Oktoberfest-Attentat:Prädikat zweifelhaft

War der Bombenleger beim Oktoberfest-Attentat nur ein Einzeltäter? Journalist Ulrich Chaussy hat das nie geglaubt. Der Film "Der blinde Fleck" erzählt die Geschichte eines hartnäckigen Wahrheitssuchers

Von Jean-Marie Magro, Dachau

Ulrich Chaussys Werk als Hörfunkjournalist ist untrennbar mit einem Datum verbunden: Der 26. September 1980, der Tag des Bombenanschlags beim Münchner Oktoberfest, hat nicht nur das Leben von Opfern und Angehörigen für immer verändert. Er ist der Beginn einer schier unendlichen Suche nach der Wahrheit. Chaussy will noch immer wissen, wer schuld daran ist, dass 13 Menschen sterben mussten und mehr als 200 verletzt wurden. Vor gut 50 gebannten Zuschauern lief am Mittwochabend im Cinema Dachau

der Film über seine Geschichte. "Der blinde Fleck - Täter. Attentäter. Einzeltäter". Chaussy, der vom exzellenten Benno Fürmann gespielt wird, schrieb das Drehbuch mit. Der Film brachte vor einem Jahr neuen Schwung in die Debatte. Forderungen nach einem Wiederaufnahmeverfahren wurden laut. Doch Chaussy sagt: "Die Stimmung ist besser als die Lage."

Zwei gescheiterte Anträge für ein Wiederaufnahmeverfahren und Zeugen, die ums Leben kamen, so lautet die Bilanz seit dem Anschlag. Dann kam der Film in die Kinos. Bayerns Innenminister Herrmann (CSU) und der Bundesnachrichtendienst gaben wichtige Spurenakten heraus. Eine mögliche neue Spur, die in Richtung rechtsextremer Gruppierungen weist, könnte zumindest zeigen, woher der militärisch brisante Sprengstoff kommt. Und trotzdem soll die Lage schlechter sein als die Stimmung? Ja, sagt Chaussy, denn wichtige Beweisstücke, wie zum Beispiel eine Hand, die keinem Opfer am Tatort gehörte, fanden den Weg zum Gericht nach Karlsruhe nicht. Warum nicht? Andere Tatortasservate wurden wegen Platzmangels vernichtet. Personenspuren aus dieser Zeit sind heute nutzlos. "Die Parade der verpassten Chancen ist riesengroß." So viel zum Stand der Aufklärung.

Oktoberfest-Attentat: Ulrich Chaussy, gespielt von Benno Führmann, wartet in dem Film "Der blinde Fleck" auf einen Informanten zum Oktoberfest-Attentat.

Ulrich Chaussy, gespielt von Benno Führmann, wartet in dem Film "Der blinde Fleck" auf einen Informanten zum Oktoberfest-Attentat.

(Foto: oh)

26. September 1980, 22.19 Uhr. Eine an einem Papierkorb befestigte Bombe, bestehend aus einer entleerten britischen Mörsergranate, die mit 1,39 Kilogramm TNT wiederaufgeladen und in einen mit Schrauben und Nägeln Feuerlöscher gesteckt wurde, detoniert. Leichen mussten abtransportiert, mehreren schwerverletzten Opfern beide Beine amputiert werden. Für die Justiz war der Fall damals schnell klar: Ein Einzeltäter, der zum Zeitpunkt des Attentats 21 Jahre alte Gundolf Köhler, soll die Bombe gebaut und sich beim Anschlag selbst in die Luft gesprengt haben. Dieses Urteil gilt bis heute.

Ein einzelner Geologiestudent soll also verantwortlich sein für das größte Attentat der deutschen Nachkriegsgeschichte? Sehr zweifelhaft, meint Chaussy.

CSU-Vorsitzender Franz-Josef Strauß stand zum Zeitpunkt des Attentats mitten im Wahlkampf um die Kanzlerschaft der Bundesrepublik. Wegen der Vermutung, es könne sich um Linksterroristen handeln, forderte er den Rücktritt Gerhart Baums (FDP), dem damaligen Bundesinnenminister. Schnell stellt sich jedoch heraus, dass Gundolf Köhler Neonazi und Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann war. Trotz gegenteiliger Zeugenaussagen wird davon ausgegangen, Gundolf Köhler habe als Einzeltäter ohne politisches Motiv gehandelt. Diesen Verdacht bestätigt 1983 Generalbundesanwalt Karl Rebmann. Köhler habe, so steht es im Urteil, aus "Frustration und Perspektivlosigkeit gehandelt".

Ulrich Chaussy

BR-Reporter Ulrich Chaussy:

(Foto: Robert Haas)

"Das ist mir bis heute völlig unverständlich", sagt Chaussy mit fassungslosem Unterton. Köhler habe kurz vor dem Attentat einen Bausparvertrag angelegt und in seiner Heimat Donaueschingen eine Band gegründet. "Soll dieser Junge frustriert und perspektivlos gewesen sein?" Den damals noch sehr jungen Journalisten lässt die offenkundig falsche Theorie der Einzeltäterschaft keine Ruhe. Er tut sich mit dem Opferanwalt Werner Dietrich zusammen, befragt Zeugen und bekommt Informationen von einem Maulwurf aus dem Nachrichtendienst zugespielt. Fast wie in einem bayerischen Watergate-Skandal. Der Film endet mit dem Tag, an dem sich die NSU-Terroristin Beate Zschäpe der Polizei stellt.

Der Protagonist des Abends möchte dem Publikum eine Moral mitgeben: Niemals dürfe bei einem Fall wie dem NSU wieder weggesehen werden. Auch die Rolle der Presse kritisiert er: "Jahrelang geht eine Waffe durchs Land und tötet Ausländer. Und niemand, auch nicht der Chaussy, kommt darauf, dass es sich um Rechtsradikale handeln könnte."

Die Hintermänner des Oktoberfestattentats werden vielleicht nie gefasst werden können. Immerhin hat Chaussy mit diesem Film wesentlich mehr erreicht als mit seinem 1985 erschienenen Buch "Oktoberfest. Ein Attentat." Und möglicherweise packt ja eines Tages doch ein Mittäter aus und bringt die ganze Wahrheit ans Licht.

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