Süddeutsche Zeitung

Fridays for Future:Rentner will Schülerdemos für Klimaschutz nach Dachau holen

Bernfried Lewandowski, 78, wünscht sich, dass auch in Dachau Schüler freitags für Klimaschutz auf die Straße gehen. Schließlich kann er mit seinem Rollator nicht bis nach München fahren.

Von Dajana Kollig, Dachau

Bernfried Lewandowski will für Klima- und Umweltschutz demonstrieren. Es gibt nur ein Problem: Der 78-jährige Dachauer ist auf den Rollator angewiesen, weshalb für ihn der Weg nach München zu den Demos der Schülerbewegung "Fridays for Future" kaum zu überwinden ist. Doch der Rentner, der seinen Rollator liebevoll "Fridolin drei" getauft hat, lässt sich davon nicht entmutigen, er sieht es eher so: Wenn er nicht zu der Demo kommen kann, dann muss die Demo eben zu ihm kommen.

Bernfried Lewandowski will sich dafür einsetzen, dass auch in Dachau bald Schüler im Rahmen von "Fridays for Future" für Umweltschutz demonstrieren. "Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut". Unter diesem Motto gehen seit einem halben Jahr Schüler weltweit jeden Freitag auf die Straßen, um gegen die Klimapolitik der Regierung zu protestieren und die Einhaltung der 1,5 Grad Grenze zu fordern. Die Kinder und Jugendlichen bezeichnen es als "Klimastreik", da sie freitags nicht zur Schule, sondern auf die Demos gehen. Dachauer Schüler müssen zum Streiken bislang nach München fahren. Wenn es nach Lewandowski geht, soll sich das bald ändern.

Der Rentner möchte die Bewegung in Dachau anregen

"Die Schüler imponieren mir", sagt der Rentner, "da kommt dieses junge Mädchen aus Schweden und löst eine solche Bewegung aus." Er wünscht sich, dass die Streiks auch in der Großen Kreisstadt stattfinden, da er mit seinem Rollator nicht mehr nach München kommt, und gerne mitdemonstrieren würde. Hierfür hat er bereits bei Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) angefragt, bislang habe er aber keine persönliche Antwort erhalten. Er habe nur eine Nachricht bekommen, erzählt der Rentner entrüstet. Man habe ihm vorgeschlagen, er könne ja einen Antrag für eine Demonstration beim Landratsamt stellen. "Ich will doch selbst keine Demonstration anmelden", erklärt er. "Ich will nur, dass den jungen Leuten die Gelegenheit geboten wird, und dann fragen, ob ich eventuell mitgehen könnte." Lewandowski möchte die Bewegung in Dachau anregen, nicht selbst organisieren.

Seit einigen Jahren wohnt Lewandowski in einem Dachauer Reihenhaus. Es riecht nach Putzmittel, auf dem Tisch steht ein Strauß rosafarbener Rosen. Nicht gerade das, was man sich unter dem Wohnsitz eines Regierungskritikers vorstellt. Dennoch, wenn es nach ihm ginge, würde Lewandowski den Rathausplatz am Freitagvormittag sperren lassen. Außerdem findet er, die Schulen dürften sich nicht so gegen die Demonstrationen stellen, wie sie es seiner Meinung nach derzeit tun würden. "Schulstoff kann man nachholen", meint der ehemalige Informatik-Professor, "aber wenn nicht bald etwas beim Thema Klimaschutz passiert, ist es zu spät." Er versteht, dass Lehrer die Schüler nicht von der Schulpflicht befreien dürfen, aber "man könnte sich ja einfach still und heimlich wundern, wo all die Schüler nach der Pause hingekommen sind".

Dem widerspricht Peter Mareis. Der Schulleiter des Joseph-Effner-Gymnasiums sagt, keiner der Schüler, die an den Demonstrationen teilnehmen, hätte Ordnungsmaßnahmen zu befürchten. Dass die Schüler bislang lieber nach München fahren, als selbst in Dachau aktiv zu werden, erklärt sich der Rektor mit dem Sog der großen Demonstrationen in der Landeshaupt. Dort sei auch die mediale Wirkung größer, glaubt Mareis.

Lewandowski war als Schüler selbst politisch aktiv. Mit 17 reiste er durch Deutschland und warb für die europäische Einigung. 1989 trat er der SPD bei, und 1994 wieder aus. "Ein unglaublicher Sauhaufen" nennt er die Partei heute. Aber auch an den übrigen deutschen Parteien lässt er kein gutes Haar, die Politik sei generell von "Egoisten und Egozentrikern" geprägt. Am ehesten sympathisiere mit den Grünen, gleichwohl müsse man erst mal sehen, wie die Grünen mit politischer Verantwortung umgehen könnten. Der Schutz der Umwelt liegt Lewandowski schon immer am Herzen. Privat versucht er, möglichst wenig zu fliegen und Plastik zu vermeiden. Dennoch möchte er dafür plädieren, auch die sozialen Aspekte bei der Frage des Klimaschutzes zu beachten. Die Schere zwischen Arm und Reich gehe immer weiter auseinander. Lewandowski nennt die Steuerflucht amerikanischer Internetriesen, die Reichensteuer. Im Grunde holt der 78-Jährige im Gespräch zu einem Rundumschlag gegen den Kapitalismus aus, zitiert Marx und Lenin, und poltert gegen die Politik der "schwarzen Null", welche die Regierung verfolge.

Wenn die Demo auch nach Dachau kommt, wird Lewandowski dabei sein

Von der aktuellen Klimapolitik hält er genauso wenig, Elektroautos sind für ihn ein Irrweg, und bei den Nachrichten aus dem Braunkohlewerken der RWE "stellen sich mir die Haare auf". Seiner Meinung nach drücken Politik und Landwirtschaft beim Klimaschutz beide Augen zu. Die Menschen müssten endlich verstehen, "dass wir keinen Planet B haben", sagt er.

Immer wieder betont er, wie stolz er auf die Schüler sei, weil sie sich gegen die aktuelle Politik stellen würden. "Endlich hat mal jemand deutlich gemacht, dass es so nicht weitergeht", sagt er. "Für mich persönlich ist die Entwicklung wurst, aber ich habe Kinder, für welche die Welt erhalten bleiben soll."

Klimakonferenz

Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) plant für den kommenden Herbst eine Umwelt- und Klimakonferenz für Jugendliche und junge Erwachsene, die jünger als 25 Jahre sind. Das hat die Stadt am Donnerstag mitgeteilt. Auf diese Weise wolle der OB die Sicht der jungen Generation auf die aktuellen Herausforderungen beim Umwelt- und Klimaschutz in den Fokus rücken und Möglichkeiten diskutieren, "welche Maßnahmen auf lokaler Ebene zum Umwelt- und Klimaschutz ergriffen werden können", heißt es in einer Pressemitteilung.

Bei den Fridays for Future-Demonstrationen habe ein großer Teil der jungen Generation von der Politik gefordert, konkrete und wirksame Maßnahmen für den Klimaschutz einzuleiten. "Oberbürgermeister Florian Hartmann nimmt diese Forderung ernst und möchte den jungen Menschen die Gelegenheit geben, ihre Vorstellungen zu äußern." Bei der Konferenz soll der Blick ganz klar auf der lokalen Ebene liegen. "Es bringt hier vor Ort nichts, wenn wir über globale oder nationale Maßnahmen diskutieren, auf die die Lokalpolitik keinen Einfluss hat. Aber wir können hier vor Ort etwas tun", so Hartmann.

Außerdem solle auf der Konferenz nicht nur über Klimaschutz gesprochen werden, sondern auch über Umweltschutz im Allgemeinen. Artenschutz, Feinstaubbelastung, ökologische Energieproduktion und Mobilität, Abfallvermeidung sowie der Erhalt von natürlichen Flächen sollen ebenfalls diskutiert werden. Auch hier gebe es Möglichkeiten, auf lokaler Ebene einen Beitrag zum Umweltschutz zu leisten. "Ziel der Konferenz soll nicht sein, einen utopischen Forderungskatalog zusammenzustellen, sondern realistische und umsetzbare Maßnahmen zu ergreifen." sz

Ob die Demonstrationen gegen die Klimapolitik der Regierung nach Dachau kommen, hängt laut Wolfgang Reichelt, Pressesprecher des Landratsamtes, maßgeblich von der Initiative der Bürger ab. "Wer demonstrieren möchte, hat da natürlich ein Grundrecht dazu", sagt er. Nur anmelden muss derjenige seine Veranstaltung. Versammlungen unter freiem Himmel müssen bis zu 48 Stunden vor Beginn gemeldet werden. Bislang sei aber beim Landratsamt keine Anzeige für eine Demonstration im Rahmen "Fridays for Future" eingegangen.

Wenn die Bewegung auch nach Dachau kommt, wird Lewandowski dabei sein. Er und sein Rollator "Fridolin drei". "Diese Streiks sind eine Chance für uns", meint er, "vielleicht die letzte, die uns noch bleibt."

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Quelle:
SZ vom 19.07.2019
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