Dachau:Markdurchdringende Schreie

Ein Opfer häuslicher Gewalt schweigt vor Gericht - dank einer couragierten Zeugin kann der Täter aber überführt werden

Von benjamin emonts, Dachau

Fälle häuslicher Gewalt enden meist ergebnislos, erklärt der Staatsanwalt nach der Verhandlung. Zum Einen liege das daran, dass fast immer unabhängige Zeugen und damit wichtige Beweise fehlten. Zum Andern seien die misshandelten Frauen vor Gericht meist so verängstigt und eingeschüchtert, dass sie als Verlobte oder Ehefrau von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen. Die Konsequenz daraus: Die Staatsanwaltschaft muss in vielen Fällen das Verfahren einstellen.

Auch die 30-jährige Frau, die am Dienstag vor das Amtsgericht Dachau geladen ist, verweigert ihre Aussage. Sie wirkt nervös. Der Angeklagte, mit dem sie angeblich seit fünf Jahren verlobt sei, wirft ihr immer wieder strenge Blicke zu. Trotz Zweifeln an der Verlobung, bleibt Amtsrichter Clemens Albert aber keine andere Wahl, als der 30-Jährigen ihr Zeugnisverweigerungsrecht zuzugestehen.

In fast allen Fällen ist nun der Punkt erreicht, an dem die Anklage kaum mehr aufrecht zu erhalten ist. Im vorliegenden Fall aber tritt eine 41-jährige Frau in den Zeugenstand, die in der Nachbarschaft des Angeklagten und seiner Verlobten wohnt. Sie kann sich an den Morgen des 26. Oktober 2014 noch genau erinnern. Gegen 9 Uhr morgens hört sie in der Nachbarschaft Schreie, die so schrecklich klingen, dass sie "markdurchdringend" waren. Die Frau will wissen, was da vor sich geht. Auf der Straße trifft sie auf einen Mann, der an seinem Auto steht. Am Fenster von dessen Haus sieht sie zwei schreiende Kinder. Dann kommt plötzlich eine junge Frau aus dem Haus: "Helfen Sie mir. Bitte rufen Sie die Polizei."

Die Frau hat eine Beule an der Stirn und eine aufgeplatzte Lippe. "Die Situation war mir unheimlich", denkt die Zeugin zurück. Auch sie hat Angst. Trotzdem nimmt sie die verletzte Frau und ihre zwei Kinder mit zu sich nach Hause.

Dort beginnt die 30-Jährige zu erzählen. Von ihrem Verlobten sei sie gerade mit der Faust geschlagen und auf die Treppe geschubst worden - angeblich, weil sie ihr Handy zurück haben wollte und weil sie einen Fisch auf dem Herd verbrennen ließ. Sie erzählt weiter, davon, dass sie schon oft geschlagen worden sei und fast täglich gegen ihren Willen sexuelle Handlungen über sich ergehen lassen müsse. "Mein Partner ist ein Monster, hat sie zu mir gesagt", erinnert sich die Zeugin. Seit Jahren warte die 30-Jährige darauf, dass zwei ihrer Kinder, die in Afrika leben, nach Deutschland geholt würden. Das hätte ihr Verlobter versprochen.

Die 41-jährige Nachbarin rät ihr an diesem Nachmittag, in die Klinik zu gehen. Die 30-Jährige lehnt ab. Nach stundenlanger Beratung rufen die Frauen am späten Nachmittag dann die Polizei.

Der 50-jährige Angeklagte muss sich am Dienstag nun der vorsätzlichen Körperverletzung verantworten. Er sagt: "Wir haben zwar gestritten, aber ich habe sie nicht geschlagen und nicht misshandelt." Ansonsten verweigert er jede Aussage.

Für Amtsrichter Albert und den Staatsanwalt ist die Sachlage auch so klar. Der Angeklagte ist der Justiz nämlich kein Unbekannter. Bereits zwei Mal ist er gegenüber seiner Verlobten handgreiflich geworden, einmal sogar, als sie schwanger war. Nachdem der erste Fall mit einem Täter-Opfer-Ausgleich ad acta gelegt wurde, setzte es beim zweiten Mal eine hohe Geldstrafe. Schließlich kommt der Vertreter der Staatsanwaltschaft zu dem Schluss: "Die Tat liegt in seiner Natur. Sie ist ihm nicht wesensfremd." An der Glaubwürdigkeit der unabhängigen Zeugin zweifelt weder er noch Amtsrichter Albert, im Gegenteil: "Die neutrale Zeugin hat Zivilcourage gezeigt und vorbildlich gehandelt. Ihre Angaben korrespondieren mit den Lichtbildern von den Verletzungen", sagt der Richter.

Bleibt die Frage, wie die Tat zu ahnden ist. Das Gericht bescheinigt dem Angeklagten ein hohes Maß an krimineller Energie, zumal sich dieser nicht gescheut habe, vor Kindern handgreiflich zu werden. Vor diesem Hintergrund fordert der Staatsanwalt eine Freiheitsstrafe von neun Monaten zur Bewährung. "Ich kann nur hoffen, dass Sie aus Angst vor dem Gefängnis nicht mehr straffällig werden." Amtsrichter Albert bleibt in seinem Urteil letztlich drei Monate unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Jedoch muss der Angeklagte 3000 Euro an einen gemeinnützigen Verein entrichten.

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