Süddeutsche Zeitung

Bayerisches Gedenkkonzept:Erinnerungspolitische Warteschleife

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Die Staatsregierung ist besonders gut darin, Bekenntnisse zu einer "lebendigen Erinnerungskultur" abzugeben. Doch tatsächlich folgen diesen Worthülsen nie Taten.

Kommentar von Helmut Zeller, Dachau

Zurzeit hagelt es geradezu "starke Bekenntnisse" der Staatsregierung, zumindest auf dem Feld der Erinnerungspolitik. Ganz stark war die Bekanntgabe eines Kabinettsbeschlusses für ein Gedenkkonzept Anfang 2020. Deshalb erschließt sich jetzt auch nicht sofort, warum denn der Kabinettsbeschluss für zwei Einzelprojekte daraus wiederum als "ein starkes Bekenntnis zur historischen Verantwortung" bejubelt wird - es sei denn, nicht nur die Kritiker bayerischer Vergangenheitspolitik, auch ihre Akteure selbst hätten der Großankündigung von damals nicht so richtig getraut. Demnächst wird vielleicht auch noch die Zuteilung eines neuen Bürostuhls für die Gedenkstättenverwaltung in Dachau als ein "starkes Bekenntnis" gehandelt.

Aber genug gespottet. Die Nachricht von der bevorstehenden Sanierung und Neugestaltung der beiden rekonstruierten Häftlingsbaracken - seit Jahren bitter notwendig - ist sehr erfreulich. Gespannt darf man allerdings sein, wie stark das Bekenntnis ausfallen wird, wenn der Bund sich bei der finanziellen Projektförderung weniger bekenntniseifrig zeigen sollte, also der Freistaat auf den Gesamtkosten, über die vorsorglich schon mal kein Wort verlautet, sitzen bleibt.

"Leere Versprechungen"

Die Grünen-Abgeordnete Gabriele Triebel kann indes keine Ruhe geben, erinnert unberührt von dem "starken Bekenntnis" an die vielen anderen Projekte allein in Dachau, die seit Jahren in der Warteschleife bayerischer Vergangenheitspolitik festhängen; der erinnerungspolitischen Sprecherin der Grünen-Fraktion sind es einfach zu viele Bekenntnisse bei fast null Ergebnissen. Vielleicht hat sie auch die Schlagzeile eines Spiegel-Artikels von 1996 vor Augen: "Leere Versprechungen". Damals hatte - interessante Parallele - Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) ein Jahr zuvor der Gedenkstätte sechs Millionen Mark für Instandsetzung und Erweiterung zugesagt. Ein knappes Jahr danach war noch immer kein Geld geflossen. Aber damals war die Staatskanzlei auch noch nicht auf den Verkaufsschlager vom "starken Bekenntnis" gekommen. Vielleicht stolperte es damals auch nur beim Start, denn bis dahin hatte die CSU auf die Gedenkstätte, überhaupt auf Erinnerungspolitik, nicht so viel Wert gelegt - was auch, natürlich andersherum, ein starkes Bekenntnis war.

Heute hat sich, das muss man zugestehen, doch vieles zum Besseren gewendet - seit der fast kompletten Übernahme von Erinnerung und Gedenken durch die Regierungspartei. Doch das hat auch seinen Preis. Da gerieren sich auch Mandatsträger im Landkreis, als hätte ihre Partei die Erinnerungsarbeit gar erst erfunden, als wäre ihr nicht erst durch das nervende Engagement zivilgesellschaftlicher Initiativen, ein Licht aufgegangen. Heureka muss mal einer ausgerufen haben, wir machen es selbst, dann ist Ruhe im Karton - fast. Es gibt halt immer wieder ein paar, die stören. So erklärt sich vielleicht auch die stete Weigerung, das Gesamtkonzept vorzulegen - aber ist das noch demokratisch? Schräg ist es auf jeden Fall, Abgeordnete, also das Volk, das sie vertreten, in Unwissenheit zu halten. Immerhin: Die "starken Bekenntnisse" der Staatsregierung werden ihnen nicht vorenthalten.

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