Judentum: "Viele Schüler haben noch nie einen Rabbiner gesehen"

Judentum: Anlässlich eines Abschlussbesuchs der Konferenz der Europäischen Rabbiner gedachten hunderte jüdische Religionsführer den Opfern der Shoah.

Anlässlich eines Abschlussbesuchs der Konferenz der Europäischen Rabbiner gedachten hunderte jüdische Religionsführer den Opfern der Shoah.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Hunderte jüdische Religionsführer besuchen anlässlich der Konferenz der Europäischen Rabbiner die KZ-Gedenkstätte in Dachau. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann bestätigt, die Gedenkstätte ausbauen zu wollen.

Von Miriam Dahlinger, Dachau

"Wie symbolisch ist es, dass ich als Enkel von David Brodman, der in Auschwitz ermordet wurde, hier in Dachau stehe." Die Stimme von Shmuel Aharon Brodman, Rabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, schallt verstärkt über das Gelände der KZ-Gedenkstätte Dachau. Dort haben sich hunderte orthodoxe Rabbiner zu einer Gedenkveranstaltung anlässlich der Konferenz der Europäischen Rabbiner (CER) zusammengefunden. "Vor 77 Jahren sagten sie, es würde kein jüdisches Leben mehr geben, es würde alles vernichtet sein und jetzt sind wir hier, wir hatten eine Konferenz mit hunderten Rabbinern in München."

Von Montag an hatten sich orthodoxe jüdische Religionsführer aus insgesamt 43 Ländern, pandemiebedingt verschoben, zu einer Generalversammlung in München getroffen, den Abschluss der Versammlung bildete ein gemeinsames Gedenken in der KZ-Gedenkstätte Dachau. Dass das Führungspersonal des europäischen Judentums seine Versammlung in der einstigen "Hauptstadt der Bewegung" abhielt, sei ein historischer Schritt gewesen, wie auch Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern an die Rabbiner gewandt betonte: "Sie waren und sind in diesen Tagen in München zu Gast, das sind noch immer keine leichten Worte und das ist auch für viele von Ihnen kein leichter Schritt", sagte sie. Knobloch selbst hätte eine solche Konferenz lange nicht für möglich gehalten. Denn: "Hier in Dachau sehen wir, warum dieser Schritt so schwer bleibt."

Judentum: Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern Charlotte Knobloch hätte ein Treffen der Rabbiner an diesem Ort lange nicht für möglich gehalten.

Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern Charlotte Knobloch hätte ein Treffen der Rabbiner an diesem Ort lange nicht für möglich gehalten.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Im einstigen KZ Dachau waren etwa ein Viertel aller Häftlinge Juden, also rund 50 000 Menschen. In den Augen der SS bildeten die jüdischen Häftlinge die niedrigste Stufe der Häftlingshierarchie, die Grausamkeiten und Erniedrigungen der SS trafen jüdischen Inhaftierte besonders schwer. Mindestens 11 250 der im Dachauer Stammlager inhaftierten Juden überlebten die Haft nicht.

An der Gedenkveranstaltung nahm neben Knobloch auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) teil. "Auch 77 Jahre nach der Befreiung durch die US-Armee erfüllt uns dieser Ort des Grauens noch immer mit tiefer Bestürzung und Scham", erklärte Herrmann. Mit Bezug auf die Gegenwart nannte er die deutliche Zunahme antisemitischer Straftaten in Bayern um 40 Prozent "unerträglich". Man dürfe diese schreckliche Entwicklung nicht hinnehmen: "Diesen Angriffen auf unser Zusammenleben dürfen wir keinen Millimeter Platz geben." Dabei spiele es keine Rolle, ob der Antisemitismus von Deutschen oder Migranten komme.

Innenminister will weitere Bauten des Areals zugänglich machen

In diesem Zusammenhang unterstrich Herrmann die bestehenden Pläne der bayerischen Staatsregierung die KZ-Gedenkstätte in Dachau auszubauen: "Wir werden Bauten, die gegenwärtig noch anders genutzt werden und zu diesem KZ gehört haben, freimachen, weil auch die Nachfrage und die Zahl der Besucher deutlich gewachsen ist", sagte Herrmann. "Ich hoffe, dass wir in spätestens drei Jahren diese Erweiterungen zugänglich machen können."

Der Präsident der orthodoxen Rabbiner-Konferenz, Pinchas Goldschmidt, hatte bereits in seiner Eröffnungsrede in München die Europäische Union dazu aufgerufen, nicht bei der Bekämpfung des Antisemitismus stehen zu bleiben. Es müsse Religionsfreiheit garantiert werden, um eine jüdische Zukunft sicherzustellen. Goldschmidt, der auch Oberrabbiner von Moskau ist, sagte am Rande der Veranstaltung in Dachau: "Wir sehen, was passieren kann, durch Populismus, durch Kriege, wenn vom einen auf den anderen Tag alles zerschmettert wird, was wir hier in Europa aufgebaut haben". Zwar sei die Gedenkarbeit in Deutschland auf der einen Seite "sehr ausführlich", aber andererseits hätten die meisten Schüler "noch nie einen Rabbiner gesehen". Es sei viel zu tun, um sicherzustellen, "dass unsere Zukunft besser aussieht als die Vergangenheit".

Knobloch resümierte: "Wir sind hier und wir bleiben auch hier. Wir vergessen nicht und wir bauen weiter gemeinsam, gemeinsam an einer guten und dauerhaften Zukunft für jüdisches Leben".

Im Anschluss an das gemeinsame Gedenken nahmen die Rabbiner an englisch-, deutsch- und französischsprachigen Führungen über das Gelände der Dachauer KZ-Gedenkstätte teil.

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