Amtsgericht Dachau:"Ich hatte das Gefühl, noch fahrtüchtig zu sein"

Amtsgericht Dachau: Einsatzfahrzeuge des BRK in der Wache: Ein Rettungswagen wie dieser wurde von einem Auto in Dachau gerammt und kippte anschließend um.

Einsatzfahrzeuge des BRK in der Wache: Ein Rettungswagen wie dieser wurde von einem Auto in Dachau gerammt und kippte anschließend um.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Ein 18-jähriger Dachauer rammt betrunken einen Rettungswagen. Dabei werden die Insassen seines Autos und zwei Rettungssanitäter verletzt - einer von ihnen hat immer noch Angstzustände. Vor Gericht zeigt der Angeklagte Reue.

Von Anna Schwarz, Dachau

Diese Nachtschicht im August hat Spuren bei dem Rettungssanitäter hinterlassen. Noch immer ist der 37-Jährige in psychologischer Behandlung und bekommt Angstzustände, wenn er an die Kreuzung in Dachau kommt, wo sein Rettungswagen gerammt wurde und danach umgekippt ist. Schuld an dem Unfall ist ein 18-Jähriger Dachauer, der mit dem Firmenwagen seines Onkels über eine rote Ampel gefahren ist und dabei Alkohol im Blut hatte. Am Donnerstag musste er sich vor dem Amtsgericht Dachau verantworten: wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs und fahrlässiger Körperverletzung in fünf Fällen.

Auf der Anklagebank saß der 18-jährige Auszubildende in Jeans, schwarzem Pulli, weißen Turnschuhen und mit gefalteten Händen. Die Staatsanwältin warf ihm vor, in der besagten Augustnacht gegen 3 Uhr die rote Ampel an der Kreuzung Theodor-Heuss-/Schleißheimer Straße überfahren und dabei den BRK-Rettungswagen seitlich gerammt zu haben, der gerade Grün hatte. Nach dem Unfall wurde bei dem Angeklagten ein Alkoholwert von 0,67 Promille im Blut festgestellt - obwohl er als Fahranfänger keinen Tropfen Alkohol trinken darf. Bei dem Unfall erlitten seine drei Mitfahrer im Auto mehrere Brüche und eine Gehirnerschütterung. Auch die beiden Insassen im Rettungswagen wurden verletzt, vor allem der 37-jährige Rettungssanitäter. Der Rettungswagen war unterwegs auf einer Leerfahrt vom Krankenhaus zurück zur BRK-Wache nach Oberschleißheim, an dem Fahrzeug entstand ein Sachschaden in Höhe von 70 000 Euro.

"Die Tat geht gar nicht, ich muss jetzt dafür geradestehen."

In der Verhandlung räumte der 18-Jährige die Tat ein. Er sei an dem Abend in einer Bar in München gewesen, habe dann Freunde in Karlsfeld abgeholt und sie seien gemeinsam nach Dachau gefahren. Auf die Frage des Richters Christian Calame, wie viel Alkohol er in der Bar getrunken habe, sagte der 18-Jährige, ein Glas Whiskey, sonst trinke er eigentlich nie Alkohol. Calame bezweifelte, dass es nur bei einem Glas geblieben ist. Später erklärte der Angeklagte, dass ihm zwar schwindelig gewesen sei: "Aber ich hatte nicht das Gefühl, fahruntüchtig zu sein. Trotzdem war es eine blöde Entscheidung." Nach dem Unfall musste er seinen Führerschein abgeben und seinem Onkel beichten, dass dessen Firmenwagen Schrott ist, Sachschaden: 20 000 Euro.

Als Zeuge geladen war auch der Rettungsassistent, der bei dem Unfall leichte Verletzungen am Schienbein erlitt. Im Verhandlungssaal entschuldigte sich der Angeklagte bei ihm und sagte mit glasigen Augen: "Die Tat geht gar nicht, ich muss jetzt dafür geradestehen." Er bot dem Rettungssanitäter 850 Euro Schmerzensgeld an, das er monatlich mit seinem Azubigehalt abstottern wolle. "Das nehme ich gerne an", sagte der Rettungsassistent.

Opfer spürt Schmerzen noch ein halbes Jahr nach dem Unfall

Besonders schwer verletzt wurde sein Kollege, der Sanitäter am Steuer des Rettungswagens. Vor Gericht sagte er, dass er bei dem Unfall ein Schleudertrauma erlitten und dadurch lange Zeit Nacken- und Kopfschmerzen gehabt habe. Auch ein halbes Jahr später leidet er noch unter den Unfallfolgen: "Die Kopfschmerzen sind besser, aber sie sind immer noch da." Außerdem sei er beim Autofahren immer noch verunsichert und habe Sorge, dass er ein von rechts kommendes Fahrzeug übersieht. Nach dem Unfall hat er sich in psychologische Behandlung begeben. Wenn er heute an der Unfallkreuzung steht, habe er noch immer "ungute Gefühle". Auch bei ihm entschuldigte sich der Angeklagte und bot ihm Schmerzensgeld in Höhe von 2000 Euro an. Der Rettungssanitäter nahm es vorerst nicht an: "Ich will das noch mit meinem Anwalt besprechen", sagte er.

Karl Hartmann von der Jugendgerichtshilfe schlug vor, bei dem Prozess Jugendstrafrecht anzuwenden, weil der Angeklagte zum Tatzeitpunkt erst 18 Jahre alt und sich in einer "gruppendynamischen Situation" mit seinen Mitfahrern befand. Als Strafe plädierte er für Sozialstunden und gegen eine Geldauflage, da der Angeklagte für die hohen Unfallschäden aufkommen müsse.

"Sie werden noch einige Zeit an dem Unfall zu knapsen haben."

Die Staatsanwältin willigte ein Jugendstrafrecht anzuwenden und beurteilte positiv, dass der Angeklagte Reue gezeigt und Schmerzensgeld angeboten habe. Zu Lasten legte sie ihm, dass der Sachschaden erheblich war und bei dem Unfall fünf Menschen verletzt worden sind. Zudem sei der Dachauer schon vor dem Unfall dreimal negativ im Straßenverkehr aufgefallen - obwohl er den Führerschein erst seit rund einem Jahr hatte: Zwei Mal wegen Fahrens mit erhöhter Geschwindigkeit und ein Mal, weil er ohne Begleitperson fuhr. Als Strafe forderte sie 72 Sozialstunden und verlangte, dass der Angeklagte die Verfahrenskosten trägt. Zudem plädierte sie für eine Führerschein-Sperrfrist von einem Jahr.

Richter Calame verhängte eine Führerschein-Sperrfrist von zehn Monaten und 72 Sozialstunden, die der Angeklagte innerhalb von drei Monaten bei der Brücke Dachau ableisten muss. In seiner Urteilsbegründung sagte der Richter, dass der Angeklagte Glück gehabt habe, dass er nicht das Fahrerhaus des Rettungswagens gerammt habe - dadurch hätten die beiden Insassen sterben können. Der Tatbestand wäre dann fahrlässige Tötung unter Alkoholeinfluss gewesen und dem Angeklagten hätte sogar eine Haftstrafe gedroht. Letztlich habe sich Calame gegen eine Geldauflage entschieden, weil auf den 18-Jährigen noch hohe Schmerzensgeld- und Schadensersatzzahlungen zukommen: "Sie werden noch einige Zeit an dem Unfall zu knapsen haben", sagte er in Richtung des Verurteilten.

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