Der 14. Juni 1938, ein Dienstag, war erst wenige Stunden jung, als die Gestapo Josef Finster aus seinem Bett in der Derfflingerstraße 13 in Linz holte. Die Polizisten nahmen den damals 38-jährigen Mechaniker und Hunderte andere Menschen in „Vorbeugehaft“. Dazu ermächtigte sie ein staatlicher Sondererlass, wonach „ein schlagartiger Zugriff auf alle gefährlichen Berufs- und Gewohnheitsverbrecher durchzuführen“ sei. Wegen kleinerer Delikte stand Josef Finster in den 1920er- und frühen 1930er-Jahren mehrfach vor Gericht. Das genügte den Behörden in Österreich, wo im März 1938 die NSDAP die Macht übernahm, um Josef Finster zu verhaften und ihn in das Konzentrationslager Dachau zu deportieren.
Die Errichtung des Konzentrationslagers Dachau am 22. März 1933 jährt sich an diesem Samstag zum 92. Mal. Aus diesem Anlass präsentiert der Trägerkreis Gedächtnisbuch wie in den Jahren zuvor im Rahmen des Projekts „Namen statt Nummern“ neue „Gedächtnisblätter“: Schülerinnen und Schüler, Nachkommen von KZ-Häftlingen oder Mitwirkende des Trägerkreises stellen dabei zwölf Lebensgeschichten von Häftlingen des Konzentrationslagers Dachau vor. Darunter sind die Biografien des polnischen Abiturienten Kazimierz Wawrzyniak, des russisch-iranischen Studenten Georgij Solomonoff, des deutschen Ingenieurs und Lehrers Max Fried, des tschechischen Pfarrer Eugen Zelený, des Sinto-Musikers Franz Gory Kaufmann und des österreichischen Mechanikers Josef Finster.
Das Gedächtnisbuch ist eine stetig wachsende Sammlung von Biografien
Waltraud Finster wird die Geschichte ihres Großonkels vortragen. Dieser starb Ende November 1941 im Konzentrationslager Flossenbürg. „Für mich ist wichtig, mit dem Schweigen um Josef Finster zu brechen“, wird Waltraud Finster in einer Pressemitteilung zitiert. Ihre Nachforschungen hätten ergeben, dass ihr Großonkel nicht wegen einer konkreten gesetzwidrigen Handlung in ein Konzentrationslager gebracht worden sei. „Die Verhaftung erfolgte wegen des bloßen Verdachts, gefährlich zu sein und zukünftig wieder Straftaten zu begehen. Ihm und anderen, denen Ähnliches zugestoßen ist, soll eine Lebensgeschichte gegeben werden.“ Das mache es schwieriger, Personen und Gruppen zu stigmatisieren, „die – aus welchen Gründen immer – mit den Widrigkeiten des Lebens nicht zurechtkommen“, so Waltraud Finster.
Das Gedächtnisbuch ist eine stetig wachsende Sammlung von Biografien ehemaliger Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau. Die Evangelische Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau stellt die Gedächtnisblätter dauerhaft aus. Ein digitaler Lesetisch ermöglicht die Ansicht und Lektüre der Gedächtnisblätter. Jedes Jahr am 22. März werden die neuen Beiträge öffentlich vorgestellt und in das Gedächtnisbuch aufgenommen.
Die Veranstaltung findet am Samstag, 22. März, um 16 Uhr in der Kirche des Karmel Heilig Blut Dachau statt. Die musikalische Umrahmung übernimmt der Gitarrist und Komponist Tim Turusov. Anmeldung beim Dachauer Forum unter Telefon 08131/99 68 80 oder online unter https://www.dachauer-forum.de/veranstaltung/namen-statt-nummern-2025/.