Quartiersentwicklung:Schritt für Schritt zur Neustadt

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Auf dem MD-Gelände soll ein neues Dachauer Viertel entstehen. Während die Abrissarbeiten laufen, fordert der Investor, das Bebauungsplanverfahren zu starten. Doch die Politik will sich nicht unter Druck setzen lassen.

Von Thomas Radlmaier, Dachau

Auf dem MD-Gelände am Fuße der Dachauer Altstadt geht es in die Tiefe. Bagger schlagen ihre Schaufeln in den Boden, Abbruchhammer dreschen auf Betonplatten ein, die den Untergrund des Areals pflastern. Brecher zermalmen Fundamente und schütten das Gestein zu Hügeln zusammen, die sich über die gesamte Fläche verteilen und von Lastwagen und Bulldogs weggeschafft werden, Ladung für Ladung. Auf Drohnenfotos sieht das geschäftige Treiben rund um die kleinen Berge aus, als ob jemand in Ameisenhaufen gestochen hätte.

Ende Gelände. Auf dem Areal der alten Papierfabrik, die von 1862 bis 2007 in Betrieb war, stehen nur noch die denkmalgeschützten Gebäude an der Ludwig-Thoma-Straße und Konrad-Adenauer-Straße. Die alten Produktionshallen oder das markante Heizkraftwerk sind verschwunden. Die oberirdischen Abbrucharbeiten sind beendet. Doch unterirdisch schlummern Überraschungen, die nun ans Tageslicht kommen.

Ein großer Teil des Hauptgeländes ist unterkellert. Die Bodenplatten sind bis zu 90 Zentimeter dick. Und damit "um einiges größer, als wir es angenommen hatten", sagt David Christmann, Sprecher der Geschäftsführung der Isaria München Projektentwicklungs GmbH. Der Münchner Isaria, die 2020 vom Konzern Deutsche Wohnen aufgekauft wurde, gehört das Gelände. Sie will hier auf insgesamt 17 Hektar ein neues "urbanes Stadtviertel" bauen. Die Gebäude der alten Papierfabrik seien auf "erheblichen Fundamenten" gestanden, sagt Christmann. Schließlich hätten sie das Gewicht massiver Maschinen und Papierrollen tragen müssen. Jetzt bricht schweres Gerät die Platten einzeln ab und meißelt sie auf. Der unterirdische Abbruch sei "echt lästig", sagt Christmann. Neben der Bodensanierung steht nun auch die Grundwasserfiltrierung an. Zudem will Isaria den Mühlbach, der durch das Areal fließt, in ein neues Bett verlegen, um an seiner jetzigen Stelle den Boden zu reinigen. Anschließend soll der Bach wieder sein ursprüngliches Bett bekommen. Ein "aufwendiges Verfahren", wie Christmann sagt. Doch er betont, man sei insgesamt "komplett im Zeitplan". Bis Ende 2022 soll das Baufeld - wie der ehemalige Holzlagerplatz im Süden des Hauptgeländes - vollkommen saniert sein. Dann könnte theoretisch gebaut werden.

Zumindest wenn es nach der Isaria geht. Der Investor hofft, bis dahin Baurecht zu haben. Dabei sind die Quartiersentwickler allerdings auf die Stadt Dachau angewiesen. Der Stadtrat muss erst einmal einen Bebauungsplan für das MD-Gelände aufstellen. Einen Vorentwurf lehnten die Stadträte im Februar 2020 ab. Die Fraktionen sahen einige Probleme in dem Vorentwurf. Die CSU beharrte auf mehr Parkplätze. ÜB, FDP und Bündnis kritisierten im vergangenen Jahr das angedachte Verhältnis zwischen Wohnen und Gewerbe auf dem Gelände; bislang ist vorgesehen, auf 60 Prozent der bebaubaren Fläche Wohnungen zu errichten, auf den restlichen 40 Prozent soll sich Gewerbe ansiedeln. Inzwischen gab es mehrere Gespräche zwischen Isaria und der Stadt. Christmann betont das "gute Verhältnis" mit der Kommune. Dennoch macht er vorsichtig Druck auf die politischen Entscheider. Die Stadt habe Mühe, jetzt den Punkt zu finden, sagt er. "Wir müssen schauen, dass wir ins Verfahren kommen." Es gehe darum, "den Spannungsbogen zu halten" und den Dachauern eine Perspektive zu eröffnen. Das sei aber momentan nicht möglich.

