SZ-Serie: Influencer im Landkreis, Folge 7:Der gute Stoff

Kathrin Mehringer besitzt ein Nähmaschinenfachgeschäft in Dachau. Als sie im vergangenen Jahr wegen Corona ihren Laden schließen muss, fängt sie an, ihren Instagram-Kanal auszubauen. Dort gibt sie Nähkurse oder Einblicke in ihren Alltag - mit einem gewaltigen Echo.

Von Katja Gerland, Dachau

Betritt man das Nähmaschinen-Fachgeschäft Mehringer in der Dachauer Sudetenlandstraße, wirken die gemusterten Stoffe und farbigen Garne, die sich auf den Regalbrettern stapeln, wie ein stechender Kontrast zu dem trüben Wetter vor der Ladentür. Zwischen den Wandregalen sitzt Geschäftsführerin Kathrin Mehringer, die schwarzen schulterlangen Haare hinter die Ohren gekämmt, vor ihrer Nähmaschine. Sie lässt die Nadel der Maschine über einen schwarzen Stoff fahren, bis die Silhouette eines Pullovers zu erkennen ist. "Und immer die Stoffbahnen übereinanderlegen", erklärt sie und schaut in eine Handykamera, die das Geschehen für ihren Instagram-Kanal dokumentiert. Mehringer spricht dabei so ruhig, als hätte sich die Szene schon etliche Male ähnlich abgespielt. Dabei ist es erst einige Monate her, dass sie nicht mehr nur in ihrem Fachgeschäft, sondern auch in den sozialen Medien täglich zu finden ist.

Mitte März vergangenen Jahres, als klar wurde, dass pandemiebedingt nur noch systemrelevante Geschäfte öffnen dürfen, musste auch Mehringer ihren Laden schließen. "Das Persönliche geht seitdem natürlich ab", sagt die 40-Jährige. "Den Kopf in den Sand stecken" sei jedoch keine Option gewesen, dafür sei sie von Grund auf zu positiv, erzählt sie. Also verlegte sie das Tagesgeschäft ihres Fachhandels kurzerhand in die sozialen Medien. Bilder von neuen Stoffen, Instagram-Storys mit Einblicken in ihren privaten Alltag, Nähkurse als Live-Videos - das alles ist nun auf ihrem Instagram-Profil zu finden. Die Abonnentenzahlen zeigen: Der Schritt hat sich gelohnt. Mit über 1500 Nähbegeisterten hat sich ihre Followerzahl im vergangenen Jahr verdoppelt, ihre Nähvideos haben dort bis zu 1700 Aufrufe. Und auch geografisch wachse die Reichweite, erzählt die Einzelhändlerin. Während anfänglich vor allem Kunden ihres Fachgeschäfts auf "Abonnieren" klickten, folgten ihr mittlerweile Menschen aus vielen Teilen Deutschlands, sagt Mehringer, die das Stativ, das gerade noch ihr Smartphone gehalten hat, beiseite räumt.

"Sie ist da mit Herz und Seele dabei, im Laden und auf Instagram"

Sie ist zu einem Social-Media-Profi geworden. Während sie anfangs nur mit dem Smartphone filmte, fotografierte und postete, ist sie nun mit Lichtboxen, einer Kamera und einem Mikrofon ausgestattet. Die Fülle an Equipment lässt erahnen, dass hinter den Bildern und Videos auf Instagram harte Arbeit steckt. Täglich verbringt Mehringer einige Stunden damit, neue Inhalte für ihren Kanal zu produzieren. "Das alles auf dem Schirm zu haben ist für den Kopf sehr anstrengend", gibt sie zu. "Aber wenn ich mich schon fünf Mal vor der Kamera versprochen habe, merke ich, das war's für heute", schickt sie mit einem breiten Lächeln hinterher.

