Ausstellung in Dachau:Gartenstuhlschmelze im Rosengarten

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Anna Kiiskinen und Theresia Hefele (rechts) haben schon oft zusammen ausgestellt. In Dachau sind ihre Arbeiten jetzt zum ersten Mal zu sehen. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Theresia Hefele und Anna Kiiskinen haben einige Gemeinsamkeiten: Beide beschäftigen sich mit pflanzlichen Strukturen, beide arbeiten im Grenzbereich von Malerei und Fotografie. Jetzt zeigen sie ihre Werke in einer gemeinsamen Ausstellung.

Von Gregor Schiegl, Dachau

Das expressive Potenzial von Wirsing und Rosenkohl hat Michael von Brentano gerade erst unter Beweis gestellt. Auch in der neuen Ausstellung der KVD-Galerie finden die Früchte von Mutter Natur Eingang in die Kunst: Linsen reihen sich zu einer Perlenkette, grüne Erbsen formieren sich zu geometrischen Formen, wuchernde Pilze imitieren Gestalt und Farbe einer tanzenden Figurine in zartblauem Tüll.

Theresia Hefeles Bilder gleichen oft Stillleben, es sind ästhetische Arrangements aus Birkenblättern, Blaubeeren und Libellenflügeln. Aus ihrem gewohnten Zusammenhang gelöst, erscheinen sie auf einmal fremdartig und neu. Erstaunlich ist auch, dass man ihre Werke jetzt zum ersten Mal in Dachau sehen kann, schließlich handelt es sich bei Theresia Hefele selbst um ein heimisches Gewächs.

1958 kam sie in Markt Indersdorf zur Welt, einige Jahre ihrer Jugend verbrachte sie in Röhrmoos. An der Akademie der bildenden Künste ließ sie sich zur Malerin ausbilden, in München lernte sie auch die bereits mit 20 Jahren aus Finnland emigrierte Künstlerin Anna Kiiskinen kennen. Aus der Bekanntschaft wurde eine Freundschaft, privat wie künstlerisch. Seit 2011 haben sie mehrfach gemeinsam ausgestellt, national wie international, sogar in Finnland. Nur eben nicht in Dachau. Das ändert sich jetzt mit ihrer gemeinsamen Ausstellung „Augenblick und Dauer“.

„Wahlverwandtschaften“ im Spinnennetz

Formen und Strukturen in der Natur, vor allem die der Pflanzen, sind das bevorzugte Spielmaterial für dieses gemischte Doppel. Die beiden Künstlerinnen sind bestens aufeinander eingespielt. Ihre Arbeiten harmonieren, inhaltlich wie farblich, und bleiben doch immer unverwechselbar.

Die kleineren hochformatigen Bilder stammen von Theresia Hefele, die großen Querformate von Anna Kiiskinen. Kiiskinens Bilder sehen aus wie Fotografien, sind aber Gemälde. Theresia Hefele Bilder sehen aus wie Gemälde, sind aber im Wesentlichen Fotos: Auf ein mit einer lichtempfindlichen Emulsion behandelten Oberfläche projiziert sie die Vorlage; die so entstandene Schwarzweißbelichtungen koloriert sie mit einem feinen Pinsel und Acrylfarben.

Es klingt wie fein aufeinander abgestimmte Konzept, hat sich aber mit der Zeit einfach so ergeben, ganz organisch, könnte man sagen. Kunst ist eben das Gegenteil von scharfer Abgrenzung, hier werden Zusammenhänge sichtbar – und auch manchmal erst ganz neu hergestellt. In ihren Bildern überlagert Theresia Hefele bisweilen mehrere Motive: Zwiebelringe vereinigen sich mit Holzmaserungen, eine Blume schwebt im tauglänzenden Spinnennetz. „Wahlverwandtschaften“ nennt sie diese künstlerischen Paarungen.

