Gewalt gegen Retter:Not am Helfer

Polizisten, Rettungskräfte, Feuerwehrler und Angestellte in Behörden können nicht mehr automatisch mit Respekt rechnen. Sie werden beschimpft, bedroht und körperlich angegriffen. In eine nun in Berlin beschlossene Strafverschärfung setzen sie wenig Hoffnung

Von Gregor Schiegl, Dachau

Bei Auseinandersetzungen wurden im vergangenen Jahr elf Polizisten im Landkreis leicht verletzt, ein Beamter der Dachauer Inspektion war für eine Woche dienstunfähig geschrieben. Die meisten Angriffe ereigneten sich in den Abend- und Nachtstunden, vorwiegend zwischen 22 Uhr und 2 Uhr. Insgesamt 24 Fälle von Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte wurden angezeigt, außerdem zwölf Anzeigen wegen Beleidigung erstattet. In der Dachauer Polizeiinspektion ist das Alltag.

"Widerstände gegen polizeiliche Maßnahmen gab es schon immer", sagt Polizeisprecherin Melanie Habersetzer. Trotzdem scheint etwas in Bewegung geraten zu sein. Von der Polizeigewerkschaft heißt es, in den vergangenen zehn Jahren habe die Gewalt gegen Polizeibeamte bundesweit um 33 Prozent zugenommen. "Die meisten Widerstände wurden angezeigt, wenn wir Personen vorübergehend festnehmen oder in Gewahrsam nehmen mussten", sagt Habersetzer, freiwillig fahre keiner gerne im Streifenwagen mit.

Wer Polizisten attackiert, muss mit Haftstrafen von bis zu fünf Jahren rechnen

In dieser Woche hat die Bundesregierung eine Strafverschärfung für Angriffe auf Polizisten, Retter und Feuerwehrleute beschlossen. Wer Polizisten bei "Diensthandlungen" wie Streifenfahrten und Unfallaufnahmen attackiert, muss künftig mit Haftstrafen bis zu fünf Jahren rechnen. Ein starkes politisches Signal. Aber hilft das den Leuten, die an Ort und Stelle den Kopf hinhalten müssen? "Ich denke, dass die Angriffe und Beleidigungen durch eine höhere Strafandrohung nicht schlagartig zurückgehen werden", sagt die Dachauer Polizeisprecherin, aber zumindest mittelfristig erwartet sie eine Verbesserung.

Die Skepsis hat einen Grund, und den versteht man auch sofort, wenn man einen näheren Blick auf die Fälle von Widerstand gegen die Staatsgewalt in Dachau wirft: Nur sechs der 24 Täter waren voll bei Sinnen: In neun Fällen hatte es die Polizei mit psychisch Auffälligen oder psychisch Kranken zu tun, in weiteren neun Fällen standen die Angreifer erheblich unter Alkohol oder Drogen. "Die sind rationalen Argumenten nicht mehr zugänglich und haben eine niedrigere Hemmschwelle", sagt Melanie Habersetzer.

Rettungswagen im Einsatz

Versperrt der Einsatzwagen den Weg zur Arbeit, nach Hause oder zum Einkaufen, werden die Sanitäter oft wüst beschimpft.

(Foto: Nicolas Amer/dpa)

Trotzdem sucht die Dachauer Polizei immer erst das Gespräch: "Vom Grundsatz her gilt, dass wir lieber länger argumentieren und mehr Aufwand für Gespräche und Erklärungen aufwenden, als in körperliche Auseinandersetzungen verwickelt zu werden", sagt Inspektionsleiter Thomas Rauscher. Kommunikation und Deeskalation sind inzwischen wichtige Bausteine in der Ausbildung junger Polizisten. "Bei kritischen Lagen werden mehrere Einsatzfahrzeuge zum Einsatzort berufen." Manchmal hilft nur Stärke zeigen.

Probleme mit aggressiven Betrunkenen häufen sich

Die Rettungskräfte des Roten Kreuzes in Dachau sind von massiven Übergriffen bislang verschont worden. Aber auch sie bekommen zu spüren, dass es im Landkreis ruppiger zugeht als noch vor ein paar Jahren. "Es gibt eine massiv gestiegene Aggression", beklagt der Leiter des Rettungsdiensts in Dachau, Dennis Behrendt. Die Hemmschwellen, Einsatzkräfte zu bedrohen oder zu beleidigen, seien deutlich gesunken, das zeige sich im Alltag immer wieder. Wenn der Rettungswagen beim Noteinsatz in der Bäckerei einen Wagen zuparkt, bekommen sie vom Fahrer schon mal wüste Beschimpfungen an den Kopf geworfen. "Die Leute sind oft nicht sehr einsichtig, dass wir nur da sind, um zu helfen." Zur Not rufen die Rettungskräfte auch mal die Polizei, aber eigentlich haben sie Wichtigeres zu tun, nämlich Retten. Erfahrungsgemäß verläuft die Strafverfolgung auch im Sande. "Es gibt eine gewisse Machtlosigkeit", gesteht Behrendt. Ebenso wie die Polizei haben auch seine Leute zunehmend Probleme mit aggressiven Betrunkenen. Meist handle es sich um Männer "mittleren oder höheren" Alters. Anscheinend gibt es im Landkreis ein wachsendes Alkoholproblem.

