Neues Buch von Dachauer Autor:"Marie Curie wurde fast hysterisch diskriminiert"

Neues Buch von Dachauer Autor: Die polnisch-französische Wissenschaftlerin Marie Curie erhielt 1903 zusammen mit dem französischen Physiker Henri Becquerel den Nobelpreis für Physik, 1911 erhielt sie auch noch den Nobelpreis für Chemie.

Die polnisch-französische Wissenschaftlerin Marie Curie erhielt 1903 zusammen mit dem französischen Physiker Henri Becquerel den Nobelpreis für Physik, 1911 erhielt sie auch noch den Nobelpreis für Chemie.

(Foto: DB dpa/dpa)

Michael Böhm, bekannt für seine Kriminalromane, legt eine ganz persönliche Auswahl von "Lebensbildern bemerkenswerter Frauen" vor. Sie sind nicht nur fein erzählt, sondern zeigen auch, gegen welche Widerstände sich Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen und Regentinnen durch die Jahrhunderte behaupten mussten.

Von Gregor Schiegl, Dachau

Vor drei Jahren brachte der Dachauer Krimiautor Michael Böhm ein Buch heraus, in dem es ausnahmsweise mal nicht um Kommissare, Mörder und finstere Strippenzieher ging, sondern um Persönlichkeiten der Geschichte: Friedrich Schiller, Heinrich der Seefahrer und der mysteriöse Philosoph Roderich Axtner und viele mehr erweckte er in 25 szenischen Porträts zum Leben. Die "kleine Galerie unsterblicher Namen" - so lautete der Untertitel des Buches mit dem blumigen Titel "Träume am Ende des Weges" - war eine unterhaltsame Mixtur aus Sachbuch und Belletristik. Berühmte Frauen suchte man darin allerdings vergeblich. Hatte Michael Böhm sie ausgeblendet? Ignoriert? Gar vergessen?

Nun ist der Nachfolgeband fertig: "Die Sanduhr in meinem Kopf. Eine kleine Galerie von Lebensbildern bemerkenswerter Frauen". Geht doch! Darin zu lesen sind 25 Geschichten über 27 starke Vertreterinnen des ganz und gar nicht schwachen Geschlechts, darunter Hildegard von Bingen, Käthe Kollwitz, Therese Giehse, die schwarze NASA-Ingenieurin Mary Jackson und die legendäre Sopranistin Maria Callas. Ihr wollte man zunächst keine Gesangsausbildung geben. Wegen ihrer pummeligen Figur und ihrer unvorteilhaften Brille. Kaum vorstellbar, dass jemand so etwas beim einem Luciano Pavarotti gestört hätte.

"Es ist doch so", schreibt der Autor in einer Art Nachwort. "Jede Frau, zu allen Zeiten, wollte sie Achtung und Anerkennung für ihre Leistung erhalten, musste um einiges besser sein als ihre männlichen Kollegen, dazu oft auch noch Glück haben." Von Marie Curie kann man nicht mal das behaupten. Ihr Mann Pierre wurde von einem Fuhrwerk zermalmt, sie selbst starb mit nur 53 Jahren an Leukämie einsam in der Schweiz, vermutlich infolge radioaktiver Verstrahlung. Zeitlebens schlug ihr Ablehnung entgegen. Weil sie eine Frau war. Weil sie eine polnische Immigrantin war. Weil man ihr andichtete, Jüdin zu sein: Sexismus und Rassimus Hand in Hand. "Marie Curie wurde fast hysterisch diskriminiert, durchlebte lange Phasen der Depression, wurde stachlig wie eine Distel", resümiert Böhm. Und dennoch entdeckte sie zwei neue chemische Elemente, sie ist bis heute die einzige Frau mit zwei Nobelpreisen in zwei verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen.

Seine Heldinnen rückt Böhm nie ins grelle Scheinwerferlicht, wo man vor lauter Glanz kaum mehr einen menschlichen Zug erkennen kann. Meist begegnet man ihnen in einer fortgeschrittenen Phase ihres Lebens daheim im privaten Ambiente. Hier gibt es keine Dramen mehr, keine großen Posen, keine Gefühlsausbrüche, dafür kleine Gesten, bedeutungsvolle Blicke, ein über das Gesicht huschendes Lächeln bei der Erinnerung an die schönen Momente der eigenen Lebensgeschichte, und man darf ganz nah dabei sein und mit lächeln und manchmal auch mit leiden, wie ein alter Freund.

Im Beitrag über Marilyn Monroe stellt er die Beziehung mit dem Schriftsteller Arthur Miller in den Mittelpunkt. Die Verletzlichkeit der Monroe und ihre unüberwindbare Einsamkeit wird in dem ewigen Hin und Her aus vorsichtiger Annäherung und panischer Distanzierung nachvollziehbar, plötzlich glaubt man sogar zu verstehen, warum ihr Song "I wanna be loved by you" immer so traurig klingt. Marilyn und die Liebe, das wollte einfach nicht zusammengehen. Mit keinem Wort geht Böhm auf die dubiosen Umstände ihres Todes ein, die bis heute wilde Verschwörungstheorien befeuern. Das spricht für den Autor und seinen respektvollen Umgang mit seinen Heldinnen.

Manchmal überlässt der Autor das Erzählen seinen eigenen Figuren

"Ich habe bei allen Geschichten versucht, die Frauen so zu zeichnen, dass ihre Einmaligkeit, ihre Besonderheit deutlich wird", schreibt Michael Böhm in seinem Buch. Man muss sagen, dass ihm das weitestgehend gelungen ist. Mit Daten und Lebensstationen geht Böhm sparsam um - dafür gibt es ja Wikipedia - ihm geht es darum, die Frauen erlebbar zu machen wie Figuren eines Romans. Das geht natürlich nicht ohne ein gerüttelt Maß an Fantasie und daraus macht Böhm auch gar keinen Hehl: "Ich stelle der Leserin, dem Leser ein Angebot zur Ansicht, die nicht geteilt werden muss, die anders sein kann, die jedoch Ansporn geben möge, sich weiter mit der einen oder anderen Protagonistin eingehender zu beschäftigen."

