KZ-Gedenkstätte Dachau:Die Geduld ist erschöpft

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An Weihnachten schon ist ein Stück des Leitenbergs im Dachauer Stadtteil Etzenhausen abgerutscht. Außer Baumfällungen gibt es noch keine weitere Sicherung. (Foto: Toni Heigl)

Nach dem Erdrutsch am Leitenberg mit dem KZ-Friedhof fordern die Grünen von der bayerischen Gedenkstättenstiftung und der Staatsregierung eine sofortige umfassende Sanierung. Und es geht ihnen um mehr: Eine grundlegende politische Kursänderung, die Gedenkorte entsprechend ihrer historischen Bedeutung behandelt.

Von Helmut Zeller, Dachau

Für die bayerischen Grünen ist eine rote Linie überschritten. An Weihnachten ist der Südhang des Leitenbergs, auf dem sich der KZ-Friedhof für 7400 Opfer des Naziterrors befindet, im Dachauer Stadtteil Etzenhausen abgerutscht - die Staatsregierung reagierte darauf mit nicht viel mehr als Beschwichtigungen und Achselzucken. In einem offenen Brief fordern nun die Grünen in Stadtrat und Kreistag vom Freistaat, sofort ausreichend viel Geld für die Sicherung des Friedhofs zur Verfügung zu stellen.

Schon seit den 1980er Jahren warnen Experten vor einem Erdrutsch an dem Hügel aus brüchigem Gestein. Marese Hoffmann, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Kreistag, Dachaus Dritte Bürgermeisterin Luise Krispenz, Stadtrat Richard Seidl, Referent für Zeitgeschichte und Sprecher des Kreis- wie Ortsverbandes der Grünen, wenden sich nun direkt an Karl Freller (CSU), Landtagsvizepräsident und Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten. Sie rufen ihn auf, "dringend zu handeln". Auch die Landtagsfraktion der Grünen fordert von der Staatsregierung Taten. Deren erinnerungspolitische Sprecherin, Gabriele Triebel, hatte nach dem Erdrutsch eine Anfrage gestellt, die Antwort liegt nun vor - und stellt die Politikerin überhaupt nicht zufrieden. Doch die Kritik der Grünen geht über diesen Einzelfall hinaus und meint die gesamte Erinnerungspolitik in Bayern. Sie verlangen eine finanzielle Ausstattung der Gedenkorte, die deren nationaler und - wie im Falle Dachaus - internationaler Bedeutung gerecht wird.

Laut Regierung hatte der Erdrutsch keinen Einfluss auf den KZ-Friedhof

Die Grünen verweisen auf die zentrale Bedeutung des Friedhofs als Teil der KZ-Gedenkstätte Dachau mit jährlich etwa einer Million Besuchern aus Deutschland und dem Ausland. Gabriele Triebel hatte "Sofortmaßnahmen zur Sicherung des KZ-Friedhofs" angemahnt, um einen weiteren Zerfall des Gedenkorts zu verhindern, und nach den zeitlichen wie finanziellen Perspektiven dafür gefragt. Sie kritisierte, dass bisher weder die Gedenkstättenstiftung noch das zuständige Kultusministerium einen Beschluss zur Erhaltung des KZ-Ehrenfriedhofs gefasst haben. Die Antwort: "Die Staatsregierung hat keinen gesonderten Beschluss zum KZ-Friedhof Leitenberg gefasst, weil dessen Erhalt im Rahmen der regulären Aufgabenwahrnehmung der Stiftung Bayerische Gedenkstätten bzw. der Gedenkstätte Dachau sichergestellt wird." Der kleinere Erdrutsch in einer Entfernung von 100 bis 150 Meter vom KZ-Friedhof habe auf diesen "keinerlei Einfluss" gehabt. "Als Sofortmaßnahmen wurden an der Abbruchkante...einige Bäume gefällt. Die Situation an der Hangkante wird von der Gedenkstätte sowie vom zuständigen Staatlichen Bauamt Freising laufend überwacht, um eine Gefährdung des KZ-Friedhofs auszuschließen." Es sind laut Landratsamt Dachau 50 bis 60 Bäume.

