für meinen Geschmack teilweise etwas zu gelassen, denn es gibt akut viel zu tun, bis mit dem Wiederaufbau begonnen werden kann. Auch dass die Regierung sich nicht wesentlich um eine Verbesserung der Umstände kümmert, kennen die Nepalesen. Es gibt keine Verfassung und keine Demokratie, wie wir sie hier in Deutschland kennen. Korruption ist allgegenwärtig. Darauf ein Rechtssystem aufzubauen, ist wie Häuser auf Treibsand zu bauen.

Wer hilft dann wirklich?

Dagegen habe ich viele Hilfsaktionen in der Bevölkerung beobachten können: Wer Verwandte in einem Bergdorf hat, der organisiert spontan mit anderen Freunden einen Transport mit Nahrungsmitteln, medizinischen Supplies und vieles weitere mehr. Die internationalen Hilfsgruppen sind da meist zu langsam.

"Der Operationssaal läuft fast 24 Stunden durch"

Hilft es Ihnen selbst, dass Sie helfen?

Ich habe meinen Urlaub verlängert, um zu helfen. Da ich seit Jahren im Rahmen unserer Nichtregierungsorganisation, kurz NGO, Akasha Academy Ort und Stelle für die Menschen hier aktiv bin und viele Freunde hier habe, war es für mich selbstverständlich, meinen Freunden beizustehen.

Sie engagieren sich am Kathmandu University Hospital? Wie gelangten Sie dorthin?

Ich hatte bereits Kontakt zu dem Klinikdirektor (Professor Ram Shrestha), um Kooperationen mit unserer Akasha Academy und der Physiotherapieschule zu vereinbaren. Das Dhulikhel Universitätshospital liegt ungefähr 30 Kilometer östlich von Kathmandu und setzt sich schon lange für die Landbevölkerung in den umliegenden Dörfern ein. Um der am meisten betroffenen Landbevölkerung effektiv helfen zu können, habe ich deshalb beschlossen, mit Dhulikhel auch in dieser Krisensituation zusammen zu arbeiten.

Wie sieht Ihre Arbeit aus?

Wir arbeiten momentan hauptsächlich mit unserer NGO in drei konkreten Projekten (Suntakhan, Changu Narayan und Phujel, einem kleinen Dorf bei Gorka) an der Bereitstellung von sauberem Wasser mittels großen Wasserfiltern und von Nahrungsmitteln, Hygiene-Versorgungs-Kits und sicheren, aber schnell installierbaren Unterkünften. Diese müssen dem Monsun standhalten, der hier in spätestens ein bis zwei Monaten einsetzen wird. Wenn die Bergbevölkerung bis dahin keine neuen Unterkünfte hat, werden viele Menschen vom Monsun sprichwörtlich weggespült werden.

Wie reagieren Ihre nepalesischen Kollegen auf Ihre Hilfe? Die Verständigung mit den Menschen, den Ärzten und den Pflegekräften dürfte sich schwierig gestalten.

Die Ärzte in Dhulikhel und anderen Krankenhäusern hatten nach dem Beben die darauffolgenden Tage durchgearbeitet und Bereitschaftsdienst gehabt; nachts gab es maximal vier bis fünf Stunden Schlaf mit Unterbrechungen. Ausnahmezustand. Unterstützung und Hilfe wurde dankend angenommen. Meine Erfahrung ist, dass Nepalis sich über fachlichen Austausch freuen und ihr Wissen auch gerne weitergeben.

Erzählen Sie bitte an einem Beispiel, wie ein Tag in der Klinik ausschaut.

Morgens Frühbesprechung mit Klinikdirektor, Ärzten, leitenden Schwestern, Kommunikationsmanager und internationalen Rescue-Teams. Danach gehen alle ihren Aufgaben nach. Der Operationssaal läuft fast 24 Stunden durch. Triage, also die Beurteilung der Patienten nach Schweregraden, erfolgt unter einem Zeltdach vor der Klinik, danach werden die Patienten ihrer Behandlungspriorität nach in den jeweiligen Bereichen behandelt (Intensivstation, Emergency, OPD (Ambulanz), OP). Die internationalen Rescueteams schwärmen vormittags mit einheimischer Unterstützung aus und kommen meist erst spät am Abend zurück, je nach Einsatz sehr unterschiedlich.

Was brauchen die Menschen, die Kliniken dort am meisten?

Die Menschen hierzulande teilen unheimlich gern - ihre Begeisterung für etwas, ihre Spiritualität, aber auch ihre Sorgen und Ängste - und so helfen sie sich gegenseitig, wo immer es möglich ist. Neben all den finanziellen und materiellen Dingen helfen wir ihnen vor allem auch mit eben solcher Herzlichkeit und Mitgefühl. Ganz generell für die internationalen Helfer empfiehlt es sich, auf die Einheimischen zu hören und sie in die Hilfsmaßnahmen einzubeziehen. Sie wissen oft am besten, wo die Not am größten ist. Was wir aus dem Westen hier mit einbringen können, ist das Konzept der Nachhaltigkeit und eine transparente geordnete Vorgehensweise.

Ist es sinnvoll, die Klinik, an der Sie helfen, auch direkt zu unterstützen?

Die großen Kliniken wie Dhulikhel sind zum Glück seit einigen Tagen im Fokus der großen Hilfsorganisationen (Malteser, Johanniter und weitere) und erhalten hier bereits viel Unterstützung. Es ist sicher keine Verschwendung, dorthin zu spenden. Wichtiger ist es jedoch, die kleinen Hilfsorganisationen zu unterstützen, die oft entstanden sind aus persönlichen Kontakten zwischen Nepalis und beispielsweise Europäern. Viele Westler, denen Nepal und deren liebenswürdige Menschen ans Herz gewachsen sind, sammeln Spenden in Deutschland und Europa und bringen die Gelder persönlich nach Nepal und investieren in die Ausbildung von Kindern oder Förderung von Kulturprojekten. Auf betterplace findet sich eine ganze Reihe dieser Organisationen.

Stefan Wolff empfiehlt, sich im Internet über Unterstützungsangebote für Nepal zu informieren: Auf betterplace.org ist eine Auswahl an Hilfsprojekten entstanden, die lokal und schnell helfen können. Er persönlich unterstützt das Projekt von Long Yang e.V.. Er sagt: "Wir stellen sicher, dass alle Spenden und Sachmittel dort hinkommen, wo sie benötigt werden."

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