Süddeutsche Zeitung

Schlosskonzert:Feuriges Divertimento

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Das "Hungarian Chamber Orchestra" begeistert im Dachauer Schlosssaal mit ungarischer Musik. An einer Stelle wirkt das Orchester etwas blass, später lässt es die Zuhörer in alten Zeiten schwelgen.

Von Adolf Karl Gottwald, Dachau

Der "Pflege der ungarischen Streichertradition und der Verbreitung ungarischer Musik" widmet sich das 2011 gegründete "Hungarian Chamber Orchestra", das am Samstag im Rahmen der Dachauer Schlosskonzerte (wieder) auftrat. Das lässt - einer unverwüstlichen Ungarn-Klischeevorstellung entsprechend - feuriges, temperamentvolles Musizieren auf sehr hohem spieltechnischen und musikalischen Niveau erwarten, erfahrungsgemäß betrifft das auch die Barockmusik.

Doch das Konzert des "Hungarian Chamber Orchestra" im Dachauer Schloss begann ganz anders. Das Ensemble spielte ein "Quintetto Concertant" von Michael Haydn, dem seinerzeit in Salzburg tätigen jüngeren Bruder des großen Joseph Haydn. Michael Haydn, der sogar von Franz Schubert hochverehrte Meister, schrieb sehr gediegene Musik im Stil der Zeit, und so führte sie auch das "Hungarian Chamber Orchestra" auf, also gediegen und freundlich zurückhaltend. Der zweite Satz ist von sich abwechselnden Soli der Ersten Violine und der Solobratsche zum Pizzicato, also dem Zupfen der Saiten, der hohen Streicher bestimmt. Auch im Trio des Menuetts tritt die Bratsche solistisch hervor, aber ohne großartige solistische Attitüde. Solisten und Orchester spielten - der kammermusikalischen Faktur dieser Musik entsprechend - zurückhaltend, eben musikalisch gediegen.

Das änderte sich schlagartig mit dem Auftreten der chinesischen Pianistin Sa Chen und ihrer Interpretation des Konzerts d-Moll für Cembalo und Streicher von Johann Sebastian Bach. Allerdings ist die Bezeichnung "von Johann Sebastian Bach" nicht ganz korrekt, denn Bachs Klavierkonzerte sind allesamt Bearbeitungen von Violinkonzerten fremder, meist unbekannter Herkunft.

Die zarte Pianistin setzte sich an den großen Steinway-Flügel und legte mit sehr hartem Anschlag los, laut und gestochen scharf - fast zum Erschrecken. So viel Kraft hätte man ihr gar nicht zugetraut. Im Verlauf dieses konsequent als Klavierkonzert interpretierten Cembalokonzerts, aus dem man die virtuosen Violinpassagen seiner Vorlage noch heraushören kann, spielte Sa Chen differenziert - doch immer wieder so gestochen scharf, als ob sie die Töne aus einer Stahlplatte herausstanzen müsste. Danach stellten sich wohl viele Zuhörerinnen und Zuhörer die Frage: Wird Sa Chen auch an das Mozart-Klavierkonzert, das nach der Pause folgt, so hart herangehen?

Béla Bartók war bei den Dachauer Schlosskonzerten einst häufig zu hören

Auf dem Programm stand das Konzert für Klavier und Orchester in Es-Dur KV 499. Mozart schrieb dieses Konzert für seine Schülerin Barbara Ployer und sagte, dass es auch "a quattro ohne Blasinstrumenten gemacht werden kann". In dieser Fassung bekam man es im Dachauer Schloss zu hören. Sa Chen spielte ihren Part vortrefflich, klanglich differenziert in musikalisch sehr überzeugenden Tempi. Das heißt: Ohne die heutzutage üblichen Verzerrungen der Musik, wenn Musiker etwa zu Geschwindigkeitsrekorden neigen. Ihr sehr klarer pianistischer Anschlag machte die Musik durchsichtig und deren Strukturen für die Zuhörer erfassbar. Die Härte des Anschlags von Sa Chen war nur an einigen wenigen Stellen bemerkbar. Zwar wirkte das begleitende Orchester, ohne die von Mozart hinzugefügten Bläser - je zwei Oboen und Hörner - etwas blass. Doch bei der Wiedergabe des "Divertimento für Streichorchester" des ungarischen Komponisten Bela Bartok zeigte das Orchester seine immense musikalische, klangliche und spieltechnische Qualität.

Diese äußerst anspruchsvolle Musik nannte der Komponist bescheiden "Divertimento", zu deutsch unterhaltendes Musikstück. Es ist das letzte in Europa begonnene und in Basel uraufgeführte Werk Bartóks. Diese Unterhaltung ist eine hochkomplizierte Komposition, die von einem barocken Concerto grosso ausgehend - man kann den Wechsel zwischen Solistengruppe und Tutti deutlich heraushören - und sich rhythmisch sowie klanglich höchst raffiniert entwickelt. Die mitreißende Aufführung ließ ältere Konzertbesucher wohl mit Wehmut an die Zeit denken, als Musik von Béla Bartók noch oft gespielt wurde und bei den Dachauer Schlosskonzerten relativ häufig zu hören war. Bei der Zugabe begeisterten die Künstlerinnen und Künstler auf der Bühne mit ungarischer Musik, so hinreißend gespielt, wie man das von einem ungarischen Orchester erwartet.

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