Holocaust-Gedenktag:"Erinnern ist ein Teil dieser Partnerschaft"

Holocaust-Gedenktag: US-Diplomat Timothy Liston (rechts) lauscht dem Zeitzeugen Abba Naor.

US-Diplomat Timothy Liston (rechts) lauscht dem Zeitzeugen Abba Naor.

(Foto: Toni Heigl)

Zum Gedenktag an die NS-Opfer besucht der US-Generalkonsul Timothy Liston die KZ-Gedenkstätte. Dabei hört er viel Lob für die Amerikaner - und Erinnerungen eines Zeitzeugen.

Von Joshua Beer, Dachau

Eine Gemeinsamkeit entdecken sie gleich zu Beginn. Zeitzeuge Abba Naor ist in Litauen geboren, der amerikanische Diplomat Timothy Liston arbeitete mal in der Botschaft von Vilnius. Also plaudern sie ein wenig auf Litauisch, als sie auf den Eingang der KZ-Gedenkstätte Dachau zugehen. Liston, seit Juli 2021 US-Generalkonsul in München, hat am Donnerstag die Gedenkstätte anlässlich des Internationalen Gedenktags der Opfer des Nationalsozialismus besucht. Für einen Rundgang und um sich anzuhören, vor welchen Herausforderungen die Erinnerungsarbeit steht. Das Wetter eignet sich, "ein richtiger summer day", sagt Liston in der Sonne vor dem Besucherzentrum. Es ist trotzdem kalt.

Neben dem Holocaust-Überlebenden Naor nehmen Gedenkstättenleiterin Gabriele Hammermann sowie Karl Freller (CSU), Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, den Diplomaten in Empfang. Mit den Amerikanern sei Dachau besonders verbunden, erklärt Freller. Denn es waren US-Soldaten, die das KZ am 29. April 1945 befreiten. "Das werden wir nie vergessen", so Freller. Abba Naor, den die Nazis bereits als 13-Jährigen verschleppten, erinnert sich: Vom Außenlager in Kaufering zwang ihn die SS im Frühjahr 1945 auf den sogenannten Dachauer Todesmarsch. Dabei griffen ihn Amerikaner auf, die er aber nicht als solche erkannte. "Da waren diese fremden Gesichter und der Stern auf den Autos." Er dachte zunächst, das wären Russen, doch es war der Stern der US-Armee, nicht der der Sowjets. Hammermann berichtet von einem Forschungsprojekt zu der Frage: Wer hat das Lager befreit? Zu 30 beteiligten GIs habe man bereits Kontakt aufgenommen.

"Der wachsende Antisemitismus auf beiden Seiten des Atlantiks geht uns alle an."

Liston spricht dann - in perfektem Deutsch - von der deutsch- beziehungsweise bayerisch-amerikanischen Partnerschaft: "Geschichte erinnern ist ein Teil dieser Partnerschaft." Auch das Engagement gegen Rechtsextremismus. "Der wachsende Antisemitismus auf beiden Seiten des Atlantiks geht uns alle an. Erinnerungsarbeit ist immer auch Präventionsarbeit." Abba Naor hört zu und sagt dann laut auf Englisch: "Ich muss mich nicht erinnern, ich werde nie vergessen." Später wird er dem Generalkonsul sein Buch "Ich sang für die SS" signieren und schenken.

Es ist nicht zu vermeiden, die Rede kommt auf Listons Chef, US-Präsident Joe Biden. Der hatte - damals noch als Vize - die Gedenkstätte 2015 besucht und ihr später in einer Autobiografie vorgeworfen, sie würde grausame Einzelheiten abmildern und Geschichte schönen. "Ich muss die Chance nutzen", sagt Karl Freller. Er habe Biden auf die Kritik hin für einen zweiten Besuch eingeladen. "Das war eine ernste Einladung, die ich jetzt mündlich wiederhole." Die Münchner Sicherheitskonferenz oder das G7-Treffen böten sich ja an. Liston lacht verlegen und versichert: "Das wird nach Washington weitergeleitet." Ob Biden denn noch immer dieser Ansicht sei oder sich korrigiert habe? Dazu wisse er nichts, so Liston. "Wir können das researchen."

Die Gedenkstätte soll zum "selbstlernenden System" werden

Weiter mit dem Rundgang durch das Jourhaus über den Appellplatz hinein in die Dauerausstellung. Liston hört aufmerksam zu, Direktorin Hammermann erzählt aus der Geschichte und davon, was die Gedenkstätte vorhat. Eine Sonderausstellung zu den Dachauer Prozessen etwa. Diese waren ein massiver juristischer Kraftakt - 489 Verfahren und 1672 Angeklagte. "Das war eine große, große Leistung der Amerikaner", so Hammermann. Die USA leiteten die Prozesse. Weiterhin erzählt Hammermann von der anstehenden "Neugestaltung" der Gedenkstätte. Zum "selbstlernenden System" soll sie werden, in dem Besuchende eigene Ideen hinterlassen können.

Vor allem junge Menschen sollen stärker eingebunden werden. "Zu normalen Zeiten haben wir jährlich eine Million Besucher, davon die Hälfte Schüler", sagt Hammermann. Wie gerufen trifft die Runde auf zwei Siebtklässlerinnen. Freller, der gerne Chancen nutzt, präsentiert ihnen den Zeitzeugen und den amerikanischen Konsul. Leichte Überforderung bei den Mädchen. Doch Liston, ganz der Diplomat, stellt ihnen freundlich Fragen. Und verabschiedet sich mit: "Schön, dass ihr da seid." Er will auch wiederkommen. Zur Eröffnung der Sonderausstellung zu den Dachauer Prozessen am 29. April.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusKZ-Gedenkstätte Dachau
:Das verseuchte Original

Gestohlen, wiederaufgetaucht und ausgestellt. Die Geschichte des berüchtigten KZ-Tores in Dachau fasziniert die britische Künstlerin Rachel Mars. Jetzt schmiedet sie eine Replik der Replik. Warum?

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: