Süddeutsche Zeitung

Massengrab bei Dachau:Der Leitenberg droht abzurutschen

Tausende KZ-Häftlinge liegen auf dem Leitenberg begraben. Doch der Verkehr einer Bahntrasse und einer Straße erschüttert den geschichtlich sensiblen Hügel, dessen Gestein leicht bricht.

Von Julia Putzger, Dachau

Nebelschwaden greifen nach den Ästen der alten Eichen, bis auf das Wuseln einer Meise im Unterholz ist es gespenstisch still. Die Stimmung am Dachauer Leitenberg ist drückend an diesem Dezembervormittag, die Zeit scheint stehen zu bleiben - und das im wahrsten Sinne des Wortes. Denn schon seit geraumer Zeit verwildert der Gedenkort: Einer der beiden Wege ist seit Jahren nicht benutzbar, was nicht nur ein Warnschild deutlich macht, sondern auch ein umgestürzter Baum, der den Weg vollkommen versperrt. Doch auch den anderen Pfad säumt eine leuchtend grüne Moosschicht, der Asphalt ist aufgerissen und der Belag so schmierig, dass die stete Gefahr einer nicht ganz ungefährlichen Rutschpartie besteht.

Während sich an der Oberfläche des Leitenbergs also offenbar nichts tut, gibt es zumindest im Untergrund allerhand Bewegung. Der Berg, insbesondere dessen Südostflanke, droht abzurutschen. Diese geologische Gefahr wurde bereits bei Gutachten in den Achtzigern festgestellt - konkreten Handlungsbedarf sah zu diesem Zeitpunkt jedoch niemand. Denn schon damals fristete der Leitenberg im Norden Dachaus ein "Schattendasein", wie Christoph Thonfeld es nennt. Thonfeld leitet seit April die wissenschaftliche Abteilung der KZ-Gedenkstätte in Dachau, die wie der Leitenberg zur Stiftung Bayerische Gedenkstätten gehört.

"Der Berg ist sozusagen ständigem Stress ausgesetzt"

Hätte der Berg als Grabstätte tausender Opfer des KZ nicht solch eine zentrale Bedeutung, dann wäre wohl auch die geologische Problematik keiner Rede wert. Denn die Erhebung war vor tausenden Jahren Teil eines Höhenzugs, der jedoch verschwand, da sein Gestein zu Brüchigkeit neigte - ein natürlicher Prozess also, der sich nun auch am Leitenberg zeigt und dafür sorgt, dass der Hang zunehmend instabil wird.

Die direkt an der Südostseite entlang führende, viel befahrene Bahntrasse sowie die Staatsstraße nach Hebertshausen verstärken diesen Prozess noch. "Der Berg ist sozusagen ständigem Stress ausgesetzt", erklärt Thonfeld.

Die Folge all dessen ist, dass einer der beiden Wege, die zu den beiden Kapellen und dem Ehrenfriedhof auf dem Leitenberg führen, bereits seit 2010 gesperrt ist. Der noch offene, als Kreuzweg angelegte, Weg, der vom Parkplatz in Richtung der Kapelle Regina Pacis führt, ist mehr schlecht als recht in Schuss. Thonfeld erklärt, dass Gärtner der Gedenkstätte sich zwar regelmäßig um das Gelände kümmerten, doch größere Eingriffe seien dabei nicht möglich. Für eine solche generelle Instandsetzung wäre zuerst ein geologisches Gutachten nötig, dass vermutlich große bauliche Eingriffe zur Stabilisierung nahelegen würde - doch für diese wiederum fehlt das Geld.

Thonfeld hatte deshalb eine andere Idee: Statt den Untergrund der besonders gefährdete Südostflanke durch Besucher weiter zu belasten, schlug er eine barrierefreie Erschließung des Leitenbergs von Nordosten her vor. Aktuell führt dort bereits ein teilweise gekiester Feldweg entlang. Thonfeld stellt sich stattdessen einen asphaltierten Weg vor, der von mehreren Informationstafeln zur Geschichte und Gedenkgeschichte des Leitenbergs gesäumt sein soll. Denn derzeit gibt es lediglich am Parkplatz eine Tafel, die in knappen Worten Auskunft über die Vergangenheit des Ortes gibt.

Bewegung im Untergrund

Allerdings gibt es auch bei diesem Vorschlag ein derzeit nicht lösbares Problem: Der angedachte Weg führt nicht nur über städtischen, sondern auch privaten Grund - und im Gegensatz zur Stadt hat dessen Besitzer kein Interesse an der Nutzung als Gedenkweg. Doch selbst wenn sich eine Lösung für dieses Problem finden würde, bliebe auch hier die Frage der Finanzierung: "Es gibt zwar einen größeren Rahmen für eine Neukonzeptionierung für die verschiedenen Liegenschaften, die zur Gedenkstätte gehören. Aber in diesem Gesamtkonzept ist nicht der Leitenberg die Priorität", erklärt Thonfeld. Stattdessen liege der Fokus vor allem auf dringend nötigen Erneuerungsarbeiten in der KZ-Gedenkstätte selbst sowie auf der Entwicklung von Arealen auf dem Gebiet der Bereitschaftspolizei und dem "Kräutergarten".

Somit wird es am Leitenberg wohl in nächster Zeit weiterhin nur im Untergrund Bewegung geben, auch wenn damit weder Thonfeld noch Karl Freller (CSU), Landtagsvizepräsident und Leiter der Stiftung Bayerische Gedenkstätten und Landtagspräsident, recht zufrieden sind. "Eine Lösung ist angestrebt, aber nicht greifbar", gibt Freller zu. Man werde die Problematik aber "mit Sicherheit" im neuen Jahr erneut angehen, wobei Freller dabei auf Einsicht des Grundstückeigentümers und somit einen Weg von der Nordostseite hofft. Was jedoch bereits klar ist: Allein wird die Stiftung das nicht schaffen. "So eine kleine Stiftung schafft es nicht, im wahrsten Sinne einen solchen Berg zu stemmen", so Freller abschließend. Und auch Thonfeld macht klar: "Wir brauchen politischen Rückenwind", sowohl von der Stadt Dachau als auch vom Freistaat.

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SZ vom 21.12.2020/vewo
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