Corona-Pandemie im Landkreis Dachau:Landkreis knackt die Inzidenzmarke 1000

Corona-Pandemie im Landkreis Dachau: Die fünfte Welle hat den Landkreis Dachau fest im Griff.

Die fünfte Welle hat den Landkreis Dachau fest im Griff.

(Foto: Toni Heigl)

Dachau weist ganz knapp den höchsten Wert in Bayern auf. Doch was bedeutet diese Zahl? Die Verantwortlichen jedenfalls leiten daraus keinen akuten Handlungsbedarf ab.

Von Joshua Beer, Dachau

Es war gar nicht solange her, nur wenige Monate, da diskutierte der Bund, ob denn die Sieben-Tage-Inzidenz als Richtwert nicht zu vernachlässigen sei. Heute erreichen die Inzidenzen so schwindelerregende Höhen, dass man sie allein deshalb nicht ignorieren mag. Der Landkreis Dachau hat inzwischen die 1000er-Marke überschritten und führt laut Robert-Koch-Institut (Stand Donnerstag) mit einem Wert von 1076 die Liste in Bayern an. Innerhalb eines Tages wurden 513 Neuinfektionen gemeldet, am Tag davor waren es noch 208. Grund dafür ist die hoch ansteckende Omikron-Mutante, die auch im Landkreis vorherrscht und die zuvor dominante Delta-Variante abgelöst hat. Was aber bedeuten diese Zahlen für den Landkreis?

"Wir sehen die Omikron-Wand auf uns zurasen", sagt Christian Günzel, Versorgungsarzt von Dachau. Die neuen Dimensionen der Zahlen zeigten, dass man die Omikron-Welle "voll erreicht" habe. Überraschen tut das weder Günzel noch seinen Kollegen Hans-Ulrich Braun, Ärztesprecher des Landkreises. "Das war uns klar und zeigt nur die starke Infektiosität von Omikron", sagt Braun. Am Telefon klingt er recht gelassen. Denn: "Wir hatten einen stärkeren Druck auf die Krankenhäuser erwartet." Das Helios-Amper Klinikum betreut laut dem Leitenden Oberarzt der Nothilfe, Alexander von Freyburg, 13 Covid-19-Patienten, wovon vier auf der Intensivstation liegen. Die Zahl der stationären Patienten sei dabei im Vergleich zum Höhepunkt der vierten Welle dreimal geringer.

Doch Vorsicht: Die Erfahrung lehrt, dass Neuinfektionen verzögert auf die Krankenhäuser niederschlagen. Das Klinikum erwartet von Freyburg zufolge "eine zeitliche Verschiebung von zehn bis 14 Tagen", bis sich die steigenden Infektionszahlen auch in einem Anstieg an stationären Patienten widerspiegeln. Ein Blick in andere Länder spendet allerdings Hoffnung. Dort sind laut Christian Günzel die Intensivfälle trotz der Omikron-Welle oftmals gering geblieben. Ärztesprecher Braun meint den Effekt auch hier schon zu erkennen: "Es hat sich ein bisschen bestätigt, dass die Verläufe durch Omikron nicht so schwer sind." Braun beobachtet es in seiner eigenen Praxis: "Wir haben eine starke Positivrate bei unseren Testungen." 20 von 40 bis 50 Tests seien positiv, also fast die Hälfte. Dennoch schafften sie es bislang, all ihre Patienten ambulant zu betreuen. Ins Krankenhaus musste bisher niemand.

Ein entscheidender Faktor dafür sei die Impfung. Zwar schütze sie im Falle von Omikron schlechter vor der Infektion, aber sie sorge sehr verlässlich für milde Verläufe. "Wir appellieren daher, sich boostern zu lassen", sagt Braun. Wer dagegen gar nicht geimpft ist, lebt gefährlicher. "Das Risiko eines schweren Verlaufs ist bei Ungeimpften ungleich höher", sagt Versorgungsarzt Günzel.

Ob schwere Verläufe oder milde, die Gefahr der Omikron-Welle äußert sich auch anders: Zahlreiche Menschen könnten durch Ansteckungen und anschließende Quarantäne an ihren Arbeitsplätzen ausfallen, eben auch in kritischen Bereichen: in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, im Rettungsdienst.

Günzel zeigt sich besorgt: "Die Situation ist äußerst kritisch. Wir werden große Ausfälle haben, das wird eine Herausforderung." Landrat Stefan Löwl (CSU) indes versichert, dass man die Entwicklung genau beobachte: "Bisher sind die Ausfälle noch im überschaubaren Rahmen, auch in der kritischen Infrastruktur." Am Donnerstagnachmittag trifft sich erneut die Koordinierungsgruppe Pandemie, um die medizinische Einschätzung der Lage einzuholen.

Könnte es neue Einschränkungen oder gar einen Lockdown geben? Löwl hält lokale Maßnahmen für sehr unwahrscheinlich. Da die Staatsregierung bis einschließlich 28. Januar die Hotspot-Regelung ausgesetzt hat, muss Dachau das öffentliche Leben trotz einer Inzidenz von mehr als 1000 nicht herunterfahren. Hinzu kommt die Kassierung der 2-G-Regel im bayerischen Einzelhandel. "Die großen Vorgaben kommen aus München", sagt Löwl. Doch dass Dachau - wie es München tat - die unangemeldeten Umzüge von Gegnern der Corona-Maßnahmen verbietet, sieht Löwl nicht kommen. Die Hürden für ein präventives Verbot seien hoch. Die Polizei habe allerdings stets die Möglichkeit, die Umzüge aufzulösen, sollten Auflagen nicht eingehalten werden.

Für die Omikron-Wand hält Löwl den Landkreis für gut gerüstet: 80 Prozent der Bürgerinnen und Bürger seien geimpft oder genesen. "Die Inzidenz dient als Frühwarnsystem, doch sie hat nicht mehr die Aussagekraft von früher wie bei Delta", sagt Löwl. Dachau weist zwar derzeit den höchsten Wert in Bayern auf, doch Löwl betont, dass in allen deutschen Bevölkerungszentren die Zahlen steigen. Tatsächlich ist die ganze Region einschließlich München auf einem ähnlichen Niveau. "Das ist definitiv kein Dachau-Phänomen", so Löwl. Versorgungsarzt Günzel vermutet, dass die vielen Pendler zum Infektionsgeschehen beitragen. Außerdem sei das hiesige Gesundheitsamt "auf Zack" und melde die Infektionen bisher vollständig. "Wir haben vielleicht schlechtere, aber realistischere Zahlen", so Günzel.

Die Erfassung läuft, doch mit der Kontaktverfolgung und dem Nachtelefonieren kommt das Gesundheitsamt kaum hinterher. "Es werden alle angerufen, doch es kann sich um ein, zwei Tage verzögern", sagt Sina Török, Pressesprecherin des Landtagsamts. Hotspots habe man nach wie vor nicht ausgemacht.

Wie geht es weiter? Selbst die Experten halten schärfere Maßnahmen für unangemessen. Man solle es bei den aktuell geltenden belassen, sagt Ärztesprecher Braun. "Egal, was wir machen, das kriegen wir nicht mehr eingefangen", meint auch Günzel. Omikron "durchlaufen" zu lassen, schaffe immerhin eine starke Immunität, insbesondere für Geimpfte und Geboosterte.

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