Süddeutsche Zeitung

Kulturpolitik:Dachau nimmt die Kunst an die Leine

Lesezeit: 3 min

Über den Song "Fuck Cops" der Band Sabot Noir entbrannte ein politischer Streit - nun soll die Stadt keine Künstler und Musiker mehr fördern, wenn sie Hassbotschaften verbreiten. Die Kritiker von der CSU halten diese Neuregelung plötzlich für überflüssig, stimmen aber zu.

Von Thomas Radlmaier, Dachau

Die in München gegründete Band Freiwillige Selbstkontrolle, kurz F.S.K., schrieb im Jahr 1993 den Song "Flagge verbrennen, Regierung ertränken". Und der Text geht so: "Die Flagge brennt lichterloh, Regierung fällt zum Ultimo. Hier kommt mein Colt, Pflugschar als Schwert, Schwarz Rot Gold gar nichts mehr wert. Das Parlament stürzt in den Rhein, am Firmament ein Hoffnungsschein." F.S.K. ist heute eine der international renommiertesten Bands aus München, ihr Song "Flagge verbrennen, Regierung ertränken" ein Klassiker. Diesen spielte die Gruppe natürlich auch bei ihrem umjubelten Jubiläumskonzert, das Mitte August im Olympiastadion über die Bühne ging. Das Konzert war Teil von "Sommer in der Stadt", einem Open-Air-Programm der Stadt München. Beschwert über die staatskritischen Zeilen von F.S.K. hat sich keiner. Auch kam im Münchner Stadtrat niemand auf die Idee, die Frage zu stellen, ob es sich bei dem Lied um einen verfassungsfeindlichen Aufruf handeln würde und die Stadt deshalb das Konzert nicht unterstützen sollte. Wäre ja auch befremdlich gewesen.

In Dachau dagegen könnten sich solche schwierigen Fragen auf dem Gebiet der Kunst- und Meinungsfreiheit in Zukunft öfter stellen. Die Mitglieder des Kulturausschusses haben sich mehrheitlich dafür ausgesprochen, die städtischen Kulturförderrichtlinien um einen Paragrafen zu ergänzen. Es ist eine Reaktion auf den heftigen politischen Streit um die Landkreisband Sabot Noir und deren Protestsong "Fuck Cops". Im Sommer kam es zum politischen Eklat, weil die Stadt nach knappem Mehrheitsbeschluss im Kulturausschuss ein Online-Geisterkonzert mit den Punk-Musikern mit 750 Euro bezuschusste.

"Wir setzen auf die Selbstverpflichtung der Antragsteller"

In dem neuen Paragrafen heißt es unter anderem, dass die Stadt Antragsteller bezuschusst, "die sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen". Wer als Veranstalter einen Zuschuss erhält, hat demnach sicherzustellen, dass zum Beispiel auftretende Künstler "keine verfassungsfeindliche und strafrechtlich relevanten, insbesondere sexistische, homophobe, rassistische, antisemitische und alle anderen Arten von diskriminierenden Äußerungen" tätigen. Weder dürfe die Würde des Menschen verächtlich gemacht noch verfassungsfeindliche Symbole repräsentiert werden. Nun muss der Stadtrat über die Einführung des neuen Paragrafen befinden. Laut Verwaltung orientiert sich die Stadt mit dem neuen Paragrafen an München. Im dortigen Kulturreferat gibt es Überlegungen, die Kulturförderrichtlinien entsprechend zu präzisieren. Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) sagte: "Wir setzen auf die Selbstverpflichtung der Antragsteller."

Im Juli entbrannte der Streit um das von der Stadt geförderte Konzert mit Sabot Noir, weil sich CSU, AfD, ÜB/FDP und Freie Wähler über die Musik von Sabot Noir empörten: Diese sei "linksextrem", "undemokratisch" und eine "Ohrfeige für jeden Polizeibeamten". SPD, Grüne und Bündnis/Linke dagegen beriefen sich auf die künstlerische Freiheit. Der Song "Fuck Cops" sei eine "Kritik an unangebrachter staatlicher Gewalt". Die Band verteidigte sich und sagte, es handele sich um ein Protestlied gegen Polizeigewalt und strukturellen Rassismus. OB Hartmann (SPD) lenkte ein, nachdem die Kritik von konservativen Kräften an dem städtischen Zuschuss anhielt. Er kündigte in der letzten Stadtratssitzung vor der Sommerpause an, die Kriterien der Kulturförderung zu überprüfen. Er sagte damals, er wolle künftig ausschließen, dass Künstler oder Musiker von der Förderung profitieren, die "Hassbotschaften" verbreiten.

"Regelung zum Umgang mit Hassbotschaften"

Jetzt legte die Verwaltung den Mitgliedern des Kulturausschusses die neue "Regelung zum Umgang mit Hassbotschaften" vor. Und die politischen Gräben scheinen überwunden zu sein. Eine große Mehrheit stimmte dafür, den neuen Paragrafen einzuführen. Gleichwohl stellten sich Stadträte aus mehreren Fraktionen die Frage, was sich dadurch überhaupt konkret verändere. Schließlich hätte man ja bereits davor Anträge auf Zuwendungen zurückweisen können. Hartmann sieht das anders und meint, jetzt eine präzisere Regelung zu haben, um Anträge abzulehnen. Aus der CSU-Fraktion, welche den Beschluss im Sommer scharf kritisierte, waren überraschende Stimmen zu hören. "Wir wären auch mit den bisherigen Regeln klargekommen", sagte Tobias Stephan. Aber wenn es dem Kulturausschuss nun juristischer leichter falle, Anträge abzulehnen, "soll es so sein". Und auf die Äußerung Jürgen Seidls (FDP), der sich wünschte, explizit die Polizei als "schützenswerten Personenkreis" in Förderrichtlinien aufzunehmen, sagte Stephan: "Das hält die Polizei aus, wenn sie nicht wortwörtlich vorkommt."

Klar ist aber, dass die Stadträte nach wie vor über jeden einzelnen Antrag zu entscheiden haben. Und laut Stadtverwaltung bleibt weiter ein "Interpretationsspielraum bei der Beurteilung von Song-, Theater- und anderen Texten", schon alleine deshalb, weil Texte je nach Kontext immer unterschiedlich interpretiert würden. Die Stadtverwaltung verweist auf die kontroversen Interpretationen im Stadtrat zu Sabot Noir und deren Lied "Fuck Cops". Richard Seidl (Grüne) sagte, der neue Paragraf "hätte uns in dem konkreten Fall kein Stück weiter gebracht".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5060089
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 09.10.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.