Dachau:Pauken gegen Perspektivlosigkeit

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An der Berufsschule Dachau lernen derzeit 170 junge Flüchtlinge. Bei ihrer Vermittlung auf Stellen arbeiten Jobcenter, Caritas, freiwillige Helfer und Betriebe Hand in Hand

Von Annalena Sippl, Dachau

An der Berufsschule Dachau könnte es in diesem Schuljahr etwas ruhiger zugehen: Etwa 170 junge Flüchtlinge sind Mitte September in elf speziellen Klassen in das neue Schuljahr gestartet - rund 70 Schüler weniger als noch im Vorjahr. Schulleiter Johannes Sommerer kennt den Grund für die rückläufige Zahl: "Seit 2015 sind praktisch keine weiteren jugendlichen Flüchtlinge mehr in den Landkreis gekommen." Zudem nehme nicht jeder das Angebot in Anspruch und so mancher Schüler halte nicht bis zum Ende durch. Dennoch haben sich die Integrationsklassen der Berufsschule zu einem Erfolgsmodell entwickelt. Vor rund vier Jahren startete die erste Klasse speziell für junge Geflüchtete - damals mit nur 18 Schülern.

Laut Landratsamt leben zur Zeit 1245 Flüchtlinge im Landkreis Dachau, davon sind aktuellen Zahlen zufolge 257 zwischen 16 und 25 Jahre alt. Ein Lebensabschnitt, der für die Zukunft enorm bedeutend sein kann, deshalb wird den jungen Menschen in Dachau viel Starthilfe gegeben. Die rund 170 Berufsschüler stammen in diesem Schuljahr überwiegend aus Eritrea, Syrien und Afghanistan. Fast alle sind junge Männer, nur neun junge Frauen sind darunter.

Asylkoordinatorin Isabelle Bichler mit jungen Asylsuchenden in der Außenstelle der Dachauer Berufsschule an der Liegsalzstraße. Elf spezielle Integrationsklassen bietet die Schule in diesem Jahr an. Die Lehrer blicken bereits auf einige Erfahrung zurück und fühlen sich gut unterstützt. (Foto: Toni Heigl)

Christine Torghele-Rüf von der Caritas spricht trotz Rückgang von einem regelrechten "Run auf die Berufsschulen". "Viele Geflüchtete haben die Möglichkeit erkannt, ihre Zeit sinnvoll zu nutzen." Diesen Eindruck teilt der Schulleiter: "Die meisten Schüler sind gerne hier und sehen ihre Chance!" In Berufsintegrationsklassen und speziellen Vorklassen lernen die Flüchtlinge Deutsch, Mathematik, besuchen aber auch das Fach "Leben in Deutschland". Auch die Ehrenamtskoordinatorin der Caritas hält nicht nur den Ausbildungsaspekt der Einrichtung für relevant: "Hier können sie lernen, wie Deutschland tickt." Schule sorge zudem für eine Alltagsstruktur, es gebe dort Bezugspersonen und Dachau werde als neues Umfeld kennengelernt. "Ganz nebenbei wird Deutsch durch den Kontakt zu anderen Jugendlichen zum Alltagsinstrument", sagt Torghele-Rüf.

"Etwa 60 Prozent der diesjährigen Absolventen konnten erfolgreich weitervermittelt werden," berichtet Sommerer. Die Berufsschulpflicht gilt zwar nur bis zum 21. Lebensjahr, doch "soweit Plätze zur Verfügung stehen, werden auch Schüler bis zum Alter von 25 Jahren aufgenommen." Das lobt Torghele-Rüf, denn für sie ist die Berufsschule der erste Schritt. "Selbst bei einer Ablehnung hat der junge Mensch dann etwas in der Rückhand." Wie schwer der Einstieg in die berufliche Praxis dennoch sein kann, weiß Josef Mayer. Beim Dachauer Arbeitskreis Asyl betreut er die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen. Er kennt die Probleme. Wichtig ist es für Mayer, von Anfang an die Berufsbezeichnungen zu klären, denn diese sind nicht länderübergreifend gleich. "Was versteht mein Gegenüber darunter, wenn er sagt, er sei Elektriker? Es ist gut möglich, dass er in seiner Heimat ganz andere Tätigkeiten ausgeübt hat - vielleicht hat er dort nur Kabeltrommeln transportiert." Doch auch danach warten noch etliche Hürden. "Wir wollten mal jemanden bei einem VW-Vertragshändler integrieren, doch der Automobilhersteller selbst erwartet von neuen Mitarbeiter eine Spezialausbildung." Oft scheitert ein Ausbildungsvertrag aber auch an scheinbar banalen Dingen, wie einem gültigen Führerschein, den ein Großteil der Flüchtlinge nicht besitzt . "Beim Bewerbungsgespräch ist es wichtig, dass der junge Mensch Vertrauen aufbaut und selbstsicher wirkt", sagt Mayer. Das vor allem sei in der Praxis oft schwierig. Ein Bewerbungsgespräch verursache bei fast jedem Nervosität und bei den Flüchtlingen komme noch die sprachlichen Hürden hinzu.

Johannes Sommerer leitet die Berufsschule Dachau. (Foto: Niels P. Joergensen)

Arbeitswillig, aber noch nicht bereit dazu? Diese Problematik kennt auch Kathrin Stemberger von der Bundesagentur für Arbeit. Im Juni waren beim Jobcenter landkreisweit insgesamt 375 Geflüchtete als arbeitssuchend gemeldet, doch nur 175 davon standen dem Arbeitsmarkt auch wirklich zur Verfügung. "Ein großer Teil der Menschen kann nicht sofort vermittelt werden, da beispielsweise Sprachkenntnisse oder fachliche Kenntnisse fehlen," sagt Stemberger. Gerade bei den Jugendlichen fällt auf, "dass es vielen darum geht, möglichst schnell Geld zu verdienen", sagt Stemberger. Andere wiederum würden eine Ausbildung als Investition in ihre Zukunft sehen.

Josef Mayer erzählt eine Erfolgsgeschichte: "Der Chef einer Firma, die Kindersitze repariert, hat mal zwei Flüchtlinge bei der Fahrradreparatur beobachtet - dabei fiel ihm deren Feingefühl auf." Der Geschäftsführer bot ein Praktikum an, erzählt Mayer vom Arbeitskreis Asyl weiter, nach wenigen Wochen stellte er einen der beiden Männer ein. Torghele-Rüf von der Caritas berichtet von einem Dachauer Bäcker, der aus zehn Schnupperpraktikanten schließlich einen Syrer auswählte, da ihn dieser nicht nur mit seinem Zeugnis, sondern auch persönlich überzeugte.

An der Berufsschule herrscht Zufriedenheit - "wir bekommen Unterstützung von vielen Seiten", sagt der Schulleiter. Die "Lehrerversorgung" hätte sich in den letzten Jahren deutlich verbessert, seit der Nutzung der Nebenstelle in der Liegsalzstraße seien auch die Unterrichtsbedingungen sehr gut. Jetzt sei es wichtig, ein besonderes Augenmerk auf die Jugendlichen zu richten, die bereits eine Ausbildung absolvieren. "Die Unterstützung und Förderung muss hier unbedingt weitergehen," appelliert Sommerer. In einem Punkt sind sich die Experten einig: Die Bereitschaft der Betriebe im Landkreis Geflüchtete aufzunehmen ist groß. "Sie sind den Flüchtlingen gegenüber sehr offen," bestätigt die Caritas-Mitarbeiterin. Rektor Sommerer fügt an: "Interessierte Praktikumsbetriebe sind uns aber weiterhin herzlich willkommen."

© SZ vom 23.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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