Es ist eine fast unwirkliche Szenerie: Cello- und Klaviertöne schweben pianissimo zur prachtvollen Renaissance-Decke im großen Festsaal des Dachauer Schlosses. Dann setzt eine hinreißende Sopranstimme ein: "Schtsche ne wmerla Ukrajiny - Noch ist die Ukraine nicht gestorben" singt sie. Die Zuhörer erheben sich, bleiben fast reglos stehen, Stimme und Instrumente - nun kraftvoll, mutig, unbeugsam, voller Hoffnung: "Noch sind der Ukraine Ruhm und Freiheit nicht gestorben, noch wird uns lächeln, junge Ukrainer, das Schicksal."
So heißt es in der ukrainischen Nationalhymne, die den Auftakt zum Benefizkonzert für Frieden und Freiheit am Mittwochabend im Dachauer Schloss bildet. Nicht wenigen Menschen stehen Tränen in den Augen, sie denken an all die, die gerade in dem geschundenen Land ums Überleben kämpfen. Man könnte sich verlieren in dieser Symbiose von großer Kraft und Seelenstärke, mit der Sopranistin Susanne Müller, Cellist Guido Schiefen und Pianist Markus Kreul ein buchstäblich unüberhörbares Zeichen der Solidarität setzen.
Das Programm überzeugte vom ersten bis zum letzten Ton
Geplant war das Konzert eigentlich als Abschluss des Europäischen Musikworkshops Altomünster (EUMWA), der aber heuer bereits zum dritten Mal ein Corona-Opfer geworden war. Kurzerhand widmeten Kreul, Organisatorin Claudia Geisweid und die Marktgemeinde Altomünster das Meisterkonzert zum Benefizkonzert um, Dozenten und Teilnehmer früherer EUMA-Workshops sagten spontan ihre Teilnahme zu. Ihr mit großer Sensibilität ausgewähltes Programm überzeugte das Publikum vom ersten bis zum letzten Ton.
Guido Schiefen und Markus Kreul spielten nach der ukrainischen Nationalhymne das beängstigende und bedrückende Largo aus der "Sonate für Cello und Klavier" von Dimitri Schostakowitsch mit unglaublicher Intensität. So blitzten immer wieder Bilder von marschierenden Soldaten, von verzweifelten, wütenden, trotzigen Frauen und Männern vor dem inneren Auge auf. Wunderschön und voller tröstlicher Momente waren drei Lieder von Sergej Rachmaninoff, gesungen von der fabelhaften Susanne Müller und kongenial am Flügel begleitet von Ayla Schmitt.
Saxofonistin Maira Thomas und Pianist Stefan Pitz brachten mit Eugène Bozzas "Aria" und dem ersten Satz aus Erwin Schulhoffs "Hot-Sonate" perlenden Lebensmut ins Schloss. Nino Gurevich, Ayla Schmitt und Markus Kreul zeigten, wie wunderbar eine Rachmaninoff-Romanze klingt, wenn drei Könner ihres Fachs sie gemeinsam an nur einem Flügel spielen. Die anschließende "Polka de W.R". war ein echtes Kontrastprogramm, bei dem Nino Gurevich mit ihren Fingern in rasender Geschwindigkeit über die Tasten raste.
Mittelpunkt des Abends - und eine wahre Entdeckung - war "Melody" des ukrainischen Komponisten Miroslav Skoryk. Der bereits vielfach ausgezeichnete junge Geiger Tassilo Probst spielte, begleitet von Pianist Kreul, dieses zauberhafte Werk mit berückender Tiefe und Eleganz. Harfenistin Barbara Eckmüller brachte mit "Chanson de Mai" von Alphonse Hasselmanns Leichtigkeit in den Schlosssaal. Träumerisch-empfindsam und zum Dahinschmelzen schön spielten Tassilo Probst und Harfenistin Eckmüller die bekannte "Meditation" von Jules Massenet. Sopranistin Müller, Saxofonistin Thomas und Pianist Pitz befeuerten mit George Gershwin's "Dream with me tonight" diesen wunderbaren Schwebezustand zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Das so perfekt aufeinander eingestimmte Duo Schiefen/Kreul setzte den musikalischen Schlusspunkt mit dem mystisch-entrückten "Louange à l'éternité de Jesus - Lob auf die Ewigkeit Jesu" aus Olivier Messiaen's Quartett über das Ende der Zeit.
Es ist nicht vermessen zu schreiben, dass dieser Konzertabend mit seinem stimmigen Programm und den hochkarätigen Solisten, die das Publikum im gut besetzten Schlosssaal mit frenetischem Applaus feierte, ein Lob auf das ewige Geheimnis der Musik war. Musik macht sichtbar, was Worte nicht sagen und Bilder nicht wiedergeben können. Musik hat an diesem Abend aufgewühlt und getröstet. Sie hat die Grausamkeit des Krieges gezeigt und Hoffnung auf bessere Tage gemacht. Dieses Benefizkonzert war aber noch aus einem weiteren Grund ein ganz besonderes: Auf der Bühne und im Publikum fanden Musiker und Musikfreunde wieder zusammen, die sich zum Teil seit vielen Jahren durch den EUMWA kennen- und schätzen gelernt haben. Diese Wiedersehens- und Wiederhörensfreude war so etwas wie ein wärmender Mantel in diesen gefühlt eiskalten Zeiten. "Musik ist die einzige Sprache, die jeder verstehen kann. Sie baut Brücken und zerstört sie nicht, so wie es gerade in der Ukraine geschieht", sagte Stefan Pitz. Dem ist nichts hinzuzufügen.