Dass ihr das tägliche Posten dennoch Freude bereitet, liegt vor allem an der Resonanz ihrer Zuschauer. "Kein einziges negatives Feedback" habe sie bisher erhalten, sagt Mehringer stolz. Deshalb baue sie schnell eine persönliche Beziehung zu ihren Abonnenten auf. "Für mich ist das wie eine Familie. Ich freue mich über jeden, der neu dazukommt." Mehringer weiß, dass das positive Echo nicht selbstverständlich ist; oftmals flutet der Hass die Kommentarspalten in den sozialen Medien. Ein konkretes Erfolgsrezept hat Mehringer nicht. Sie gibt sich auf Instagram einfach authentisch: "Ich bin dort genauso, wie ich im echten Leben bin. Entweder man kann etwas mit meiner Art anfangen oder eben nicht", sagt sie. Iris Komninis, Mehringers Angestellte und langjährige Freundin, sieht darin den Grund für den Erfolg ihrer Kollegin. "Das macht einfach die Person Kathrin aus", sagt Kominis, "sie ist da mit Herz und Seele dabei, im Laden und auf Instagram".

Obwohl die Arbeit im Nähmaschinen-Fachgeschäft auf den ersten Blick nur wenig mit den Mechanismen der sozialen Medien zu tun hat, weiß Mehringer, wie sie ihre zwei Welten miteinander verbinden kann. Beides sei sehr schnelllebig, schildert die 40-Jährige. In ihrem Laden müsse sie eine "schnelle Entscheiderin" sein. Ständig gebe es neue Trends; Stoffmuster und -farben seien so rasch "Out", wie sie "In" werden. "Da muss man sofort entscheiden, ob man auf den Zug aufspringt oder es lässt." Auf Instagram geht sie ähnlich vor. Was sie dort postet, entscheide sie in Sekundenschnelle, "und das alles wird sofort umgesetzt", sagt sie. Nachdem die Szene ausgeleuchtet, das Stativ platziert und das Video oder Foto im Kasten ist, landet es auch schon auf Instagram. "Zack Bum, und schon ist es online."

"Zack Bum, und schon ist es online"

Dass Mehringer mit diesen Beiträgen immer mehr Einfluss auf ihre Abonnenten gewinnt, macht sich nicht nur durch den Widerhall in den Kommentarspalten bemerkbar. Auch ihr Fachgeschäft profitiert von der steigenden Reichweite. "Mittlerweile kommen sogar Bestellungen aus Hamburg rein", erzählt sie. Wenn Mehringer auf Instagram zeigt, wie sie aus einem Stoff ein neues Kleidungsstück macht, ist dieser in ihrem Geschäft nach kurzer Zeit ausverkauft. "So viel habe ich gar nicht, wie die Leute wollen", sagt sie und lacht. Dass ihre Abonnenten nicht nur liken und kommentieren, sondern auch Stoffe und anderes Nähzubehör bestellen, sei in den vergangenen Monaten eine große Hilfe gewesen. "Bei uns läuft es trotz Corona richtig gut."

Kooperationsanfragen von Firmen, die Mehringer als Werbegesicht für ihre Produkte gewinnen möchten, kann sie deshalb getrost ablehnen. Schließlich sei es einfach nicht ihre Art, sich für eine Werbung zu verstellen, auch, wenn Firmen mit viel Geld lockten, findet die 40-Jährige. "Mir ist es viel wichtiger, zu sehen, wie jemand etwas aus meinen Videos näht, als mit Instagram dazu zu verdienen."

Obwohl ihr Instagram-Kanal immer ein Hobby bleiben und, wie sie betont, nie zur Pflicht werden solle, schmiedet die Fachhändlerin schon Zukunftspläne für ihr digitales Auftreten. Die täglichen Postings will sie auch beibehalten, wenn ihr Nähmaschinen-Fachgeschäft wieder ohne Einschränkungen öffnen darf. Schließlich folgen ihr nun auch viele Menschen, die nicht im Landkreis Dachau wohnen und auf einen Ratsch im Geschäft vorbeikommen können. Wie sie den Arbeitsalltag in der Sudetenlandstraße und ihren Instagram-Kanal dann zeitlich unter einen Hut bringen möchte, das wisse sie noch nicht. "Aber ich mache dann schon das Beste draus", sagt Mehringer, während sie mit ihrem Smartphone in der Hand auf die nächste Benachrichtigung wartet.

Zur SZ-Startseite
Dachauer Influencer Josef Schilcher

SZ-Serie: Influencer im Landkreis, Folge 2
:"Likes sind quasi eine eigene Währung"

Seinen Lebensunterhalt verdient der Indersdorfer Josef Schilcher durch das Produzieren von Videos und Fotos, viele davon macht er für andere Influencer. Trotzdem hat er zu den sozialen Netzwerken eine Hassliebe entwickelt.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: