Dachau:Null Bock e.V.

Der Landkreis Dachau hat eine reiche Vereinslandschaft. Die Frage ist nur: Wie lange noch? Während die Ansprüche der Mitglieder steigen, schwindet die Bereitschaft, sich selbst zu engagieren. Von Nachwuchsproblemen, mangelnder Motivation und gesellschaftlichem Wandel

Von Sarah Stemmler

Dachau - Im Herbst 2014 dominierte noch der Enthusiasmus: Die Katholische Landjugendbewegung (KLJB) hatte wieder eine Ortsgruppe in Vierkirchen. 25 Jahre waren seit der Auflösung der letzten Ortsgruppe verstrichen, jetzt sollte es wieder richtig losgehen. 30 Mitglieder konnten die neuen Gründer mobilisieren. Die ersten Treffen wurden zahlreich besucht, die ersten Aktionen tatkräftig unterstützt. Doch die anfängliche Begeisterung flaute rasch ab, bald kamen nur noch 15, dann zehn Mitglieder zu den Monatstreffen. Jetzt, fast zwei Jahre nach der Neugründung, steht die Ortsgruppe schon fast wieder vor ihrer Auflösung. Nicht mal ein neuer Vorstand lässt sich finden. Mit ihren Sorgen steht die Vierkirchner KLJB nicht alleine da, viele Vereine kennen Nachwuchsprobleme. Doch das ist nicht die einzige Herausforderung für die Vereine in der heutigen Zeit, im Gegenteil. Die Schwierigkeiten sind ebenso vielfältig wie ihre Ursachen.

Der Stress

Bei der Vierkirchner KLJB liegt der Mitgliedsschwund wohl hauptsächlich daran, dass die Beteiligten zu viele andere Interessen haben. Das denkt zumindest Laura Bachmann, Gründungs- und Vorstandsmitglied der Vierkirchner Ortsgruppe. Die meisten Mitglieder seien zu beschäftigt, um sich dauerhaft im Verein zu engagieren. "Alle sind zu sehr im Stress und haben zu viele andere Hobbys. Jeder hat seine Prioritäten." Und da spielt ein gemeinnütziger Verein wie die KLJB wohl nur eine untergeordnete Rolle. Der Bezug zur Kirche fällt als Grund für das mangelnde Interesse der Mitglieder jedenfalls weg, die örtliche Ministrantengruppe ist sehr beliebt. "Als Ministrant fängt man mit neun Jahren an", sagt Bachmann. "Da wächst man mit hinein. Neue Vereine tun sich da schwer."

Die Konkurrenz

Doch auch in Vierkirchen alteingesessene Vereine wie der Musikverein haben Probleme, ihre Mitglieder zu halten und Nachwuchs zu finden. Hans Kohmann, Vorstand des Musikvereins, stellt fest, dass man als Verein einiges leisten muss, um attraktiv zu bleiben. Gerade die jugendlichen Mitglieder müssten "bespaßt" werden, sie hätten heutzutage so viele andere Möglichkeiten, sich zu beschäftigen. Insgesamt gebe es ein sehr großes Freizeitangebot, sodass zwischen den Vereinen ein gewisser Wettbewerb herrsche. Momentan engagieren sich etwa zehn Jugendliche aktiv im Musikverein.

Die Unbeständigkeit

Die Ortsgruppe des Bund Naturschutz (BN) in Dachau klagt hingegen nicht über einen Mangel an Jugendlichen, aber über die Unbeständigkeit ihrer jugendlichen Mitglieder. "Wir beobachten, dass junge Leute sich nicht in einer Mitgliedstruktur binden wollen", sagt der Vorsitzende, Peter Heller. Die Jugendlichen würden sich eher projektbezogen beteiligen, sie wollten sich aber nicht dauerhaft verpflichten oder gar Ämter übernehmen. Zwar erfahre der BN insgesamt großen Zuspruch, doch man sei auch auf Leute angewiesen, die langfristig bei der Stange blieben. Heller erklärt, dass die tägliche Arbeit des BN dadurch erschwert werde, dass man bei jeder Aktion erneut Helfer anfragen müsse. Die Abneigung gegen ein verbindliches Engagement hält Heller für "gesellschaftlichen Zeitgeist". Junge Leute betrieben nun mal lieber "Projekt-Hopping", als sich auf eine Aktivität festzulegen.

Die Platzprobleme

Womöglich ist es auch das soziale Engagement und die damit einhergehende Verpflichtung, die abschreckend auf Jugendliche wirkt. Sportvereine haben zumindest weniger Probleme, ausreichend Mitglieder zu bekommen. Dafür stehen sie vor anderen Schwierigkeiten, wie Roland Lorber, Geschäftsführer des TSV Eintracht Karlsfeld, erklärt. Heutzutage wären die Leute "ganz anders eingespannt" und hätten meist nur noch abends Zeit. Das führe dazu, dass sich die Trainingszeiten im Sport nach hinten verschieben, was wiederum Platzprobleme hervorrufe. Die Hallenkapazitäten in Karlsfeld seien ohnehin sehr gering, das geballte abendliche Training verschlimmere die Raumnot. Vor kurzem sei eine neue Basketballgruppe ins Leben gerufen worden, die momentan einmal wöchentlich trainiere. Sollte die Gruppe demnächst öfter spielen wollen, bekäme man bereits ein Platzproblem.

