Bundestagswahl 2025Kanzler der Mehrzweckhalle

Lesezeit: 4 Min.

Mehrmals wird Friedrich Merz bei seinem Auftritt in der Halle des ASV Dachau vom Applaus der Zuhörer unterbrochen.
Mehrmals wird Friedrich Merz bei seinem Auftritt in der Halle des ASV Dachau vom Applaus der Zuhörer unterbrochen. (Foto: Toni Heigl)

Bei seinem Wahlkampfauftritt in Dachau vor rund 700 Unionssympathisanten wird Friedrich Merz empfangen wie ein Heilsbringer. Der CDU-Vorsitzende bekräftigt im Bewusstsein der NS-Geschichte der Stadt sein Versprechen, keine Koalition mit der AfD anzustreben.

Von Helmut Zeller, Dachau

Wahlkampf kann auch schön sein. Zumindest für Friedrich Merz am Samstag in Dachau. Als der Unions-Kanzlerkandidat um 14.06 Uhr die Mehrzweckhalle des ASV betritt, bereiten ihm ungefähr 700 Besucher einen Empfang, als wäre er der Messias. Die Menge jubelt und klatscht sich in einen fast schon religiösen Taumel. Merz schreitet mit seinem Tross durch den Mittelgang zur Bühne am Ende des großen Saals, ergreift im Vorbeigehen Hände, die sich aus der Masse nach dem Erlöser aus dem Sauerland strecken. Die Türkenfelder Blaskapelle schmettert den Bayerischen Defiliermarsch.

Der Begeisterungssturm zeichnet ein Lächeln in das Gesicht des CDU-Politikers. Es wird den ganzen Auftritt über dort stehen bleiben.  Der Zuspruch tut Merz sichtlich gut – nach den massiven Protesten gegen den von ihm herbeigeführten Abstimmungseklat mit der AfD vor zwei Wochen im Bundestag.

Erst Sicherheitskonferenz, dann Dachau

CDU und CSU hatten die Stimmen der in Teilen rechtsextremen Partei in Kauf genommen, um gegen SPD und Grüne einen Entschließungsantrag und zwei Tage später einen allerdings gescheiterten Gesetzentwurf für eine verschärfte Migrationspolitik durchzubringen. Das brachte dem CDU-Vorsitzenden den Vorwurf ein, den Weg zu einer Enttabuisierung der Zusammenarbeit mit Rechtsextremen den Weg geebnet zu haben.

Etwa 5000 Menschen demonstrierten allein in Dachau, Hunderttausende in anderen deutschen Städten. Auf die Kritik der Kirchen reagierte CSU-Chef Markus Söder, Bayerns Ministerpräsident, barsch. Er drohte ihnen indirekt mit Geldentzug und Isolation im Freistaat. In Dachau billigte die CSU-Basis das Vorgehen von Merz, auch die CSU-Wahlkreisabgeordnete Katrin Staffler hatte im Bundestag mitgestimmt, aber dennoch machte sich die Sorge breit, wie sich die hitzige Debatte auf die Umfragewerte der Union auswirken würde. Das hat sie nicht getan.

Merz behauptet, die SPD habe eine Kampagne gegen ihn vorbereitet

Beim Wahlkampfauftritt in Dachau streift Merz das Thema nur noch kurz. „Hätten wir“, sagt Merz, „unseren Gesetzentwurf zurückziehen sollen, nur weil die Ampelregierung zerbrochen ist, weil möglicherweise die AfD zustimmt? Nein!“ Unter den Besuchern brandet Applaus auf. Die SPD hätte dem Entwurf zustimmen können, warum habe sie es nicht getan, fragt Merz und gibt selbst eine Antwort: Er behauptet, die SPD habe eine Kampagne gegen die Union und ihn vorbereitet und diese nicht mehr zurückziehen wollen. „Ich sage das in einer Stadt mit dem Namen Dachau bewusst: Die Leichtfertigkeit des Umgangs mit Extremisten und die Unfähigkeit, die Probleme zu lösen, waren der Grund für die Zerstörung der Weimarer Republik.“ Dann bekräftigt Merz, was er seit zwei Wochen pausenlos erklärt: Es werde nach der Wahl „auf gar keinen Fall eine Koalition mit der AfD“ geben, auch keine Art von Zusammenarbeit mit einer Partei, die auf dem Schoß Putins sitze.

Aber so schnell wird Merz mit Dachau, dessen Name weltweit für die nationalsozialistischen Verbrechen steht, nicht fertig. US-Vizepräsident J. D. Vance hatte am Donnerstag die KZ-Gedenkstätte mit seiner Frau besucht. Der Gast zeigte sich beeindruckt und sagte, das ehemalige Konzentrationslager verdeutliche, „warum wir uns dafür einsetzen sollten, dass so etwas nie wieder geschieht“. Den Tag darauf, auf der Münchner Sicherheitskonferenz, dann der Paukenschlag: Vance sprach kaum über den Krieg Putins gegen die Ukraine, er las den politischen Eliten Europas die Leviten. Die europäischen Regierungen bauten die Demokratie zurück, beschränkten die Meinungsfreiheit als ihren substanziellen Kern, so Vance. Er warb, wie schon Tech-Milliardär und Trump-Berater Elon Musk, für eine Zusammenarbeit mit der AfD, mit einer Partei, die eben die deutsche Erinnerungspolitik als Säule der Demokratie zum Einsturz bringen will. Das war nach der 20 Minuten langen Unterredung zwischen Merz und dem US-Vizepräsidenten, von der bekannt ist, dass Fast-Kanzler Merz Vance einen Vorschlag für Frieden in der Ukraine unterbreitet haben soll. Die Privataudienz der AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel bei Vance soll 30 Minuten gedauert haben.

