Süddeutsche Zeitung

Lange Nacht:Schätze hinter den Türen der Stadt

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Zur Langen Nacht können die Besucher in Ateliers, Werkstätten und Galerien an 36 Orten in Dachau bildende Kunst entdecken und erleben. Im Wasserturm findet wieder eine Auktion mit 150 gespendeten Werken Dachauer Künstler und Sammler statt.

Von Karolin Arnold, Dachau

Hinter vielen Türen der Stadt verbergen sich Gemälde, Skulpturen und andere Kunstobjekte, die nur darauf warten, gezeigt und gesehen zu werden. "Die Lange Nacht der offenen Türen in Dachau" bietet nun schon im 15. Jahr dazu die Möglichkeit. Viele Galerien, Ateliers und Werkstätte öffnen am Freitag von 19 bis 24 Uhr ihre Türen. Es sei eine langjährige Tradition in Dachau, die fest im Terminkalender eingetragen ist, erzählt Josef Baur, einer der Vorstandsmitglieder des Fördervereins Dachauer Wasserturm. Der Verein hat die Organisation und Koordination der Langen Nacht übernommen und steht im stetigen Austausch mit allen teilnehmenden Künstlern, Ateliers und Galerien. Insgesamt können die Besucher 36 verschiedene Orte besuchen und bei freiem Eintritt verschiedene Stilrichtungen und Kunstformen erleben.

Flaniert man am Abend durch die Altstadt, so kann man in den dritten Stock des Ludwig-Thoma-Haus steigen und findet sich im Atelier von Christa Spencer wieder. Die Dachauer Künstlerin präsentiert ältere aber auch viele neue Arbeiten, aus denen neue Ideen für ihre Kunst entstanden sind, wie sie sagt. Zu ihren Schwerpunkten gehören eigentlich Bilder, die von alten Fotos, überwiegend aus der Kriegszeit und Nachkriegszeit inspiriert sind. Diese legen den Fokus auf Köpfe, figürliche Darstellungen und Kinder. Dabei wolle Spencer die Besonderheiten, die in diesen alten Fotografien steckten zum Vorschein bringen. Treu bleibt sich die Künstlerin auch in neueren Arbeiten beim Thema "Serie". Eine zeigt eine immer wieder anders anmutende Darstellung einer Couch, die sich in dem Raum befand, in dem sie zuletzt viel arbeitete. Aus dem Kopf heraus hat sie mehrfach in geschlossenen und offenen Formen die Erinnerung an die Couch gezeichnet.

Für den Betrachter offenbart sich das eigentliche Objekt nur schwer, was an der abgewandelten Darstellung liegt. Während des letzten intensiven Arbeitsprozesses hat sie MDF-Platten und Ölfarben für sich entdeckt. Der neue Malgrund habe eine große Rolle gespielt und neue Möglichkeiten wie ein Kratzen auf der Platte geboten, sagt Spencer. "Der Malprozess hat mich schon inspiriert." Auch die Ölfarben sind neu in ihren Schaffensprozess mit eingezogen. Lange Zeit hat sie sich sehr sicher mit Acrylfarben gefühlt und dachte ihr "heftiges" Malverhalten mit Ölfarben nicht umsetzen zu können. Sie wurde vom Gegenteil überzeugt. Christa Spencer freut sich auf die Lange Nacht, bei der sie schon viele Jahre dabei ist.

