Süddeutsche Zeitung

Preis für Zivilcourage:"Ein Ansporn für uns alle"

Dass die Jury und Stadträte Eva Gruberová und Schüler des Gymnasiums Kirchseeon mit dem Zivilcouragepreis auszeichnen, ist vor allem deshalb gut, weil die Bedeutung ihres Handelns weit über den Vorfall in der KZ-Gedenkstätte hinausreicht.

Kommentar von Thomas Radlmaier

Die Stadt Dachau zeichnet Eva Gruberová und Gymnasiasten mit ihrem Preis für Zivilcourage aus. Es ist eine sehr gute Wahl, welche die Jury und Stadträte getroffen haben. Sie ist deshalb so gut, weil die Preisträger auf vielen verschiedenen Ebenen Vorbilder sind. Und sie ist auch deshalb so gut, weil die Bedeutung dieses couragierten Handelns weit über diesen einen Vorfall in der KZ-Gedenkstätte Dachau hinausreicht.

Erstens haben Eva Gruberová und die Gymnasiasten die Würde der NS-Opfer verteidigt, als diese angegriffen wurde. Sie gingen dazwischen, als ein Rechtsradikaler in einem ehemaligen KZ seinen ekelhaften Anti-Schuldkult-Film drehen wollte. Sie enttarnten dessen Verschleierungsaussagen vor Gericht als das, was sie sind: Holocaust-Leugnung und der ewiggestrige Antisemitismus in einer modernen Verpackung. Nicht das ritualisierte Erinnern an Gedenktagen löst das in Deutschland zur Phrase verkommene Versprechen des "Nie wieder" ein. Sondern der Mut und die Zivilcourage, wie sie die Preisträger bewiesen haben. Ihr Handeln ist ein "Ansporn für uns alle", wie Gruberová sagt, gegen Antisemitismus und Rassismus aufzubegehren.

Politisch-historische Bildung ist so wichtig

Zweitens zeigt der Fall, wie wichtig politisch-historische Bildung ist. Die heutigen Schüler kennen die Schoah nur aus Geschichtsbüchern. Bald werden keine Holocaust-Überlebenden mehr an die Schulen kommen können, um über ihre Erlebnisse zu sprechen. Die Schulen müssen noch viel mehr über die Verbrechen des Nationalsozialismus aufklären und welche Verantwortung sich daraus für die heutige Generation ergibt. Nur so werden junge Menschen immunisiert gegen das antisemitische Virus, das Rechtsradikale wie Nikolai Nerling versuchen zu verbreiten. Nur dann handeln junge Menschen so wie die Kirchseeoner Schüler.

Letztlich ist eine solche Zivilcourage auch ein Glücksfall für Dachau. Dachau, die Stadt, die sich als Lern- und Erinnerungsort versteht. Eva Gruberová und die Schüler haben vorgemacht, wie man in dieser Stadt als Ort eines ehemaligen Konzentrationslagers der historischen Verantwortung gerecht wird.

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Quelle:
SZ vom 17.06.2021
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