"Im Fluss": Diesen Titel haben Florian Marschall und Lothar Reichel ihrer gemeinsamen Ausstellung in der Galerie der Künstlervereinigung Dachau (KVD) gegeben, die während der "Langen Nacht der offenen Türen" eröffnet wurde und noch bis zum 8. Oktober zu sehen ist. Lothar Reichel ist mit großformatigen Farbfotografien und zwei kleineren Schwarz-Weiß-Arbeiten in der Schau vertreten, Florian Marschall mit Federzeichnungen, für die er Reichels Aufnahmen als Vorlage verwendet hat.
Voraussetzung für diese Zusammenarbeit war und ist, dass Reichel und Marschall trotz ganz unterschiedlicher Techniken und Herangehensweisen intuitiv, auf der Basis gegenseitigen Kennens und Verstehens, gut miteinander kommunizieren können. Schließlich kommen beide aus Dachau und wissen seit Langem, wie der jeweils Andere arbeitet und denkt. "Wir haben ähnliche Sichtweisen", sagt Marschall, "sowohl was die Grafik, wie auch was die Welt betrifft".
Lothar Reichels Fotografien sind alle in unmittelbarer Nähe des Flusses entstanden
Für die Ausstellung haben sich die beiden Künstler nach eigener Aussage "auf unsere Heimat fokussiert" und den Fluss, die Amper, als wichtigen Bereich dieser Heimat in den Mittelpunkt gestellt. Bereits beim Betreten des Ausstellungsraums gerät man mitten hinein in diesen Fluss, dessen fließend sich bewegende Lichtreflexe auf den Fußboden projiziert werden. Gurgelnde Wassergeräusche untermalen akustisch die Illusion, "im Fluss" zu stehen.
Lothar Reichels Farbfotografien sind alle in unmittelbarer Nähe des Flusses, im Amper-Auwald, zwischen Naturfreundehaus und Wehr, entstanden. Reichel, der an der Fachhochschule in Dortmund Visuelle Kommunikation mit den Schwerpunkten Fotografie und Film studiert hat, als Werbefotograf vor allem für die Autoindustrie tätig war und als Porträtist der Dachauer Subkultur bekannt wurde, wirft auf seinen Farbaufnahmen einen ungeschönten Blick in die Natur des Amper-Auwalds: ins Totholz angeschwemmter, umgebrochener Baumstämme, ins Unterholz am Fluss, wobei allerdings dessen Wasser kaum selbst ins Bild rückt.
Reichels Fotografien bildeten den Ausgangspunkt für die Zeichnungen von Florian Marschall. Dessen Arbeitsweise besteht darin, Fotografien digital zu verfremden und zu bearbeiten. Marschall wählt Ausschnitte aus, fokussiert sich bei der Bearbeitung auf das Herausarbeiten der Schwarz-Weiß-Kontraste einer Aufnahme, lässt Details in den Hintergrund treten oder ganz verschwinden. Der dabei entstehende Abstraktionsprozess führt zu ganz neuen Bildwirkungen. Das Ergebnis dieses Prozesses dient dann als Vorlage für die exakt mit schwarzer Tusche und feinstem Malwerkzeug übertragene Zeichnung.
Die Fertigstellung eines Werks dauert laut Marschall im Schnitt drei Monate, wenn Hindernisse auftauchen durchaus auch mal länger. Er arbeite in Zyklen, erklärt der Künstler, den man in Dachau von vielen Ausstellungsbeteiligungen und auch auf Grund seiner Mitgliedschaft in der KVD sowie durch seine Tätigkeit in deren Vorstand kennt. Regelmäßig ist Marschall auch bei Ausstellungen im Rahmen von Dachaus Partnerschaft mit dem polnischen Oświęcim vertreten.
Der Blick auf die gemeinsame Heimat umfasst bei Florian Marschall einen etwas weiter gefassten Bereich als der Lothar Reichels. So hat Marschall Zeichnungen mitgebracht, auf denen etwa das historische Gebäude der "Holländerhalle", ein Industriedenkmal auf dem Gelände der Bereitschaftspolizei, dargestellt ist, Reste der ehemaligen Bebauung des "Kräutergartens" oder der nicht mehr existierende Generator der früheren Papierfabrik. Die mit feinsten Punkten und Linien ausgeführten Zeichnungen haben für den Betrachter auf den ersten Blick die Anmutung von Fotografien; erst beim Nähertreten wird sichtbar, dass es sich um eine ganz andere technische Umsetzung von "Realität" handelt, als sie die Fotografie ermöglicht.
Vorbild und neues "Ab-Bild" können dennoch einander nahekommen. Zwar haben Reichel und Marschall ganz bewusst beide nicht nebeneinander gehängt; lediglich in einem Fall, bei einem Blick ins Gehölz des Amper-Ufers, vermitteln Foto und Zeichnung zusammen eine Vorstellung davon, wie Marschall arbeitet. Die Farbaufnahme, die ganz am Anfang der Serie steht, ist im Übrigen die einzige, die Reichel mit einer analogen Großbild-Kamera aufgenommen hat. Für alle anderen hat er eine Digitalkamera verwendet, auf eine digitale Bearbeitung aber verzichtet. Für das bessere Verständnis von Marschalls Arbeitsweise sorgen in der Ausstellung außerdem Dia-Projektionen, bei denen man die fotografischen Vorlagen der Zeichnungen betrachten kann.
Beim Blick auf die Heimat von Marschall und Reichel rückt immer wieder Zerstörtes, Vergangenes, durchaus auch Verstörendes ins Bild: zersplittertes Baumgeäst hier, verfallende oder bereits ganz verschwundene Gebäude dort. Und auch Neues, das entsteht, wie der "NU-Park" im Osten von Dachau, hat nichts Idyllisches an sich. In ihren Arbeiten, sagen Reichel und Marschall übereinstimmend, "steckt Dachauer Geschichte drin": "Wir zeigen, was war, was ist und was sein wird." Eine Bestandsaufnahme also - die durchaus als Kritik an Vergangenheit wie Gegenwart verstanden werden darf.