Einst galt er als bayerischer Säulenheiliger, doch seit nunmehr mehr als 30 Jahren ist das öffentliche Bild des Schriftstellers Ludwig Thoma schwer beschädigt. Damals, 1989, deckte der Historiker Wilhelm Volkert auf, dass Ludwig Thoma in seinen letzten Lebensjahren zum Antisemiten geworden war. Seitdem wird immer wieder und meist ohne Ergebnis über den richtigen Umgang mit dem Schriftsteller debattiert. So auch in München, wo eine Expertenkommission derzeit alle Straßennamen auf historisch belastete Namensgeber untersucht - darunter die Ludwig-Thoma-Straße in Pasing.
Noch ist die Kommission zu keinem Ergebnis gekommen, ob die Straße einen anderen Namen erhalten und damit der Name Ludwig Thomas aus dem Stadtbild verschwinden soll, wie der Pressesprecher der Stadt München, Matthias Kristlbauer, erklärt. Doch eine Entscheidung in München dürfte auch auf die Thoma-Stadt Dachau Auswirkungen haben.
Newsletter abonnieren:München heute
Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.
"Wenn ich zurückdenk, am schönsten war es doch in Dachau", schrieb Ludwig Thoma am 1. Januar 1920 in einem Brief an seine verehrte Maidi von Liebermann. Drei Jahre, von 1894 bis 1897, lebte Thoma in Dachau, wo er als Rechtsanwalt im Raufferhaus in der Nähe des Amtsgerichts, eine eigene Kanzlei betrieb. Seine Eindrücke aus der Stadt sowie dem Umland schlugen sich in vielen seiner Werke nieder, etwa in seinem ersten Werk "Agricola". So setzte er der Stadt, aber auch dem Dachauer Land ein literarisches Denkmal, das sich wiederum mit der Benennung der Thoma-Wiese, des Thoma-Hauses, aber auch der Ludwig-Straßen in Dachau, Bergkirchen und Karlsfeld bei dem Schriftsteller revanchierte.
Am Ende seines Lebens wandelte sich Ludwig Thoma radikal: Im Miesbacher Anzeiger hetzte er in rund 180 Artikeln gegen Juden und rief zur Gewalt auf. Thoma, der begnadete Schriftsteller und Satiriker des Magazins Simplicissimus, zeigte jetzt offen seine antisemitische Haltung. Die Auflage der Zeitung stieg damals von 8000 auf 14 000 Exemplare an.
Einer, der sich seit Jahrzehnten mit dem Werk Ludwig Thomas beschäftigt, ist der Vorsitzende des Dachauer Kulturvereins "Ludwig-Thoma-Gemeinde", Edi Hörl. Er sagt: "Als das mit den antisemitischen Artikeln aufgekommen ist, ist es auch uns als Gemeinde schwergefallen, damit umzugehen." In der Folge habe sich der Verein intensiv mit Ludwig Thoma und dessen Hetzschriften auseinandergesetzt, erzählt Hörl, "und das machen wir bis heute". Hörl stellt deshalb klar: "Natürlich war das komplett falsch, das Antisemitische ist total zu verdammen." Trotzdem fordert er, die letzten Lebensjahre des Schriftstellers einzuordnen und im Zusammenhang mit dessen Lebensumständen zu bewerten. So sei gerade im Volk eine Stimmung aufgekommen, die Ludwig Thoma wiedergegeben oder verschärft dargestellt habe. Auch die persönlichen Umstände des Schriftstellers sieht Hörl als Grund für den Wandel: "Er war unglücklich verliebt und zudem schwer krank, weil er an Magenkrebs gelitten hat." Thoma sei deshalb immer verbitterter geworden. "Und das kann man ihm sicher zugutehalten", findet Hörl.
Dennoch betont Hörl immer wieder, dass es noch eine zweite Seite von Ludwig Thoma gebe: "Wir sehen in ihm eben auch den großen Schriftsteller, der unnachahmliche Romane und Theaterstücke geschrieben hat." Für ihn sind die Werke Ludwig Thomas wichtige Überlieferungen eines Zeitzeugen aus dem damaligen bäuerlichen Alltag im Dachauer Umland. "Aus Dachauer Sicht ist das wichtig."
In der Gesamtbetrachtung ist für Hörl deshalb klar: "Das Literarische der 53 Jahre zuvor wiegt mehr als das, was die letzten, nicht einmal zwei Jahre seines Lebens geschehen ist." Zudem sei in all den Romanen und Theaterstücken, im gesamten Werk Ludwig Thomas kein Antisemitismus zu finden. "Ich bin deshalb der Überzeugung, dass man einen Menschen möglichst fair behandeln muss, auch wenn er Fehler gemacht hat." In der Summe lehnt Hörl eine Umbenennung der Dachauer Straße, der Thoma-Wiese, des Thoma-Hauses, aber auch des eigenen Vereinsnamens ab. "Das wäre eine falsche Entscheidung", sagt er. Sollte es dennoch so weit kommen, will Edi Hörl mitreden und sich in die Diskussion einbringen: "Wir werden uns dann sich sicher zu Wort melden und die beiden Seiten von Ludwig Thoma darstellen." Man solle den Schriftsteller nicht verdammen, fordert Hörl. "Wenn man so einen Namen löscht, dann setzt sich niemand mehr mit ihm auseinander."
Ähnlich äußert sich der Dachauer Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD). Auch er sieht in Ludwig Thoma einen Mann mit zwei Gesichtern: "Auf der einen Seite war er der beliebte bayerische Lokaldichter, der das alltägliche Leben sehr süffisant beschrieben hat." Die andere Seite sei geprägt durch die antisemitische Haltung Ludwig Thomas, die sich am Ende seines Lebens immer mehr gezeigt habe. "Das wird auch in Dachau nicht verschwiegen, sondern gezielt thematisiert", sagt Hartmann.
Er richtet seinen Blick deshalb vorerst nach München, wo eine Entscheidung der Expertenkommission über die Umbenennung der Ludwig-Thoma-Straße noch aussteht. Für Hartmann ist dabei entscheidend, ob die Kommission neue Erkenntnisse über Thoma zu Tage gefördert hat: "Wir würden gerne wissen, ob es diesbezüglich weitere Argumente gibt und wie das dort bewertet wird." Und er stellt klar: "In Dachau gibt es derzeit keinerlei Vorstoß der Stadtpolitik, da etwas ändern zu wollen."
"Wenn man die Straßennamen ändert, dann wäre Ludwig Thoma endgültig begraben"
Dennoch, sollte es in München zu einer Entscheidung kommen, die Ludwig-Thoma-Straße umzubenennen, "dann müssen wir uns auch hier damit beschäftigen", sagt Hartmann. Für ihn ist jedoch unklar, wie man anschließend mit der Person Ludwig Thoma in Dachau umgehen müsste. Hartmann bringt das Einsetzen einer eigenen Expertenkommission, wie es auch in München gehandhabt wurde, ins Spiel. Ob auch in Dachau der Name Ludwig Thomas von den Straßenzügen und tatsächlich aus dem öffentlichen Leben verschwinden wird, dürfte am Ende von einem Votum des Stadtrats abhängen.
Das Vorgehen, wie es Hartmann vorschlägt, befürwortet auch Franz-Josef Rigo, Journalist und Thoma-Experte aus Bad Wiessee am Tegernsee. "Eine solche Experten-Kommission, wie das in München gehandhabt wurde, muss dann aber möglichst heterogen besetzt sein", fordert er. So sollten etwa Juristen, Historiker, Literaturwissenschaftler, aber auch Anthropologen den Namen Ludwig Thoma überprüfen. "Und dabei muss man die Ambivalenz Thomas, die beiden Seiten des Schriftstellers immer im Blick haben", erklärt Rigo. Eine Umbenennung der Straßen, Plätze oder des Vereins wäre für den Thoma-Kenner jedoch der falsche Schritt: "Wenn man die Straßennamen ändert, dann wäre Ludwig Thoma endgültig begraben."