Längst sieht man nicht mehr nur die urbane Mobilitätselite auf dem Sattel eines Lastenrades locker an ihren keuchenden Konkurrenten vorbeirollen. Was früher Ausnahmeerscheinung weniger Übereifriger war, ist zur ernsthaften Alternative zum Auto geworden. Die still dahingleitenden Schlepper gehören mittlerweile zum festen Bestandteil des Straßenbilds.
Auch "Paula", "Ludwig" und "Viktoria" sind in Dachau und Umgebung mittlerweile bekannt. Der Verein Lasdah verleiht die Lastenräder seit dem Jahr 2020 kostenlos. 15.000 Kilometer haben die drei zusammen schon auf dem Buckel und dabei so einiges geschleppt: Gartenabfälle und Wocheneinkäufe waren dabei, genauso wie Amphibienzäune, Musikinstrumente und Waschmaschinen. "In den Sommermonaten sind die Lastenräder fast jeden Tag unterwegs", sagt Jan van Meerendonk, Mitbegründer von Lasdah.
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Wer im Landkreis Dachau lebt, kann sich einfach anmelden, einen der Einweisungskurse besuchen und kostenlos losrollen. Die Räder stehen bei der Stadtbücherei Dachau am Max-Mannheimer-Platz 3. Man reserviert online auf der Website www.lasdah.de, holt den Schlüssel in der Bibliothek ab, fährt bis zu drei Tage durch die Gegend und wirft den Schlüssel schließlich wieder in den Medienrückgabe-Automaten der Stadtbücherei.
Welches der drei Räder man am besten nimmt, hängt davon ab, was man transportieren möchte. Denn jedes der Modelle hat seine eigenen Stärken: Paula kann bis zu 300 Kilogramm schleppen, sie eignet sich besonders für große Transporte. Ludwig ist etwas kleiner, dafür können vorne zwei Kinder Platz nehmen. Wer mit Viktoria fährt, kann sogar einen Rollstuhlfahrer kutschieren.
Alles schön und gut. Doch wie fahren sie sich nun, die bis zu drei Meter langen Riesen? Muss man erst ein Fitnessstudio-Abo abschließen und sich dicke Beinmuskeln antrainieren, um sie vom Fleck bewegen zu können?
Elmar Berger aus Dachau hat mit Lasdah schon einen ganzen Umzug gestemmt. Wenn er von der kräftigen Paula redet, kommt er regelrecht ins Schwärmen. Nicht nur sorge der Elektromotor dafür, dass die Schweißflecken ausbleiben. "Der Unterschied vom Rad zum Lastenrad ist wie der vom Auto zum Sprinter. Du hast viel mehr Übersicht", sagt Berger.
Zwischen altem und neuem Wohnort lagen bei seinem Umzug zwar nur 500 Meter. Innerhalb von zwei Wochen sei der Tacho trotzdem auf mehr als 100 Kilometer gesprungen. Besonders praktisch sei gewesen: Das Lastenrad habe er direkt vor die Haustüre fahren können, das Umzugsgerümpel habe er daher nicht einmal durch den Garten schleppen müssen, um das Auto zu erreichen.
Auch die Geldbeutel der Dachauer Vereine freuen sich über die kostenlose Leihmöglichkeit. Nicht nur die Bigband Dachau, die Künstlervereinigung Dachau (KVD) und der Kreisjugendring (KJR) haben das Angebot bereits in Anspruch genommen. Auch der Bund Naturschutz nutzte es für ein ganz besonderes Anliegen: die alljährliche Krötenwanderung. Amphibienzäune, schwarze Betonwannen und Eisenstangen wurden mit dem Rad zum Stadtwald transportiert. Nach dem Aufbau konnten die Tiere sicher am Zaun entlangwatscheln, in die Wannen plumpsen und wurden von den Naturschützern zu ihrem Laichgewässer gebracht.
Bei der Frage, wie das Lastenrad Viktoria von Rollstuhlfahrern angenommen wird, zögert Jan van Meerendonk. Er würde sich wünschen, dass es mehr genutzt werde. Zwar habe er schon Einweisungen in Altersheimen gegeben. Aber im vergangenen Jahr sei das Rad nur 24 Tage unterwegs gewesen - viel weniger als seine beiden Geschwister.
Dabei stellt man sich das so schön vor, Fußkranke und Menschen mit Behinderung, die an der frischen Luft durch die Wälder kurven und sich durch die vorbeiziehenden Baumkronen von den Sonnenstrahlen kitzeln lassen. Von der Idee begeistert ist auch Ingrid Ahlert. Sie ist ehrenamtliche Mitarbeiterin bei der Caritas. Dort kümmert sie sich um Menschen mit Behinderung. Ahlert möchte für diese nun Lastenrad-Ausflüge anbieten. Wenn es mal wieder wärmere Temperaturen hat, steht dem Angebot nichts mehr im Weg, heißt es vonseiten der Caritas.
Als Ahlert an ihre Testfahrt zurückdenkt, muss sie lachen. So manch einer habe verwundert geschaut, als die 70-Jährige mit ihrer Freundin im Gepäck mühelos durch den Oberschleißheimer Schlosspark fuhr. Der "eingebaute Rückenwind" macht es möglich, dass sie selbst in ihrem Alter weitere Strecken mit dem Rad zurücklegen kann. "Wir hatten Unmengen Spaß dabei - muss ich wirklich sagen", sagt sie, und freut sich bei der Erinnerung gleich noch einmal.