Dachau:Perfide Masche

Immer wieder gehen alte und kranke Menschen Veranstaltern dubioser Kaffeefahrten auf den Leim. Wie bei einer Busfahrt zum Mooshäusl. Drei Verkäufer wurden jetzt zu Freiheitsstrafen verurteilt.

Von Benjamin Emonts

Dachau: In erster Instanz vor dem Amtsgericht wurden die drei Angeklagten verurteilt.

In erster Instanz vor dem Amtsgericht wurden die drei Angeklagten verurteilt.

(Foto: Toni Heigl)

Alte Menschen, die auf dreiste und schamlose Weise um ihr Geld betrogen werden, und Tatorte, welche sich über ganz Deutschland erstrecken: Der Prozess am Dachauer Amtsgericht gegen drei Männer aus Norddeutschland, die nach Überzeugung des Gerichts auf vier Kaffeefahrten zahlreiche Rentner abgezockt haben, dauerte elf Stunden. "Eine solch kriminelle Energie habe ich so bisher noch nicht erlebt", sagte der Vorsitzende Richter Lukas Neubeck am Ende der zwei Verhandlungstage.

Die Kaffeefahrten führten nach Sassnitz auf der Ostseeinsel Rügen, nach Schnelldorf in Mittelfranken, nach Landau und auch in den Landkreis Dachau, wo die illegalen Verkaufsveranstaltungen am 9. und 11. November im Gasthaus Mooshäusl bei Ampermoching stattfanden. Eine 78-jährige Zeugin aus Garching nahm an der Kaffeefahrt ins Mooshäusl teil. Wenige Wochen zuvor hatte die Rentnerin eine Einladung erhalten. Sie berichtet, dass auf dem Flyer, der ihr per Post zugesendet wurde, etwas von einem fünfstelligen Geldbetrag stand, den sie angeblich gewonnen habe. Weiter habe es geheißen, sie könne den Gewinn auf der Kaffeefahrt abholen. Als sie nach eigenen Angaben über "Schleichwege" in einem voll besetzten Bus in das abgelegene Mooshäusl gefahren wurde, war von einem Gewinn aber keine Rede mehr. Die 78-Jährige fand sich auf einer Verkaufsveranstaltung wieder - und fiel letztlich auf die dubiosen Verkäufer herein.

Ihre Aussage über die Vorgehensweise der Angeklagten deckt sich mit denen aller anderen Zeugen. Richter Neubeck sprach entsprechend vom immer gleichen "modus operandi", von immer derselben Vorgehensweise. Demnach ist das Ziel der Busreisen vorher nicht bekannt, die Endstationen liegen abgelegen. Nach einem kleinen Gratis-Frühstück beginnt die Verkaufsveranstaltung. "Es ist psychologisch alles wunderbar vorbereitet", erinnert sich die Garchingerin. Man wird zum Klatschen aufgefordert und wer stört, wird aggressiv angegangen und vor die Tür gesetzt. Kurz: "Ein schrecklicher Umgang mit den Menschen, der Ton war dermaßen erniedrigend."

Trotzdem oder gerade deshalb hat die 78-Jährige ein Kissen für 200 Euro gekauft - nur. Denn die meisten der zwölf ausnahmslos betagten Zeugen, die an den Kaffeefahrten teilnahmen, griffen tiefer in die Tasche. Wie viele andere kaufte auch eine aus Rügen angereiste Zeugin eine sogenannte Vitality-Scheibe - eine frisbeeähnliche Plastikscheibe, die durch Auflegen Schmerzen lindern und körperliche Probleme jeglicher Art beheben können soll. Die Verkäufer gingen sogar so weit, dass sie einem Mann mit Krücken, einem Komplizen, vor versammelter Mannschaft die Scheibe auflegten. Das Ergebnis: Der Mann konnte wieder gehen. Ohne Krücken. Auch wurde erzählt, dass selbst der Arzt des FC Bayern, Müller-Wohlfahrt, die Scheiben verwende. "Hanebüchene Geschichten", sagte Richter Neubeck in seiner Urteilsbegründung. Zumal am ersten Verhandlungstag ein Gutachter aussagte, der den Scheiben jeglichen medizinischen Nutzen absprach.

Die Angeklagten, die während der zwei Verhandlungstage jede Aussage verweigerten, verzogen indes keine Miene. "Null Einsicht, null Geständnis", fasste der entsetzte Staatsanwalt zusammen. In seinem Plädoyer echauffierte er sich besonders über das perfide System, das dem Geschäftsmodell der Kaffeefahrten zugrunde liege. "Alte Menschen mit Schmerzen, die sich an jeden Strohhalm klammern, werden getäuscht und schamlos ausgenutzt."

In Zahlen heißt das: Den getäuschten Rentnern entstand ein Schaden zwischen 1500 und 2000 Euro. Die Frau aus Rügen zahlte allein für eine der Gesundheitsscheiben 1500 Euro. Und das, obwohl "die Herstellungskosten im unteren Euro-Bereich liegen", wie die Untersuchungen des Gutachters ergaben. Das verlorene Geld werden die Geschädigten trotz der Verurteilung der Angeklagten nicht wieder sehen, befürchtet Richter Lukas Neubeck. Der Amtsrichter verurteilte einen der drei Angeklagten, der eine lange Vorstrafenliste hat, zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren ohne Bewährung; die zwei anderen zu Bewährungsstrafen von 15 und 16 Monaten mit Auflagen von 6000 und 8000 Euro. Mit seinem Urteil hielt er sich eins zu eins an die Forderung der Staatsanwaltschaft, die Neubeck noch als relativ milde erachtete.

Neubeck ist sich indes sicher, dass die Angeklagten in Berufung gehen werden. Denn das sei der "Wahnsinn", das "Perfide" an dem ganzen Verfahren. Bis der Prozess am Landgericht fortgeführt wird, werde einige Zeit vergehen. Die betagten Zeugen, die für die Verhandlung weite Reisen auf sich nehmen müssen, würden in der Zwischenzeit nicht jünger. Ihre Erinnerungen, sagt Neubeck, könnten mehr und mehr verblassen.

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