Dachau:"Wir dürfen nicht aufhören, Fragen zu stellen"

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US-Botschafterin Amy Gutmann (Mitte) und US-Generalkonsul Timothy Liston im Gespräch mit Gedenkstättenleiterin Gabriele Hammermann in der Sonderausstellung zu den Dachauer Prozessen. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Am Jahrestag der Befreiung des KZ Dachau hält US-Botschafterin Amy Gutmann eine emotionale Rede und erinnert an ihren Vater, der vor den Nazis fliehen musste. Eine neue Ausstellung dokumentiert die Dachauer Prozesse.

Von Thomas Radlmaier, Dachau

Als Amy Gutmann an diesem Freitagmittag in der KZ-Gedenkstätte Dachau ans Rednerpult tritt, spürt sie ihr Herz. "Es pumpt, während ich hier spreche", sagt die US-Botschafterin, ihre Stimme zittert. Etwa 20 Menschen, darunter Gedenkstättenmitarbeiter, Vertreter des US-amerikanischen Konsulats oder der ukrainische Holocaust-Überlebende Borys Zabarko, schauen gebannt zu ihr hoch. In ihrem Rücken das berühmte Mahnmal für die Opfer des Dachauer Todesmarsches.

Es ist ein emotionaler und sehr persönlicher Auftritt der 72-Jährigen in Dachau anlässlich der Befreiung des KZ vor 77 Jahren. Ihr Vater, Kurt Gutmann, ein Jude, musste 1934 aus Nazi-Deutschland fliehen. "Ich wäre heute nicht hier, wenn mein Vater nicht so mutig und vorausschauend gewesen wäre", sagt Gutmann. Seine Lebensgeschichte motiviere sie jeden Tag neu, für das, was sie tue. "Ich fühle für mich keine größere Verantwortung, als die Erinnerung an die Opfer und Überlebenden des Holocausts wach zu halten."

Zwischen 1933 und 1945 ermordeten die Deutschen in Dachau mehr als 41 500 Menschen. Das erste Konzentrationslager in Deutschland galt als Vorbild für alle anderen. Am 29. April 1945 befreite die US-Army das Lager. Die Soldaten des 157. Infanterieregiments der 45. Division, die Thunderbirds trafen auf rund 32 000 vom SS-Terror gezeichnete Überlebende und Berge unbestatteter Leichen. Es war die Ankunft in der Hölle.

Die Sonderausstellung zum Thema Dachauer Prozesse in der KZ Gedenkstätte hat auch interaktive Elemente. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Wenige Monate später startete die US-Justiz in einem Gebäude unweit des KZ die Militärgerichtsverfahren, die als Dachauer Prozesse in die Geschichte eingingen. In den rund 3500 Verfahren mussten sich 1912 Angeklagte wegen ihrer Taten während des Nationalsozialismus rechtfertigen. Die Dachauer Prozesse zeigten: Der Holocaust und die anderen NS-Verbrechen waren nicht nur die Taten der Hauptkriegsverbrecher, die in Nürnberg vor Gericht standen. Es waren viel mehr Menschen involviert. Große Teile der deutschen Bevölkerung wussten eben doch Bescheid, was in den Lagern geschah. Neben SS-Angehörigen oder medizinischem KZ-Personal hätten sich in Dachau auch "ganz normale Männer und Frauen" zu verantworten gehabt, sagt Gedenkstättenleiterin Gabriele Hammermann. Das sei auch ein Grund gewesen, weshalb die Prozesse in der deutschen Nachkriegsöffentlichkeit auf Ablehnung gestoßen seien und bis heute im Schatten von Nürnberg stünden.

"Ich danke Ihnen, dass Sie die Tochter von Kurt Gutmann eingeladen haben"

Die KZ-Gedenkstätte Dachau will das ändern und hat am Freitag eine Sonderausstellung zu den Dachauer Prozessen eröffnet. An zehn Stationen können sich die Besucher über die Verfahren, rechtliche Grundlagen, Angeklagte, Zeugen oder Gerichtspersonal informieren. Die Dachauer Prozesse sollen in der Bildungsarbeit der Gedenkstätte "langfristig eine wichtige Rolle spielen", so Hammermann.

US-Botschafterin Gutmann ist sichtlich beeindruckt, als sie durch die Ausstellung läuft. Fast eine ganze Stunde nimmt sie sich Zeit, hört zu, fragt nach. An einer Lichtinstallation tauchen abwechselnd immer wieder Fragen auf. "Wie kann Gerechtigkeit geschaffen werden?", lautet eine davon. "Wir dürfen nicht aufhören, diese Fragen zu stellen", sagt Gutmann. So behalte man die Erinnerung lebendig. Auch heute müsse man Beweise für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit dokumentieren und bewahren, "um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen", sagt Gutmann in ihrer Rede. Jetzt spricht sie über Putins Angriffskrieg in der Ukraine. Die russische Invasion wecke Erinnerungen, Ängste und Traumata einer Ära der Geschichte, "von der die Welt hoffte und betete, dass sie sich nie wiederholen würde". Ängste, wie sie vielleicht auch ihr Vater erlebt hat. Gutmann spricht in Dachau als US-Botschafterin, aber auch als direkte Nachfahrin eines Betroffenen. Zum Schluss sagt sie: "Ich danke Ihnen, dass Sie die Tochter von Kurt Gutmann eingeladen haben."

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