Einbußen wegen Corona:Zu wenig Geld für die Erinnerungsarbeit

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Auch in finanzieller Hinsicht macht sich die Krise bemerkbar. Die Einnahmenverluste belaufen sich auf eine halbe Million Euro. Auch im Staatshaushalt ist für das Jahr 2021 weniger Geld eingeplant. (Foto: Toni Heigl)

Durch die Corona-Krise fehlen der KZ-Gedenkstätte Dachau Einnahmen von einer halben Million Euro. Aber die Finanzierung notwendiger Projekte steht nicht nur deshalb in Frage.

Von Helmut Zeller, Dachau/München

In der Corona-Krise wird es für die bayerische Erinnerungspolitik eng. Die KZ-Gedenkstätten treibt die bange Frage um, wie viel Geld nach dem Ende der Pandemie für sie noch übrig sein wird. Im Bildungshaushalt des Freistaats sind für 2021 schon mal eine halbe Million Euro weniger für Investitionen der Stiftung eingestellt als im Vorjahr. Dabei haben die Einrichtungen durch die Corona-Krise im vergangenen Jahr selbst finanzielle Einbußen hinnehmen müssen. Vor allem die KZ-Gedenkstätte Dachau ist stark betroffen: Bis 30. November beliefen sich die Einnahmeverluste auf fast eine halbe Million Euro. Das geht aus einer Anfrage der Grünen-Fraktion im Landtag hervor.

Jährlich kommen knapp eine Million Besucher nach Dachau, darunter viele Schulklassen. Wann diese Zahl jemals wieder erreicht wird, ist unklar. Seit Ende 2020 ist die Gedenkstätte geschlossen - und ein Ende des Lockdowns ist nicht abzusehen. Es steht noch mehr auf dem Spiel: Wichtige Projekte des Gedenkorts, zum Teil schon seit Jahren in Planung, liegen auf Eis oder werden sich verzögern. "Corona hat sich uns leider in einem guten Lauf in den Weg gestellt", sagt Stiftungsdirektor und Landtagsvizepräsident Karl Freller (CSU).

Geht dem Gedenken das Geld aus? "Nein", sagt Stiftungsdirektor Karl Freller. Er sei optimistisch: "Die Staatsregierung ist guten Willens." Die Frage ist nur, wie schnell sich der Staatshaushalt von den Folgen der Corona-Pandemie erholt - wenn sie noch ein Jahr lang anhält, wonach es aussieht, dann würde es am Ende angesichts der Einnahmeverluste und hohen Ausgaben gar nicht mehr rosig aussehen. Und dann würden die Verteilungskämpfe ums Geld beginnen. Schon vor Monaten hat deshalb der Shoah-Überlebende Abba Naor, Vizepräsident des Internationalen Dachau-Komitees, in einem Gespräch mit der SZ eindringlich davor gewarnt, die Aufklärung der Jugendlichen über die NS-Verbrechen in der Corona-Krise hintanzustellen.

"Ich weiß nicht, wie es weiter geht", sagt Freller. Niemand weiß, wie sich das Infektionsgeschehen entwickelt. In der Krise haben bisher die Probleme der Gedenkstätten keine besondere Aufmerksamkeit erfahren, auch nicht in der Politik. Gabriele Triebel, erinnerungspolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion, hat dazu eine Anfrage gestellt. Heraus kam für Dachau: Bei den Einnahmen für Führungen, Gruppenführungen, Restauration und der Bewirtschaftung des Parkplatzes an der Dachauer Gedenkstätte verzeichnete die Stiftung zum 30. November 2020 im Vergleich zum Vorjahr Einnahmeausfälle von 471 451 Euro. Für die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, die zweite und kleinere in Bayern, lag der Ausfall bei nur 5830 Euro.

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"Durch Einsparanstrengungen bei der Bewirtschaftung der Grundstücke, Gebäude und Räume und im Weiteren bei den Ausgaben für Veranstaltungen und Ausstellungen konnten die Finanzierungslücken vollständig gedeckt werden, so dass derzeit kein Handlungsbedarf für weitere Hilfen des Freistaats besteht", so die Stiftung.

Die Abgeordnete Triebel stellt diese Antwort nicht zufrieden. "Auch die KZ-Gedenkstätte Dachau ist von Corona betroffen - unverschuldet, wie alle anderen auch. Einnahmeausfälle von fast einer halben Million Euro muss die Gedenkstätte verschmerzen. Die Stiftung Bayerische Gedenkstätten sieht es trotzdem nicht für nötig an, dass diese Verluste ausgeglichen werden." Diese Haltung könne sie nicht nachvollziehen. "Allerorten gleichen wir Verluste durch Corona aus - und das ist auch richtig so. Da dürfen wir einen so wichtigen Bereich wie die Gedenkarbeit in Bayern und einen so wichtigen Ort wie die KZ-Gedenkstätte Dachau doch nicht ausnehmen."

Eva Gruberová führte im Februar 2019 im Rahmen eines mehrtägigen Workshops am Max-Mannheimer-Studienzentrum Neuntklässler des Kirchseeoner Gymnasiums über das Gelände, als sie Nikolai Nerling erkannte. (Foto: Toni Heigl)

Die Grünen-Politikerin sieht den Freistaat in der Pflicht, nicht nur die Verluste sofort auszugleichen, sondern überhaupt Einrichtungen zur politisch-historischen Bildung finanziell angemessen auszustatten. "Es ist ja nicht so, dass die KZ-Gedenkstätte so üppig ausgestattet wäre, dass sie auf dieses Geld einfach so verzichten könnte." Im Haushalt 2021 sind für die Gedenkstättenstiftung, die auch für die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg und eine Vielzahl von ehemaligen Außenlagern zuständig ist, insgesamt 7,8 Millionen Euro eingestellt; 5,8 Millionen Euro für den Betrieb und Unterhalt der Gedenkstätten, also Personal- und Sachkosten; zwei Millionen Euro für Investitionen, eine halbe Million weniger als im Jahr 2020.

Die Erhaltung der historischen Gebäude des Krematoriums, deren Bausubstanz arg gelitten hat, ist gesichert. Auch die Sanierung der zwei Häftlingsbaracken, Nachbauten aus dem Jahr 1965, die bei Schneefall wegen der Einsturzgefahr nicht mehr betreten werden können. Aber noch weitere Sanierungen wären nötig, etwa das Internationale Mahnmal am ehemaligen Appellplatz droht einzustürzen. Der Bildhauer Nandor Glid, dessen fast gesamt Familie in der Shoah ermordet wurde, hat die Skulptur "Menschen im Stacheldraht" geschaffen. Die Mängel sind seit Jahren bekannt, geschehen ist nichts. Immerhin: Der neue Parkplatz für die Besucher, ein 6,5-Millionen-Projekt, wurde noch fertiggestellt und wird bald offiziell eröffnet.

Gegen mehr Geld hätte der Stiftungsdirektor nichts einzuwenden. Nach jahrelangen Kämpfen um die finanzielle und personelle Ausstattung der Dachauer und anderer Gedenkstätten schien ein Durchbruch erzielt. Deshalb erinnert sich Karl Freller so gut an den 21. Januar 2020. An diesem Tag fasste das Regierungskabinett einen wegweisenden Beschluss: für ein "Gesamtkonzept der Erinnerungsarbeit" sowie "den Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus" - mit mehr als 100 Millionen Euro in den nächsten zehn Jahren. Daraus hätte es auch Geld für die Zukunftsprojekte der Gedenkstätte Dachau geben sollen, um deren, wie erklärt worden ist, europäischen Bedeutung gerecht zu werden. Zwischen 1933 und 1945 waren in dem Konzentrationslager Dachau und seinen Außenlagern, Vorbild für alle anderen KZ und Vernichtungslager der Nationalsozialisten, mehr als 200 000 Menschen aus ganz Europa eingesperrt; mehr als 41 500 überlebten nicht. An diesem Tag im Januar, erzählt Freller, das Coronavirus schien so weit weg, wollte er spontan mit ein paar Flaschen Sekt auf die Praterinsel in München, Sitz der Stiftung, fahren, um mit seinen Mitarbeitern zu feiern. Eine Arbeitsgruppe wurde gebildet, die an dem Erinnerungskonzept arbeitet; davon hat die Öffentlichkeit dann nichts mehr gehört, Geld ist auch noch nicht geflossen. Wann wie viel nach Dachau und anderswo geht, diese Frage hat ihr bis heute niemand beantwortet, wie Gabriele Triebel sagt.

Auf jeden Fall steht es offenbar nicht so gut um die Zukunftsprojekte der Dachauer Einrichtung: Dazu gehört die Sanierung und Erhaltung des "Kräutergartens", der früheren SS-Plantage, in der vor allem jüdische Häftlinge und Priester geschunden und ermordet wurden. Auch die Übernahme dringend notwendiger Gebäude auf dem Gelände der Bereitschaftspolizei, auf dem bis Kriegsende die SS-Mannschaften untergebracht waren, ist ins Stocken geraten. Stiftungsdirektor Freller würde, wie er erklärt, nicht sagen, dass diese Vorhaben auf Eis gelegt worden sind. Eine längere Verzögerung befürchte er jedoch schon.

Die KZ-Gedenkstätte benötigt dringend Räume für Schulklassen

Freller sagt, jetzt müsse man eine Prioritätenliste schreiben. Der "Kräutergarten" sei für den Betrieb der Gedenkstätte nicht dringlich. Die sogenannte Plantage umfasste seit dem Frühjahr 1941 eine Fläche von 148 Hektar und unterstand seit 1939 dem SS-Wirtschaftsunternehmen "Deutsche Versuchsanstalt für Ernährung und Verpflegung". Das Gelände gehört heute der Stadt Dachau, die es zu einem symbolischen Preis dem Freistaat überlassen will. Allerdings prüft das staatliche Bauamt zuerst noch mögliche Altlasten auf dem Areal - und das nun auch schon seit weit mehr als einem Jahr. Doch wie Freller betont, gibt es dabei noch andere Probleme: Für den Besuch eines Gedenkorts "Kräutergarten", wären vielleicht auch noch infrastrukturelle Maßnahmen wie Straßen nötig - also noch mehr Geld, wenn nicht die Stadt die Kosten übernähme.

Keinen Aufschub duldet indes die Übernahme von drei historischen Gebäuden auf dem angrenzenden Areal der Bereitschaftspolizei. Die KZ-Gedenkstätte benötigt dringend Räume für Schulklassen, um einen Besuch des authentischen Ortes nachbesprechen zu können oder für Seminare und Workshops. In der Gedenkstättenpädagogik ist man sich heute einig, dass allein eine Führung von zweieinhalb bis drei Stunden nicht ausreicht, um über die NS-Verbrechen aufzuklären und Bezüge zur Gegenwart, etwa die heutigen Erscheinungsformen des Antisemitismus, herstellen zu können. Doch diese Gebäude hätten, so Freller, einen "immensen Sanierungsbedarf". "Es ist nicht ganz leicht", sagt er. Der Zeitverlust in der Krise relativiert sich jedoch nach seiner Ansicht: Denn für diese Projekte hätte man auch sonst eine Planungsphase gebraucht, Machbarkeitsstudien und Kostenkalkulationen wären auch ohne Corona nötig.

Der Pandemie fallen auch in diesem Jahr die Gedenkfeiern zum Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau am 29. April 1945 zum Opfer. Mehrere Hundert Überlebende und ihre Angehörigen sowie ehemalige amerikanische Soldaten, die an der Befreiung der KZ-Häftlinge mitwirkten, waren zum 75. Jahrestag 2020 eingeladen - aber wegen der Infektionsgefahr fiel die Gedenkfeier aus und sollte in diesem Jahr nachgeholt werden.

Wenn der Streit ums Geld aus dem schwächelnden Haushalt des Freistaates losgeht, dann will der Landtagsvizepräsident auf einer Sache beharren: Gerade in der politischen Situation mit zunehmendem Antisemitismus und Rechtsextremismus, der steigenden Zahl von Anhängern antisemitischer Verschwörungsideologien, bestehe mehr denn je Handlungsbedarf, um die Gedenkstätten richtig auszustatten. Es ist seine eigene Partei, die er davon überzeugen muss.

© SZ vom 22.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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