Die Personalnot

Beim TSV Indersdorf dagegen ist es weniger der Raum, sondern das Trainingspersonal, das fehlt. Die Leute müssten auch schließlich arbeiten und hätten kaum Zeit, eine Mannschaft zu trainieren. Bei den jungen Mitgliedern freut sich der TSV momentan über einen regen Zulauf, speziell bei den Disziplinen Schwimmen und Fußball. Doch auch wenn sich der Sportverein gerade nicht um seine Mitgliedszahlen sorgen muss, stellt TSV-Vorsitzender Bernd Wetzstein fest: "Zwischen 16 und 18 wird es schwierig, Jugendliche zu halten." In diesem Alter sei der Verein oft "nicht mehr so cool" und man entwickle andere Interessen. Auch höre er oft von Eltern, ihr Kind habe mit der Schule so viel zu tun, dass keine Zeit für einen Verein bliebe. Darum sei es umso wichtiger, gute Vorarbeit zu leisten, um junge Mitglieder dauerhaft halten zu können. Laut Wetzstein müssten sich Jugendliche im Verein vor allem wohlfühlen, der Gemeinschaftsgedanke solle im Vordergrund stehen. Das kann man durch kollektive Aktionen erreichen, der TSV organisiert zum Beispiel ein Zeltlager. Insgesamt kann der TSV jedoch nicht klagen. Indersdorf ist ein Zuzugsort, der Nachwuchs ist daher gewährleistet.

Die Verwaltung

Der ASV Dachau kennt ähnliche Probleme wie die Sportvereine in Markt Indersdorf und Karlsfeld. In den vergangenen Jahren sind die Mitgliedszahlen beim ASV stark gestiegen, so sehr, dass der Verein an seine Kapazitätsgrenzen stößt. Für verschiedene Angebote gibt es Wartelisten, man bräuchte ein neues Fußballfeld, Räume für die Gymnastikabteilung. Andreas Wilhelm, Geschäftsführer des ASV Dachau, erklärt sich den großen Andrang damit, dass Dachau wie Indersdorf im Zuzugsgebiet liegt, aber auch damit, dass Sport und Bewegung gesellschaftlich einen immer größeren Stellenwert bekommen. Die Bevölkerung wisse, "dass Sport gut" sei.

Den ASV stellt das vor die grundsätzliche Frage, wie mit dem Wachstum umzugehen sei. "Wir überlegen, unsere Struktur zu ändern", sagt Andreas Wilhelm. Man habe bereits hauptamtliche Vorstände und zehn Angestellte, da der Verein ehrenamtlich nicht zu verwalten sei. Auch versucht der ASV, seinen Mitgliedern lebenslang zur Seite zu stehen: Los geht es im Zwergerlgarten für die Zwei- bis Dreijährigen, in dem Kinder unter der Woche vormittags betreut werden. Das soll auch Eltern eine Entlastung bieten. Für die Mitglieder im Rentenalter werden Aktionen abseits der Sporthalle geboten, Ausflüge und Besichtigungen.

Kampagne fürs Ehrenamt

Trotz der Nachwuchsprobleme ist die Vereinslandschaft im Landkreis Dachau durchaus lebendig: Es gibt ungefähr 1000 Vereine, die nach Angaben der Demografie-Managerin am Landratsamt, Christa Kurzlechner, allerdings oft nicht sichtbar sind und von der Öffentlichkeit deshalb auch nicht wahrgenommen werden. Der breiten Öffentlichkeit bekannt ist vor allem die Freiwillige Feuerwehr, die viel Zeit und Geld in Jugendarbeit investiert. Sie ist ein großer Anlaufpunkt, an dem auch immer mehr Mädchen Interesse finden; sogar eine Frauenbeauftragte hat dort ihre Arbeit aufgenommen.

Während die Große Kreisstadt Dachau selbst ein Ballungsgebiet für Vereine wie den Kreisverband des Bunds Naturschutz ist, die als Dachorganisation für die örtlichen BN- Vereine fungieren, gibt es auf dem Land fast flächendeckend Burschenvereine, die oft ein großes soziales Engagement zeigen. Kurzlechner verweist auch auf die Helferkreise für Flüchtlinge, die viele ehrenamtliche Kräfte angezogen hätten; diese Entwicklung sei allerdings bereits wieder rückläufig.

Um mehr Bürger aus dem Landkreis Dachau für ehrenamtliches Engagement auch in Vereinen zu begeistern, haben das "Koordinierungszentrum Bürgerschaftliches Engagement im Landkreis Dachau" und "Demographie Managen im Landkreis Dachau" die Kampagne "Gesicht zeigen" gestartet. Sie porträtiert Menschen aller Altersschichten, die ihr Ehrenamt, sei es in der Nachbarschaftshilfe, bei Projekten, in der Freiwilligen Feuerwehr oder in Vereinen wie dem Sportverein, präsentieren. Zuerst wurden dazu nur Senioren befragt, danach aber hat sich laut Kurzlechner "ein kunterbunter Querschnitt" durch alle Altersstufen ergeben.

Die Kampagne soll nicht nur die Ehrenämter der Bürger im Landkreis Dachau dokumentieren, sondern auch Interessierten die Möglichkeit bieten, sich mit dem Thema weiter zu befassen. Es gibt die Möglichkeit, die Ausstellung über die 64 Befragten zu buchen und zum Beispiel auch bei Veranstaltungen zu präsentieren, außerdem kann eine Broschüre angefragt oder im Internet heruntergeladen werden. Zudem werden Workshops, Vorträge und individuelle Beratungen angeboten, außerdem existieren mehrere Filmbeiträge, die einen Einblick in das Engagement der Befragten ermöglichen. Weitere Informationen, Kontaktdaten und die Broschüre als Download sind auf der Internetseite www.engagiert-in-dachau.de zu finden. sast

Der Aufwand

Die Vierkirchner Feuerwehr betreibt ähnlichen Aufwand und hat deswegen sehr gute Mitgliedszahlen, auch als sozialer Verein. Die Feuerwehr legt den Fokus auf Jugendarbeit, die junge Abteilung ist außergewöhnlich lebendig. Insgesamt 24 Mädchen und Jungen ab zwölf beteiligen sich bei den freiwilligen Helfern. Das, erklärt der erste Kommandant, Manfred Huber, sei einzigartig im Landkreis. Trotzdem sei es nicht leicht, die Jugendlichen beim Verein zu halten, gibt er zu. Man müsse ihnen etwas bieten, Ausflüge, Matratzenlager, fiktive Einsätze, es sei schon ein "Riesenaufwand". Es gebe auch immer wieder Engpässe, gerade wenn Jugendliche vielen verschiedenen Interessen nachgingen und keine Zeit mehr für die Feuerwehr hätten. Dennoch, die Jugend sei die Zukunft der Feuerwehr und nur durch stetiges Einwirken könne man sie zu künftigen Feuerwehrmännern und -frauen machen. Darum gibt es in Vierkirchen auch einen Jugendwart mit zwei Helfern, die sich intensiv um den Nachwuchs kümmern.

Die Erwartungen

Ein Verein muss viel zu bieten haben, wenn er langfristig Mitglieder binden will. "Die Erwartungen an den Verein werden immer höher", sagt Siegfried Bradl, Bereitschaftsleiter beim Bayerischen Roten Kreuz (BRK) Altomünster. "Das kann man nicht alles ehrenamtlich leisten." Bradl engagiert sich seit mehr als 40 Jahren im kulturellen Leben, vor allem im Bereich Musik und Brauchtum. Er sieht den Fortbestand der Vereine in der jetzigen Form gefährdet. Allerdings liegt das seiner Ansicht nach nicht ausschließlich an der Jugend, im Gegenteil: "Junge Leute bis 20 Jahre erreicht man ganz gut." Seine Erfahrung zeigt, dass es vor allem ab dem 20. Lebensjahr schwierig wird, Mitglieder beim Verein zu halten. Vielen fehle dann die Zeit, sie seien beruflich so eingespannt, dass für eine Vereinsmitgliedschaft keine Muße bleibe. Und ein Verein funktioniere nun mal nicht nach dem Prinzip "Heute hab ich Zeit, heute nicht". Stattdessen brauche es Verantwortlichkeit, Nachhaltigkeit, Beständigkeit. Vereinsarbeit ist mit Aufwand und Pflichten verbunden, als Mitglied müsse man Zeit investieren. Für viele sei das eine große Hürde, selbst wenn sie motiviert seien.

Die Struktur

Bradls Diagnose fällt eindeutig aus: Vereine müssen sich verändern, wenn sie noch in die Gesellschaft passen wollen. Für ihn sind die Sorgen der Vereine vor allem ein strukturelles Problem: Man muss "neue Ansätze schaffen". Ob es am Nachwuchs mangelt, die Unterstützung fehlt oder der Verband an seine Kapazitätsgrenzen stößt - ein Verein, der zukunftsfähig sein will, sieht sich vielen Herausforderungen gegenüber. Aufgaben, die man laut Bradl nicht mehr rein ehrenamtlich bewältigen könne. Vereine müssen sich also personell neu aufstellen. Der ASV Dachau hat das ebenfalls festgestellt und darauf reagiert. Vielleicht sollte man aber auch darüber nachdenken, wie man Verbände besser in Schul- und Berufsalltag integrieren kann, sonst bleiben sie auf Dauer außen vor.

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