Händeschütteln bei der Begrüßung.
Händeschütteln bei der Begrüßung. (Foto: Toni Heigl)
In die Hände klatschen bei der Rede.
In die Hände klatschen bei der Rede. (Foto: Toni Heigl)
Auch Dachauer und Fürstenfeldbrucker CSU-Mitglieder sind begeistert.
Auch Dachauer und Fürstenfeldbrucker CSU-Mitglieder sind begeistert. (Foto: Toni Heigl)

Merz kommt gerade von der Sicherheitskonferenz, auf der er, wie verschiedene Beobachter meinen, außenpolitisch eine gute Figur gemacht hat. Merz hatte in München Vance für seine Äußerungen als „fast schon übergriffig“ gerügt, in der ASV-Halle stutzt er den US-Politiker völlig zurecht. „Er hat in seiner Rede alles auf den Kopf gestellt, was wir mit den Amerikanern in 75 Jahren auf den Weg gebracht haben.“

In München wurde Merz auf einer Podiumsdiskussion von der Moderatorin bereits als „Kanzler“ angesprochen – das sorgte für Heiterkeit, auch Freude beim Kandidaten, vielleicht kommt er deshalb so beschwingt nach Dachau. „In acht Tagen und vier Stunden gibt es die erste Hochrechnung“, sagt Merz. In der ASV-Halle ist der Ausgang der Wahl ohnehin schon klar: Merz ist der Bundeskanzler. Und er weiß auch, wie Europa auf die Zumutungen der Trump-Regierung antworten soll: Mit einer geschlossenen, starken europäischen Antwort, bei der Deutschland, also er, die führende Rolle übernehmen müsse. „Ohne uns wird Europa scheitern.“

Das Publikum unterbricht Merz immer wieder durch stürmischen Applaus. Besonders gut kommt die Aussage von Merz an, dass mit einer Vier-Tage-Woche und Work-Life-Balance der Wohlstand in Deutschland nicht bewahrt werden könne. Da spielt es keine Rolle mehr, dass Untersuchungen ergaben, dass gerade eine flexible Arbeitszeitgestaltung zu einem Abbau des Krankenstandes und zu einer Steigerung der Produktivität führen könnten. Manche, meint Merz, sähen Arbeit nur noch als Unterbrechung der Freizeit. Arbeit aber sei doch viel mehr, Broterwerb, Selbstverwirklichung und Leidenschaft. „Mir macht es Spaß, auf dieser Bühne zu stehen.“

Für die Direktkandidatin und Wahlkreisabgeordnete Katrin Staffler ist der Auftritt von Merz die beste Werbung.
Für die Direktkandidatin und Wahlkreisabgeordnete Katrin Staffler ist der Auftritt von Merz die beste Werbung. (Foto: Toni Heigl)

Das Stimmungsbarometer steigt, als Merz gegen das Bürgergeld wettert. Schon der Name müsse weg, findet er. Von 5,6 Millionen seien 1,7 Millionen arbeitsfähig. Wieder tobender Applaus. Was Merz nicht sagt: Wirtschaftsexperten erklären, dass es angesichts der schwächelnden Wirtschaft Jahre dauern werde, die 1,7 Millionen Menschen in Arbeit zu bringen. Auch die örtlichen CSU-Funktionäre, die in den abgetrennten zwei, drei Stuhlreihen direkt vor der Bühne sitzen, etwa Landtagsabgeordnete und Landräte aus den Landkreisen Fürstenfeldbruck und Dachau, zeigen einen beseelten Gesichtsausdruck – einer adelt die Rede von Merz schon als „Regierungserklärung“.

Einen Coup aber landet die Bundestagsabgeordnete und Direktkandidatin Katrin Staffler. Der Auftritt des CDU-Chefs ist natürlich auch für sie die beste Werbung im Wahlkampf. Aber sie gibt Merz, der bei den weiblichen Wählern nicht gerade beliebt sein soll, noch viel mehr zurück. Sie dankt ihm in ihrer Begrüßungsrede dafür, dass er als Bundestagsfraktionschef sie als junge Mutter, die ihr Kind immer in den Bundestag mitgebracht habe, unterstützt und so manches Mal ein Auge zugedrückt habe. Der Saal kocht. Der Applaus schmerzt schon fast in den Ohren.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Vor Münchner Sicherheitskonferenz
:J. D. Vance besucht KZ-Gedenkstätte Dachau

Der US-Vizepräsident bezeichnete Donald Trump einst als „Hitler“. Jetzt hat er im ehemaligen Konzentrationslager Dachau gemahnt, dass sich Verbrechen wie die der Nationalsozialisten nie wiederholen dürften.

SZ PlusVon David Kulessa

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: