Süddeutsche Zeitung

Dachau:Latente Angst

Das Dachauer Künstlerpaar Barbara Trommeter und Georg Szabó vergegenwärtigt mit seiner filmischen Rauminstallation in der Galerie der KVD die unterschwelligen Dimensionen von scheinbarem Frieden und lauernden, realen Gefahren

Von Bärbel Schäfer, Dachau

Mit sichtlicher Begeisterung veranschaulicht Professor Alexander Lippisch in einem amerikanischen Erklärvideo, wie sich Aufwinde und Luftströmungen auf das Flugverhalten eines Flugzeuges auswirken. Der deutsche Konstrukteur wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von den USA als Berater für die Entwicklung von Kampfflugzeugen rekrutiert. Sein schnarrender Vortrag in der Galerie der Künstlervereinigung Dachau (KVD) wird plötzlich unterbrochen von der Dokumentaraufnahme eines extrem flach über der Wasserlinie donnernden Ekranoplans "The Caspian Sea Monster" der sowjetischen Marine. Außerdem laufen Bundeswehr- und NVA-Lehrfilme zum Häuserkampf, im Wechsel mit Aufnahmen von menschenleeren, evakuierten Städten und dem Geheul von Luftschutzsirenen.

Im Kontrast dazu bewegen sich in hautengen Gummi gekleidete Damen auf High-Heels durch enge Gassen. Unbekleidete Schaufensterpuppen auf dem Boden vor dem Fernseher illustrieren plakativ das Gefühl des Unbehagens und Ausgeliefertseins. Das ist ein krasser Bruch zur Umgebung. Denn der Fernseher, in dem die Zusammenschnitte aus Videos laufen, steht am Ende eines kunstvollen Raumes, der sich aus zwei roten Vorhängen und einem auffallenden, schwarz-weiß gezackten Fußboden bildet. Die dramatische Ausstattung ist der Filmkulisse von David Lynchs Mystery-Thriller "Twin Peaks" entlehnt.

In der Ausstellung des Künstlerpaars Barbara Trommeter und Georg Szabó "Transmission" in der KVD-Galerie geht es um das Verhältnis von Zeit, Raum und dem Menschen darin - wie er in dieser ungewöhnlichen Umgebung die eigenen Erinnerungen aufnimmt und sich eventuell in einer Rolle wiederfindet. Was für ein Kontrast zwischen filmischer Rauminszenierung und den Bildern im Fernseher. Es drängt sich die Frage auf: Was hat diese Installation nun mit Krieg zu tun?

Es ist offensichtlich, dass der rote Raum als "Nicht-Ort" beim Besucher nur vordergründig eine festliche und magische Stimmung hervorrufen soll. In allen Filmen von David Lynch - von "Eraserhead" über "Blue Velvet" bis zu "Lost Highway" - geht es um die unaussprechliche Gefahr, die hinter der bürgerlichen Fassade lauert und die sich immer aufs Neue wiederholt. Und so weist diese interaktive Rauminstallation mit den Filmen über Kriegsgeschehnisse und Spionage subtil auf eine unterschwellig vorhandene, schwer zu beschreibende, existenzielle Bedrohung hin, wie sie beispielsweise der Kalte Krieg für Generationen von Menschen bedeutete.

"Es war die latente Angst vor der Vernichtung", sagt der Künstler Georg Szabó. "Die Menschheitsgeschichte ist voll von Kriegen. Durch alle Jahrhunderte, bis hin zu Vietnam, sind in den Geschichtsbüchern die Kriege die einschneidenden Ereignisse. Transformiert man das auf die Zukunft, so muss man davon ausgehen, dass immer neue Kriege geführt werden", sagt Szabó. Er berichtet, dass in der DDR während des Kalten Krieges der Kinderfilm "Die Rakete" mit Clown Ferdinand als letztem Bewohner einer Stadt lief. "Mit so einem Film vermittelt man schon Kindern das Gefühl der Unsicherheit."

Der rote Raum spielt also mit den verschiedenen Bedeutungen und Deutungen - je nachdem, welches Video gerade gezeigt wird. Während der Ausstellung sind wechselnde Videos zu sehen. Alle beziehen sich auf die fotografische Arbeit Trommeter-Szabós aus den Jahren 2004 bis 2015. Dazu gehört auch "Shining". Im Fernseher erscheint das Standbild eines Mädchens im weißen Hemdchen, den Kopf verhüllt mit einer schwarzen Katzenmaske - ein geisterhaftes Wesen. Ein bisschen Gruseln gehört auch an den "Nicht-Ort" zwischen den Welten.

Eine Installation aus Katzenfiguren, ebenfalls maskiert und angeordnet wie eine Armee, erinnert an die ägyptischen Wächterfiguren als Begleiter auf dem Weg ins Jenseits und als Stellvertreterfiguren für die Seelen der Toten. In der Langen Nacht der offenen Türen führt Barbara Trommeter am Freitag eine Performance dazu auf. Alle Filme und wechselnden Rauminstallationen haben etwas mit der einer unaussprechlichen Bedrohung zu tun - ob sie nun real ist wie der Kalte Krieg oder als imaginär fühlbare Schnittstelle zwischen Diesseits und Jenseits. Der rote Vorhang dient dabei, wie im Theater, die Realität von der Fiktion zu trennen. So wird der bereits inhaltlich aufgeladene rote Raum aus "Twin Peaks" zur Folie für eine Parallelwelt, in der Erinnerungsprozesse möglich sind, die Zeitebenen sich verschieben und überlagern und die Emotionen angesprochen werden. Die Realität verändert sich immer wieder durch die multimediale Performance. Wenn sich der Besucher darauf einlässt, kann er verschiedene Rollen einnehmen. Das kann amüsant sein, aber auch erschreckend. Der Untertitel der konzeptuellen Ausstellung lautet: "The future's past between two worlds". Übersetzt heißt das: "Die Vergangenheit der Zukunft zwischen zwei Welten." Die Ausstellung endet am Sonntag, 4. Oktober, 15 Uhr mit einem Künstlergespräch.

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Quelle:
SZ vom 15.09.2015
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