Gegen Einsatzkräfte der Feuerwehr hat es glücklicherweise noch keine Angriffe gegeben. "Jedenfalls keine, die bekannt geworden wären", sagt Kreisbrandmeister Maximilian Reimoser. Mit uneinsichtigen Leuten müssen sich aber auch die Dachauer Feuerwehrleute immer häufiger herumärgern. Viele wollen es nicht hinnehmen, dass sie an Absperrungen vor Einsatzorten unverrichteter Dinge wieder umdrehen sollen. Dann heißt es oft: "Ich habe ja nur ein paar Meter bis zu meiner Einfahrt, das ist doch kein Problem." Gleichzeitig steigt das Anspruchsdenken. "Viele sehen uns als Dienstleister", sagt Reimoser. Da kann es schon mal vorkommen, dass die durchgeschwitzten Rettungskräfte, nachdem sie bitte schön einen überfluteten Keller leergepumpt haben, auch noch aufräumen sollen. Offenbar ist vielen gar nicht bewusst ist, dass in den Feuerwehranzügen Ehrenamtliche stecken, die ihre Freizeit opfern, um anderen zu helfen.

"Die Sensationsgier ist gestiegen", sagt der Kreisbrandmeister

Immer mehr Behinderungen gibt es auch durch Gaffer, die Unfälle mit Handy-Kameras festhalten. Sogar, als ein Mann von einem hohen Baugerüst tödlich abgestürzt war, hielten Passanten mit Kameras drauf. "Die Sensationsgier ist gestiegen", stellt Reimoser fest. "Auch bedingt durch die neuen Medien." Das hat nichts mit körperlicher Gewalt zu tun, ist aber auch eine alarmierende Form der Rücksichtslosigkeit und des mangelnden Respekts.

Gewalt gegen Retter: Rettungsdienstleiter Dennis Behrendt.

Rettungsdienstleiter Dennis Behrendt.

(Foto: BRK)

Von dieser Entwicklung bleiben Schulen, Gerichte und Behörden nicht verschont. "Der Respekt vor staatlichen Autoritäten schwindet", stellt Landrat Stefan Löwl fest. Deswegen begrüßt der CSU-Politiker auch die Gesetzesverschärfung; leider sei sie notwendig. Im Landratsamt kommt es immer wieder vor, dass Leute lautstark auftreten, zum Beispiel wenn das Jugendamt Sorgerechtsfragen zu entscheiden hat. Das wühlt die Menschen auf, das war schon immer so, man kann es ja auch verstehen, aber jetzt - und das ist neu - drohen die Betroffenen "sehr schnell Gewalt an", persönlich, in Briefen oder über die sozialen Netzwerke. Manche Drohungen nehmen die Mitarbeiter ernst, manche nicht. Bei schwierigen Kunden sitzt manchmal ein Kollege mit im Raum, sicherheitshalber. Einige Bürger haben sogar Hausverbot und dürfen erst nach vorheriger Anmeldung rein. Im Extremfall warten Polizisten im Haus, bis ein "Konflikttermin" beendet ist. "Die Sicherheit unserer Mitarbeiter geht vor", sagt Löwl.

Vor fünf Jahren erschoss ein Kleinunternehmer im Dachauer Amtsgericht einen Staatsanwalt. Das war ein Schock, der viel im Umgang zwischen Bürgern und Behörden verändert hat. Die Sicherheitsmaßnahmen an den Gerichten wurden verschärft, seitdem gibt es Taschenkontrollen und Scans mit Metalldetektoren. Auch im Landratsamt geht es jetzt strenger zu. Nicht jeder kann mehr zu jeder Zeit überall hineinspazieren. Sogar über eine Sicherheitsschleuse wurde bereits diskutiert, Ergebnis negativ. "Wir wollen uns ja auch nicht völlig abschotten."

Was ist los mit dieser Gesellschaft, die Helfer bedroht?

Bleibt die Frage: Was ist los mit dieser Gesellschaft, in der Bürger Staatsdiener attackieren und sogar ehrenamtlichen Helfer bedrohen? Der Landrat mutmaßt, dass sich ein überschießender Individualismus Bahn breche, jeder schaue nur noch auf seine eigenen Interessen. Dazu komme eine "komplexitäre Überforderung". Einfacher gesagt: Viele Entscheidungen können die Betroffenen nicht mehr nachvollziehen. Nicht immer kommt bei korrekter Anwendung des Verwaltungsrechts das heraus, was die Leute erwarten.

BRK-Rettungsdienstleiter Dennis Behrendt hat den Eindruck, dass inzwischen viele Menschen im Landkreis unter extremem Zeitdruck stehen. "Alles ist bis auf die letzte Sekunde durchgetaktet." Noteinsätze stören den Ablauf, das erzeugt Stress, die Leute verlieren die Nerven, werden aggressiv. Inspektionsleiter Thomas Rauscher gibt die Hoffnung trotzdem nicht auf, dass die Vernunft doch noch obsiegt: "Es wäre für die Polizeibeamten, die Tag und Nacht für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in Stadt und Landkreis unterwegs sind, sehr hilfreich, wenn sich die Haltung durchsetzt, dass Gewalt generell nie eine gute Lösung ist."

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