Der KZ-Friedhof für 7400 Opfer des Naziterrors befindet sich oben auf dem Leitenberg im Dachauer Ortsteil Etzenhausen. (Foto: Toni Heigl)

Noch vor einem Jahr reagierte das Kultusministerium auf eine entsprechende Anfrage der Abgeordneten Triebel so: "Eine zeitliche Perspektive für die Behebung dieses Problems gibt es derzeit nicht." Als Begründung wurden die "unabsehbaren Kosten" für eine Sicherung des Hügels genannt. Diesmal erklärt das Ministerium, dass die Erhaltung und Pflege des Leitenbergs wie auch der 75 weiteren bayerischen KZ-Friedhöfe auch durch Bauunterhaltsmittel des Bundes grundsätzlich gesichert seien. "Diese werden bei Bedarf durch bayerische Sondermittel ergänzt. Eine entsprechende Initiative hat beispielsweise Stiftungsdirektor und Erster Landtagsvizepräsident Freller im Rahmen der Haushaltsgesetzgebung 2022 auf den Weg gebracht." Freller selbst war am Donnerstag nicht zu erreichen, eine Sprecherin der Gedenkstättenstiftung teilte mit, dass er nächste Woche ausführlich zum offenen Brief der Grünen Stellung nehmen werde.

In der Dachauer KZ-Gedenkstätte verfallen mehrere Gebäude

Die Dachauer Grünen kritisieren die Erinnerungspolitik in Bayern jedoch grundsätzlich. Es gehe um eine ganze Reihe "höchst sanierungsbedürftiger Gebäude und Liegenschaften" an der KZ-Gedenkstätte. Auch andere historisch herausragende Gebäude und Teile der Gedenkstätte verfallen: Das Krematorium des ehemaligen Konzentrationslager drohe einzustürzen; das Internationale Mahnmal habe Risse und sei immer noch verhüllt; die beiden rekonstruierten Häftlingsbaracken drohten zusammenzufallen, obwohl seit 2016 ein Konzept vorliege, wie mit diesem Ort umzugehen wäre; der sogenannte Kräutergarten, ein einzigartiger, überregional bedeutsamer Ort, verfalle seit Jahrzehnten. Die Gedenkstättenstiftung müsse ihrer Verantwortung gerecht werden. "Mit regelmäßigen Absichtserklärungen, angekündigten Einzelinitiativen und Beschwichtigungen sowie durchaus richtigen Worten an Gedenktagen ist es nicht getan; sie werden mit der Zeit unglaubwürdig, wenn ihnen offenkundig keine Taten folgen."

Die Kritik bezieht sich auch auf die Ankündigung eines umfassenden Gedenkkonzeptes des Freistaats für alle Erinnerungsorte im Land, darunter die Gedenkstätten Dachau und Flossenbürg, ehemalige Außenlager, das ehemalige Reichsparteitaggelände in Nürnberg oder den Obersalzberg. Wie Stiftungsdirektor Freller in einem Interview der SZ vor wenigen Wochen erklärt hat, befindet sich das Konzept auf dem Weg. In Dachau würden zunächst die beiden baufälligen Baracken angegangen. Vor zwei Wochen hat das Kultusministerium sie in die Liste der Projekte aufgenommen, für die vom Bund ein Zuschuss beantragt wird. Dem sollen weitere Vorhaben, auch zur Erweiterung der Gedenkstätte, folgen.

Die Grünen kritisieren jedoch: "Die authentische Fortexistenz der KZ-Gedenkstätte Dachau ist nicht durch Priorisierung einzelner Projekte gegeneinander, sondern durch eine allumfassende Priorisierung der Bestandssicherung in ihrer Gesamtheit zu sichern. Wir fordern daher, dass Sie, Herr Freller, als dafür zuständiger Stiftungsdirektor, endlich die notwendigen Maßnahmen ergreifen. Eine Garantie zum Erhalt der KZ-Gedenkstätte Dachau ist überfällig und sie muss in konkreten und dauerhaften Mitteln erfolgen, die der Bedeutung und dem Auftrag der Gedenkstätte angemessen sind."

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