Dachau:Magische Momente

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Mars Williams ist ein herausragender Saxofonist und die treibende Kraft des Quartetts. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Das Quartett "Switchback" beschließt den Dachauer Jazzfrühling mit einem faszinierenden und packenden Konzert

Von Bärbel Schäfer, Dachau

Der Anfang ist episch wie die Erzählung einer Landschaft. Die kühlen Linien des Sopransaxofons vereinen sich mit dem warmen Ton der Bassklarinette zum Panorama, über das der Blick frei schweift. Geerdet vom Pulsieren des Basses und erhellt vom Klang kleiner Glöckchen, die wie Lichtpunkte über der Ebene schweben.

Doch rasch zerfließen die Ebenmäßigkeit, das hymnische Glück, um sich neu zu erfinden. Die Musik fächert sich in viele komplizierte Schichten auf, als ob Wolkenfetzen wild über den Himmel jagen, sich übereinander schieben, hoch aufgetürmt zum Gebirge verschmelzen und sich wieder auflösen. In diese luftig verwobenen Klangschichten schneiden spitz überblasene Töne wie warnende Signale. Dann wirbelt die Musik in aufregenden Strukturen durcheinander, um sich alsbald zu beruhigen und den Weg kraftvoll, dynamisch und zielstrebig zu neuen Gefilden fortzusetzen. Diese wunderbaren Bilder konnte man mit der Band "Switchback" erleben. Beim Jazz e.V. gab der amerikanische Saxofonist Mars Williams mit seinem Quartett aus internationalen Musikern eines der faszinierendsten und packendsten Konzerte dieser Jazzfrühlings. Ein großartiger Abschluss einer großartigen Saison. Das Quartett "Switchback" musiziert nicht nur höchst delikat, es bedient das Auf und Ab der Gefühle mit einem Endorphinschub wie in der Achterbahn. Dazu bietet es einen Nervenkitzel wie im gleichnamigen Thriller. Das macht seine Musik so interessant und kurzweilig. Rasant ist die Fahrt, voller überraschender Wendungen und kühner Steilvorlagen. Immer wieder gibt es neue Entdeckungen.

Mars Williams ist ein herausragender Saxofonist und die treibende Kraft. Der zierliche Mann mit der dunklen Sonnenbrille überrascht mit immer neuen kreativen Ideen. Mit dem polnischen Klarinettisten Waclaw Zimpel spielt er wunderbare Duette, die spannungsgeladen und packend sind, weil sich Spontanes und Strukturiertes, Hymnisches und Elegisches, Balladeskes und Eruptives zum beseelten Jazz Flow vereinigt. Darüber hinaus ist Mars Williams witzig, humorvoll, lustvoll und unglaublich kreativ. Er steckt einen roten Schlauch in den Trichter seines Sopransaxofons, der provozierend in Richtung Boden zeigt, bläst auf dem Boden kniend auf allerlei Pfeifen und Flöten und schwingt den Schlauch in kreisenden Bewegungen durch die Luft, bis sich ein sirrendes Geräusch ergibt. Alles so, dass es zum unabdingbaren Bestandteil der Musik wird und niemals fremd klingt. Dass sich am Ende eines Stückes in das verhallende Tropfen des Basses zufällig eine lachende Frauenstimme mischt, könnte sogar Teil der ausgeklügelten Choreografie sein. Klarinettist Waclaw Zimpel übernimmt in den Momenten, in denen Mars Williams am Boden kniend mit seinem Spielzeug beschäftigt ist, die Führung. Zimpel spielt tief versunken und harmonieselig, röhrt bluesig oder schleudert die Töne ungestüm in den Raum, bis Mars Williams wieder neben ihm steht und sich beide gegenseitig aufpeitschen bis sie sich im freien Fall auf einen swingenden Teppich fallen lassen.

Mit Hill Greene hat das Quartett einen wunderbaren Bassisten. Mit der blauen Batik-Tunika über dem Hemd erinnert er an seine afrikanischen Wurzeln. Und so agiert er auch. Ungeheuer kraftvoll, durch und durch rhythmisch und der Musik leidenschaftlich ergeben. Wie besessen scheint er sich in seinen Bass zu vergraben, klopft auf den Corpus, treibt die Musik in erregenden Wogen voran und macht reizvolle Schlenker in unbekannte Gefilde. Der Deutsche Klaus Kugel ist ein sensibler Schlagzeuger, eine wichtige Größe im modernen kreativen Jazz. Mit Gefühl und Virtuosität trägt er zum Schöpfungsprozess der Musik bei. Präzise setzt er seine Einsätze, spielt kraftvoll oder streichelweich und fächert das Geschehen mit vielen ungeahnten Einfällen immer wieder neu auf.

Wenn das erste Set begeisternd war, so ist das zweite Set wie eine Offenbarung. Es ist noch freier, noch tiefer nach den Wurzeln des Jazz forschend und grabend, noch dynamischer. Mars Williams greift zur afrikanischen Kalimba, deren Metallzungen mit ihrem verzaubernden sphärischen Klang den Raum erfüllen. Mit Glöckchen, Schellen, indischen und afrikanischen Percussionsinstrumenten, Holzflöten und dem sirrenden roten Schlauch unternimmt die Musik folkloristische Ausflüge, findet so zu ihren Wurzeln und auch immer wieder zurück zur Finesse und Klangästhetik des Jazz. Aus dem elegischen Landschaftsepos wird eine Straßenszene, ein fröhlich lärmender Jahrmarkt, eine Reise zu versunkenen Völkern. Das sind die magischen Momente, die das Konzert zum beglückenden und unvergesslichen Erlebnis machen.

© SZ vom 20.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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