Dachau:Luja sog i

In das ehemalige Café Original ist eine Erlebnisgastronomie eingezogen. Patrick Schwaack und Christoph Wiekhorst bieten Bier zum Selbstzapfen und Kleinigkeiten in Einweckgläsern an, die über ein Fließband laufen.

Von Benjamin Emonts

Dachau: Patrick Schwaack und Christoph Wiekhorst sind stolz auf das innovative Konzept ihres Lokals. Neben Tapas am Fließband gibt es Bier zum Selbstzapfen. An der Bar sitzen die Gäste in Schaukeln.

Patrick Schwaack und Christoph Wiekhorst sind stolz auf das innovative Konzept ihres Lokals. Neben Tapas am Fließband gibt es Bier zum Selbstzapfen. An der Bar sitzen die Gäste in Schaukeln.

(Foto: joergensen.com)

Eines vorweg: Auf das Presswich, die legendäre Toast-Variation des ehemaligen Café Original, wartet man vergeblich. Ebenso auf den Dip, dessen Rezeptur jahrzehntelang wie ein Staatsgeheimnis gehütet wurde. Stattdessen auf einem Fließband: Garnelen in Chili-Meersalz (mit Schale genießbar), Fleischpflanzerl mit Kartoffelsalat oder Omas Käsekuchen. Ja, Patrick Schwaack und Christoph Wiekhorst, die Betreiber des Luja, haben ihre vollmundige Ankündigung wahr gemacht: Vom ehemaligen Café Original in der Frühlingsstraße ist nichts, aber auch gar nichts übrig geblieben. Statt Presswich und verrauchter Atmosphäre heißt das Motto nun: Erlebnisgastronomie.

Die zündende Idee des Luja: Bier zum Selbstzapfen. Dazu: Bayerische und exotische Tapas in Einweckgläsern, die - der nicht ganz neuen Idee des Sushi-Restaurants entsprechend - über ein Fließband laufen.

So weit, so gut. Die Gläser, die da an einem vorbeiziehen, haben rote, gelbe oder grüne Gummis. Über der Zapfanlage, die jedem Platz am Fließband eigen ist, befindet sich ein Monitor. In den ersten Minuten stellt sich noch die Frage: Was soll das alles? Dann kommt Alex. Die überaus freundliche Frau aus dem Service fragt: " Brauchen Sie eine Erläuterung?" Ja, unbedingt. Die Gummibänder, legt Alex los, bestimmen den Preis des Glases, dessen Inhalt man sich einverleibt. Rot markierte Gläser - das sind ausschließlich warme Tapas, beispielsweise "Currywurscht" - kosten drei Euro. Die gelben Tapas, etwa das Biergulasch oder der asiatische Gurkensalat, machen zwei Euro. Und kleine Snacks wie Oliven oder selbst zubereitete Dips kosten einen Euro. Das Maximum, das legt die Karte fest, liegt bei drei Euro. Für Tapas-Liebhaber, die ansonsten gerne in der Landeshauptstadt speisen, ist das ein fairer Preis.

Ab und an beschleicht einen das Gefühl, dass die Speisen rätselhafte Produkte aus der modernen Molekularküche sein könnten. Die Glaskost sieht zum Teil ungewöhnlich aus, und es ist nicht immer leicht, beispielsweise den Glasnudelsalat als solchen zu identifizieren. Doch die Hauptsache ist: Es schmeckt. (Wobei sich über Geschmack bekanntlich streiten lässt.)

Doch nun zu den hochmodernen Monitoren über der Zapfanlage. Was geht heutzutage noch ohne einen Account? Im Luja nichts, zumindest für diejenigen, die sich ihr Bier selbst zapfen wollen. Bevor der Spaß losgeht, wähle sich der Durstige einen eigenen Account, der die gezapfte Biermenge (wahlweise Helles oder Weißbier) auf zwei Dezimalen hinter dem Komma auf dem Display mitzählt. Wenn früher einer erzählt hätte, er habe 1,87 Liter Bier getrunken, man hätte ihm einen Vogel gezeigt. Doch das Luja macht's möglich. Ebenso wie die exakte Berechnung des Bierpreises: ein Zentiliter Helles kostet 0,062 Cent, macht einen Halbe-Preis von 3,10 Euro. "Die Gäste können genau so viel trinken, wie sie auch wollen", sagt Christoph Wiekhorst, der als Gebietsvertriebsleiter einer großen Münchner Brauerei über Jahre Dachauer Gastronomen mit Bier versorgt hat. Der 35-Jährige, der in Dachau lebt, betont weitere Vorteile des Selbstzapfens: "Es gibt keine Wartezeiten und es ist für viele Gäste eine spannende Erfahrung." Von April an soll im Luja auch Fußball laufen, kündigt sein Kollege Patrick Schwaack an. Bier zum Selbstzapfen und Fußball - das könnte klappen. Gut vorstellbar, dass es zu WM-Zeiten mit Public Viewing ein wahrer Luxus ist, sich sein Bier selbst einzuschenken.

Am Mittwochabend, Tag zwei nach der Eröffnung, läuft viel Bier. Das Luja ist voll. Grund dafür könnte die Neugier der Dachauer sein. Ein halbes Jahr lang haben sich Passanten gefragt, was da hinter den abgeklebten Fensterscheiben des ehemaligen Café Original wohl vor sich geht. Schwaack und Wiekhorst haben die Spannung bis zum Schluss bewusst hoch gehalten. "Jede Fliese, jede Fuge ist neu", sagt Schwaack. Das Café Original, das über Jahrzehnte eine beliebte Adresse bei den Dachauern gewesen ist, sei am Schluss nicht mehr das gewesen, was es einmal war, sagt Schwaack. Deshalb haben die Betreiber keinen Stein auf dem anderen gelassen.

Besonders bemerkbar wird diese Tatsache am Inventar. Die kniehohen und mit Fell bezogenen Hocker im Lounge-Bereich sowie die Unmenge an Holz und Schnitzereien, aus der die Einrichtung besteht, muten an wie eine Mischung aus Safari-Hütte und Tipi-Zelt. "Ist das ein Marterpfahl da in der Ecke", fragt eine junge Frau und lacht. Und als sie von der Toilette zurückkehrt, hat sie gar ein breites Grinsen im Gesicht - sie sieht aus, als hätte sie etwas erlebt. "Es gibt drei verschiedene Handcremes", sagt sie, "und es brennt ein Kaminfeuer im Bad". Es stimmt, wie sich auch im Männerklo herausstellen soll.

Ob Aloisius, der Protagonist aus Ludwig Thomas "Ein Münchner im Himmel", all diesen Schnickschnack und die Mischung aus bayerisch-internationaler Sushi-Kultur am Laufband gut geheißen hätte? Fraglich. Anstatt eines gottpreisenden Halleluja hätte der auf seiner Wolke Harfe spielende Aloisius wohl eher ein grantelndes "Luja, sog i" gen Erde gestoßen. Doch Patrick Schwaack und Christoph Wiekhorst war das egal: Sie haben ihr Lokal trotzdem Luja genannt - als literarische Reminiszenz an ihre Heimatstadt Dachau.

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