Mehrere Monate intensiver Vorbereitungen liegen hinter dem Förderverein, auch die Coronavorschriften erforderten viel organisatorische Arbeit. Vereinsvorsitzende Gudrun Ullrich erklärt, dass während der Langen Nacht an allen Orten die 3G-Regelung gilt, Maskenpflicht in den Innenräumen herrscht und die Kontaktdaten der Besucher erfasst werden. "Es wird nicht so wie es früher war", bedauert Ullrich, aber trotzdem freue sie sich sehr auf diesen Abend, mit dem sie viele gute Erinnerungen verknüpft. Der Wasserturm selbst ist ebenfalls teil der Veranstaltung, wenngleich er nicht als klassischer Ausstellungsort dient. Auf zwei Stockwerken finden sich knapp 150 Werke. Sowohl Künstler als auch Sammler und öffentliche Institutionen haben ihre Arbeiten dem Verein gespendet, der sie am Sonntag von 10 bis 12 Uhr versteigern wird. Die Besucher können sich am Freitag und auch am Samstag bereits die Gemälde anschauen, Favoriten auswählen und auch schon Gebote abgeben, die am Sonntag mit berücksichtigt werden, auch wenn der Bieter am Sonntag nicht vor Ort sein kann. Die überwiegende Zahl an Kunstobjekten, Werke unterschiedlicher Stilrichtungen, stammt von Dachauer Künstlern. Josef Baur ist bewusst, dass kaum jemand alle 36 Ausstellungen besuchen wird und die Galerien und Ateliers in der Altstadt wohl einen Standortvorteil haben werden. So spiele gutes Wetter an diesem Abend eine große Rolle, betonen die Organisatoren. Denn das würde viele Besucher einladen, mit dem Fahrrad herumzufahren, auch zu den etwas abgelegenen Ausstellungen.

Das Atelier von Herbert Felix Plahl liegt zentral, der Künstler selbst ist schon lange ein Begriff in Dachau. In der Stockmann-Villa in der Münchner Straße findet man Plahl, der unter anderem Papier und Acrylarbeiten anfertigt. Die Lange Nacht bietet die Möglichkeit, wieder einen Blick auf dem bekannten Künstler zu werfen, in dessen Arbeit immer wieder Neues zu entdecken ist.

Die Neue Galerie hat zu jeder Langen Nacht eine Ausstellung eröffnet, auch dies ist schon eine Art Tradition. Von Freitagabend bis zum 28. November können Besucher die aktuelle Ausstellung mit dem Titel "Tempo?" sehen. Jutta Mannes, Mitarbeiterin des Bezirksmuseums, zu dem die Neue Galerie gehört, hat mit verschiedenen Künstlern eine Ausstellung geschaffen, die ganz unterschiedlich die Themen Geschwindigkeit, Tempo und Schnelllebigkeit aufgreift. Die Idee dazu ist Mannes durch eine Installation der Künstlerin Susanne Neumann gekommen, deren Werke nun auch in der Neuen Galerie zu sehen sind. Kaputte Rückspiegel, die Neumann selbst an der immer gleichen Kurve in der Nähe von Florenz aufgesammelt hat, hängen an der Wand. Die Kurve sei so eng, dass viele Autofahrer die Geschwindigkeit überschätzten und am Ende ohne Rückspiegel aus der Kurve glitten, erzählt Mannes. Was bleibt auf der Strecke, wenn das Leben in der Gesellschaft immer mehr Tempo aufnimmt? Durch den plötzlichen Stillstand in der Pandemie kam zu der Schnelligkeit auch noch der Aspekt des Wartens, erklärt sie. Die schnelllebige Welt wurde ausgebremst. Warten ist auch Thema in Verena Seibts Arbeiten. So hat sie mitten in die Ausstellung einen Wartesaal gebaut. Er besteht aus Stühlen eines ehemaligen Wartesaals und ist umgeben von kühlem Licht und weißen Stoffbegrenzungen. "Eigentlich könnte man überall rausgehen, aber wenn man drinnen sitzt ist es doch eine gefühlte Begrenzung", stellt Seibt fest. Für sie ist Warten auch eine Art Lebensaufgabe, so würden viele Menschen ihr Leben lang darauf warten, Teil von etwas zu sein und am Ende dennoch unzufrieden sein.

Geschwindigkeit hingegen spielt bei Stefan Rohrer eine Rolle. Er zeigt ein metallenes Werk mit dem Titel "Capri gegen Manta". Zwei Autofahrer, die sich und ihre Fahrzeuge überschätzen und am Ende zusammenstoßen. Die Ausstellung stellt die Frage nach der richtigen Geschwindigkeit für gesellschaftliches Leben. Zum Schluss lässt die Ausstellung die Möglichkeit offen, "das eigene Zeitempfinden ein Stück weit zu relativieren", so Mannes.

Der Lageplan mit allen Ausstellungsorten ist im Internet zu finden unter https://www.dachauerwasserturm.de/index.php/86-sonstige/421-15-lange-nacht-der-offenen-tueren-in-dachau.

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Quelle:
SZ vom 16.09.2021
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