Die Entwicklung des MD-Geländes wird die Stadt für das nächste Jahrhundert prägen. Vor diesem Hintergrund will sich Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) nicht unter Druck setzen lassen. Man sehe noch "Verbesserungsbedarf" im Bebauungsplan, sagt er. Es gehe um grundsätzliche Dinge, wie ökologische oder verkehrliche Themen. Oder aber die Fragen, wie viele Menschen dort einmal wohnen werden - aktuell sind fast 1000 Wohneinheiten geplant - und welches Gewerbe sich ansiedeln sollte. Bei der immensen Bedeutung, die das Gelände für die ganze Stadt habe, sei es eben sehr wichtig, auch Details vorab schon zu klären, sagt Hartmann. "Das muss alles sitzen." Erst wenn all diese Dinge klar seien, werde man das Bebauungsplanverfahren starten. "Wir wollen einfach sichergehen, dass es ein attraktives Areal für die Dachauer wird und diese davon einen Mehrwert haben", sagt der OB. Er sieht die Isaria jetzt am Zug.

Ein Knackpunkt in den Gesprächen der Stadt mit der Isaria ist das Thema Gewerbeansiedlung. Entsprechend der bisherigen Pläne sind die Gewerbeflächen auf dem MD-Gelände entlang der Bahntrasse angeordnet. Sie sollen als Lärmschutz dienen für die westlich gelegene Wohnbebauung. Das bedeutet, dass Menschen die Wohnungen erst beziehen können, wenn die gewerblichen Bauwerke entlang der Bahn stehen. Unklar ist, welche Betriebe sich dort ansiedeln sollen. Die Stadt hätte gerne produzierendes Gewerbe, also Unternehmen, die für Arbeitsplätze und Gewerbesteuereinnahmen sorgen. Auch Isaria kann sich "leicht produzierendes Gewerbe" auf dem MD-Areal vorstellen. Geschäftsführer-Sprecher Christmann nennt als Beispiele Schreinereien oder Schlossereien. Doch es brauche auch "höherwertiges Gewerbe", zum Beispiel Labortechnik oder Architektur- und Agenturbüros. Christmann spricht von einer "Mischung aus kleinem und großen Gewerbe". Es gibt auch die Idee, dass die Stadt die sogenannten Maierschen Terrassen im Bereich zwischen Erich-Ollenhauer-Straße, Freisinger Straße und Bahnlinie von Isaria abkauft. Dann könnte sie selber bestimmen, welche Unternehmen sich dort ansiedeln sollen. Eine Entscheidung steht noch aus. Inhaltlich sind Stadt und Isaria beim Thema Gewerbe vielleicht gar nicht so weit auseinander. Uneinig ist man sich eher, welcher Schritt zuerst gemacht werden soll. Die Stadt würde gerne jetzt sicherstellen, welches Gewerbe sich konkret ansiedeln soll, und dann einen Bebauungsplan aufstellen. So kann sie weiter mitreden. Isaria dagegen ist der Meinung, dass sich diese Frage dann später immer noch klären lässt.

Dass der Start des Bebauungsplanverfahrens für die Eigentümer der zwingende nächste Schritt ist, wurde auch am Dienstag in der Sitzung des Bau- und Planungsausschusses deutlich. Das Bündnis für Dachau hatte in einem Antrag gefordert, dass die Stadt zusammen mit der Isaria ein temporäres Freiflächennutzungskonzept für eine öffentliche Zwischennutzung von Teilbereichen des MD-Geländes erarbeitet. Darin enthalten sein sollten ein temporärer Geh- und Radweg entlang der Bahn und eine temporäre Erholungsfläche an der Amper. "Bis das Gelände vollständig bebaut werden kann, gehen noch ein bis zwei Jahrzehnte ins Land", schrieb Stadtrat Kai Kühnel in dem Antrag. In der Ausschusssitzung wurde nun die Antwort der Isaria bekannt. Darin heißt es, man sei der Ansicht, "dass eine Flächenbeanspruchung für Zwischennutzungen erst sinnvoll beurteilt werden kann, wenn dass Bebauungsplanverfahren eine hinreichende Planungsreife erreicht hat". Kühnel zeigte sich enttäuscht darüber. Es sei schade, dass sein Antrag "ins Leere gelaufen" sei, sagte er.

Die Isaria ist gedanklich schon weiter. Sie hat schon viele, eigene Ideen. Prägend für das gesamte Gelände soll das sogenannte "Mühlenforum" vor der Kalanderhalle werden, ein attraktiver Quartiersmittelpunkt als Kultur- und Begegnungsstätte. Dort sollen ein Museum, ein Café und Gastronomie entstehen. Es soll Plätze für Urban Gardening geben. Mit dem Wasser des Mühlbachs könnte an dieser Stelle kleiner See gebildet werden. "Wir können uns auch vorstellen, am Mühlbach eine Surfwelle wie am Eisbach im Englischen Garten zu errichten", sagt Christmann. Bis die ersten Surfer in Dachau die Mühlbach-Welle reiten, dürfte allerdings noch viel Wasser die Amper hinunterlaufen. Aktuell ist das nicht mehr als eine schöne Vision. Surfer würden vielleicht sagen würden: Hang Loose! Immer locker bleiben!

© SZ vom 12.05.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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