Den fiktionalen Charakter seiner Szenen unterstreicht er noch dadurch, dass er bisweilen sogar seine eigenen Romanfiguren als Erzähler auftreten lässt, der mordlustige Dr. Leo Petermann etwa oder der knorrige Fotograf Sixtus Adlmaier. Letzterer hat - was für eine hübsche Idee - ein Tête-à-Tête mit den Geistern der Kaiserin Sisi und ihrer berühmtesten Darstellerin, Romy Schneider, auf der Roseninsel im Starnberger See. Eine Sonderstellung nimmt die Episode über die Schriftstellerin Luise Rinser ein. Sie hat Böhm tatsächlich persönlich getroffen.

Neues Buch von Dachauer Autor: Ihre virtuose Stimme und die einzigartige Koloraturtechnik machten Maria Callas weltberühmt. Sie starb 1977 in Paris.

Ihre virtuose Stimme und die einzigartige Koloraturtechnik machten Maria Callas weltberühmt. Sie starb 1977 in Paris.

(Foto: dpa)
Neues Buch von Dachauer Autor: Die Grafikerin und Bildhauerin Käthe Kollwitz (1867-1945).

Die Grafikerin und Bildhauerin Käthe Kollwitz (1867-1945).

(Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)
Neues Buch von Dachauer Autor: Marilyn Monroe auf einer Aufnahme rund um das Jahr 1953.

Marilyn Monroe auf einer Aufnahme rund um das Jahr 1953.

(Foto: imago stock/imago/Cinema Publishers Collection)

Erfreulicherweise differenziert Böhm gewissenhaft zwischen Fakten, posthumen Zuschreibungen und Spekulationen. Wenn Böhm sich Szenen nach eigener Vorstellung zusammenspinnt, verrät er dies oft schon durch sprachliche Signale wie "Ich sehe" oder "Ich denke mir". Nur in der Geschichte über Clara Immerwahr verwischen Wahrheit und Legende auf nicht ganz unproblematische Weise. Clara Immerwahr war die erste Chemie-Doktorandin in Deutschland und, man muss sagen leider, verheiratet mit Fritz Haber. Der spätere Nobelpreisträger entwickelte nicht nur das für die Welternährung segensreiche Haber-Bosch-Verfahren, sondern auch das Giftgas für die deutsche Armee im Ersten Weltkrieg.

Böhm folgt der Lesart ihrer populären Biografie, wonach sie über die Folgen des Giftgaseinsatzes entsetzt gewesen sei, sich sogar aus Protest gegen das verbrecherische Treiben ihres Mannes selbst erschossen habe; dieses hochdramatische Narrativ begründete ihren Ruf als kämpferische Pazifistin. Das Problem ist nur: Diese Geschichte steht auf äußerst wackeligen Füßen, es gibt sogar eine Quelle, wonach Clara Immerwahr sich sehr stolz über den "erfolgreichen" Einsatz von Habers tödlicher Erfindung geäußert haben soll. Fest steht aber, dass die Ehe der beiden alles andere als glücklich war, Clara Immerwahr musste sogar ihren Beruf aufgeben.

Welche Zumutungen es mit sich bringt, als Frau in einer Männerwelt zu leben, zeigen fast alle Geschichten in diesem Band. Die mit Alexander dem Großen verheiratete Prinzessin Roxane und Mutter seines Sohn wird nach dem frühen Tod ihres Gatten in die blutige Diadochenkämpfe verwickelt, in der sie genauso ruchlos und grausam agiert wie ihre männlichen Gegenspieler - ihr bleibt auch gar keine andere Wahl, wenn sie überleben will. Die rund 2000 Jahre später geborene Amantine Aurore Lucile Dupin de Francueil wählt den einfacheren Weg, sie zog sich Männerkleider an und publizierte fortan unter dem Namen George Sand. Solcher Listen bedienten sich auch schon andere Frauen: Agnodike, die vermutlich erste Ärztin der griechischen Antike, arbeitete undercover als Hebamme, musste sich aber in Männerkleidung in die Häuser ihrer reichen Patientinnen schleichen. Die Geschichten zeigen aber auch, wie viel Frauen beigetragen haben, den Ruhm von Männern zu mehren und zu stützen, oft unter einem hohen persönlichen Opfer; dies gilt insbesondere für Helene Weigel bei Bert Brecht und Clara Schumann bei ihrem Mann Robert.

Neues Buch von Dachauer Autor: Der Dachauer Autor Michael Böhm.

Der Dachauer Autor Michael Böhm.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Warum die erste Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner ebenso wenig in diesem Buch zu finden ist wie die mächtigste Frau der römischen Kaiserzeit Aggripina ist eine müßige Frage. "Bei der Auswahl dieser Lebensbilder haben meine Sympathie und mein Interesse für jede dieser Frauen Pate gestanden", erklärt der Autor. Jeder und jede hätte wohl seine ganz eigene Auswahl an Favoritinnen, und das ist gut so. Es warten noch viele Geschichten bemerkenswerter Frauen darauf, erzählt zu werden. Böhms Buch ist dafür ein wunderbarer Einstieg.

Michael Böhm, Die Sanduhr in meinem Kopf: Kleine Galerie von Lebensbildern bemerkenswerter Frauen. 208 Seiten, Bookspot Verlag, 2022.

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