Süddeutsche Zeitung

Dachau:Alltagsrassismus hat viele Gesichter

Bei einer Podiumsdiskussion im Thoma-Haus erzählen Menschen mit Migrationshintergrund, wie sie in ihrem Umfeld Ausgrenzung und Respektlosigkeit erleben. Wie nicht von Rassismus betroffene Weiße in diesen Situationen helfen können? Hinschauen und Einschreiten.

Von Walter Gierlich, Dachau

Was macht das wohl mit einem Kind, wenn eine Lehrerin einen Schulanfänger so vorstellt: "Das ist Hakan, der ist nicht normal, der ist Ausländer." Passiert ist das in der Grundschule einer niederbayerischen Marktgemeinde Hakan Özcan, dem Sohn eines türkischen "Gastarbeiters". Er hatte das Glück, dass seine Eltern ihn bestärkten und Wert auf gute Bildung legten. Heute ist Özcan Rektor der Karlsfelder Mittelschule, die von Kindern und Jugendlichen aus 40 Nationen besucht wird. Er ist am Donnerstagabend einer der Teilnehmer an der Podiumsdiskussion der Veranstaltung "Rassismus im Alltag? Doch nicht bei uns" im Thoma-Haus.

Peter Heller, Sprecher des Veranstalters "Runder Tisch gegen Rassismus", erklärt den etwa 80 Besuchern, dass das Thema "mehr hergibt, als wir uns alle wünschen". Bekräftigt wird diese Ansicht von Carmen Buschinger, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle der Stadt Augsburg. "Rassismus erscheint uns heute allgegenwärtig", sagt sie in ihrem Referat zum Einstieg in das Thema. Alltagsrassismus habe viele Gesichter und sei nicht immer leicht zu erkennen. Er reiche von der Frage nach der vermeintlichen Herkunft anders aussehender Menschen über Beleidigungen auf dem Sportplatz bis zu Nachteilen bei Wohnungs- oder Arbeitssuche. Aber auch im Nichtbeachten von Menschen kann sich Alltagsrassismus zeigen. Grundsätzlich gelte in unserer Gesellschaft: "Während die einen die Wahl haben, ob sie sich mit Rassismus auseinandersetzen wollen, sind andere ihm ausgesetzt, ob sie wollen oder nicht." Diskriminierung führt oft zu persönlicher Schwächung, Traurigkeit und Stress bis hin zu Depression. Was können nicht betroffene Weiße dagegen tun? "Hinschauen, handeln, den People of Colour zuhören, auch wenn sie frustriert oder wütend sind", sagt Buschinger.

Frustriert sind offensichtlich viele gewesen, wie drei Menschen mit Migrationshintergrund in der Podiumsdiskussion unter Leitung des Mediators und Coaches Markus Weinkopf berichten. Hakan Özcan, der gebürtige Niederbayer, erzählt eine Geschichte von seinem Gymnasium, wo er der einzige in der Klasse mit ausländischer Herkunft war. Ein Lehrer habe dort seinen Nachnamen ständig absichtlich falsch ausgesprochen und auf Richtigstellung nicht reagiert. Später, als er im Studium täglich mit dem Zug zur Universität nach Regensburg fuhr, wurde er dauernd als einziger von Bundespolizisten kontrolliert. Genauso sei es ihm in einem CD-Laden ergangen, in dem er sich mit einem blonden Freund aufhielt. Er - und nur er - wurde vom Ladendetektiv des Diebstahls verdächtigt.

Lida Ansari ist vor 22 Jahren aus Afghanistan geflüchtet. Sie begann im Alter von Mitte Dreißig und als dreifache Mutter eine Ausbildung als Erzieherin. Rassismus erlebte sie dabei etwa, als niemand von ihren Mitschülerinnen mit ihr zusammen ein Referat halten wollte. "Die hatten Angst, dass ich das versaue." Noch schlimmer für sie war die Aussage einer Lehrerin: "Lassen Sie's, Sie schaffen die Probezeit sowieso nicht." Das müsse man erst einmal verdauen, sagt sie. Doch zum Glück hatte sie eine gute Freundin, die sie unterstützt und bestärkt hat. So habe sie beschlossen: "Ich schaffe das." Und das gelang ihr, heute leitet sie eine Kindertagesstätte in Dachau. Doch auch im Beruf ist es manchmal schwierig für sie. Wenn Erzieherkolleginnen oder Eltern sie als Kita-Leitung nicht akzeptierten, dann seien diese einfach an der falschen Adresse, erklärt sie selbstbewusst.

"Die Ausländer waren's"

Jamshid Sharifi, dessen erste Station nach der Flucht aus Afghanistan in Deutschland eine Traglufthalle mit circa 300 Bewohnern war, erlebte dort erstmals Rassismus. Er ging nur kurz zum Luftschnappen hinaus, als ein Auto vorbeifuhr und der Fahrer ihm den Mittelfinger zeigte. Später hat er Diskriminierung und Anfeindungen in der Schule, der Arbeit und in der S-Bahn immer wieder erlebt. In der Berufsschule etwa, als es Beschädigungen der Toilette gab, sagten die deutschen Mitschüler dem Direktor sofort: "Die Ausländer waren's." Was nicht stimmte und glücklicherweise auch geklärt wurde. Durch solche Erlebnisse entstünden Minderwertigkeitsgefühle, sagt Sharifi. Erst als er die Ausbildung beendet hatte und Geselle war, habe er mehr Selbstvertrauen bekommen. Im ersten Monat nach der Abschlussprüfung habe er 20 Bewerbungen verschickt und von manchen Firmen keine Antwort bekommen, "nicht einmal eine Absage".

Wie damit umgehen und den von Rassismus Betroffenen helfen? Diese Frage stellt Moderator Weinkopf. Hakan Özcan erklärt, dass an seiner Schule versucht werde, die Kinder und Jugendlichen zu beteiligen, damit sie in solchen Situationen reagieren können. Es gebe einen Klassenrat, Vertrauenslehrkräfte und Schulsozialarbeiter: "Dort kann man über diese Themen sprechen." Man wolle den Schülern Strategien an die Hand geben, sich zu wehren und ihnen zudem zeigen, welche Rechte sie haben. Man müsse den Betroffenen Mut machen, ihnen sagen, dass sie nicht alleine und etwas wert seien, so Ansari. Gegebenenfalls müsse man professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Sharifi konnte lange nicht über selbsterfahrenen Rassismus sprechen, es sei zu verstörend gewesen. Heute habe er mehr Selbstbewusstsein. Wenn jemand in der Arbeit rassistische Sprüche von sich gebe, schreite er ein: "Hör auf damit, ich bin auch Ausländer."

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