Oft arbeitet sie in Themenkomplexen, sehenswert sind hier vor allem ihre Algenbilder. Für die Serie habe sie sogar auf Bildvorlagen eines Polarforschers zurückgreifen können, erzählt sie. So dokumentieren ihre Arbeiten den Ideenreichtum der Natur – aber auch den rasant fortschreitenden Verlust der Arten. Einige der gezeigten Pflanzen gibt es inzwischen schon nicht mehr. Es sind Bilder einer bereits untergegangenen Welt.

Blätterserie von Theresia Hefele. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Exotische Beute im Spinnennetz, Mischtechnik mit Fotografie von Theresia Hefele. (Foto: Niels P. Jørgensen)
„Auf der Insel“ von Anna Kiiskinen. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Die Lichtreflexionen im Fenster geben der Künstlerin selbst Rätsel auf. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Ihre Ausstellungspartnerin Anna Kiiskinen wählt für ihre großformatigen Bilder Ausschnitte, die an Filmeinstellungen erinnern: der Blick durchs noch halb zugezogene Fenster in einen dunklen Wald, eine Hausfassade, auf die eine Baumkrone ihren Schatten wirft. Die Reduktion auf wenige Farben, meist sind es nicht mehr als zwei oder drei, lässt die Bilder kühl, aber nicht steril wirken. Erst bei näherem Hinsehen erkennt man die reichhaltige Farbigkeit. Sie verbirgt sich in der Grundierung, im Detail. Auf ihren Spaziergängen macht Anna Kiiskinen Fotos mit dem Handy. Aus diesen Motiven montiert sie ihre Bilder.

„Wand aus Glas“ zeigt eine von wildem Wein überwucherte Hausmauer in München, durch das Fenster schimmert schattengrau der Schemen einer Topfpflanze, Lampen spiegeln sich in der Scheibe, frei schwebende honiggelbe Lichtmelonen, dahinter eine verwirrend ineinander verschachtelte Struktur aus Rahmen und Lichtpunkten. Innen- und Außenwelt durchdringen einander in rätselhafter Weise. Was ihre Kamera da genau eingefangen hat, ist Anna Kiiskinen selbst ein Rätsel: „Irgendwie habe ich das Bild auch nicht ganz verstanden“, sagt sie mit erfrischender Offenheit.

Wasser spielt in Kiiskinens Werk eine zentrale Rolle

Mit 20 ist Anna Kiiskinen aus ihrer alten Heimat Finnland nach Deutschland gezogen. Aufgewachsen ist sie in Tampere, die südfinnische Großstadt liegt eingekeilt zwischen zwei riesigen Seen. Vermutlich sei das der Grund, warum sie sich anfangs so viel mit dem Thema Wasser beschäftigt habe, sagt sie.

Das tut sie immer noch, wie man an den Bildern dieser neuen Ausstellung sehen kann. Ein Plastikstuhl steht am Münchner Rosengarten im Wasser unter Zweigen, das Motiv gewinnt seine Spannung aus den Lichtreflexionen der Sonne im Wasser, auf der bewegten Oberfläche scheint der gespiegelte Stuhl in der Hitze zu schmelzen. Ein anderes Bild zeigt eine Szene von der Museumsinsel an der Isar. Zu sehen ist nur ein Stück Maschendrahtzaun und davor eine große Pfütze, in ihr spiegelt sich das Blätterwerk von Sträuchern, die in dem Ausschnitt gar nicht mehr auftauchen.

Städte ohne Menschen

Der Naturanteil in Anna Kiiskinens Gemälden ist auch sonst eher gering, der Himmel, Fassaden, Fenster, asphaltierte Flächen, sie nehmen den Großteil der Bildfläche ein. „Das sind Stadtbilder“, räumt die Künstlerin ein. Der Mensch taucht hier nie auf, aber die Spuren seiner Anwesenheit sind überall sichtbar, die Straßen, die Zäune, das elektrische Licht. Die Pflanzen sind domestiziert, lebendiges Dekor im Blumentopf.

Doch die mächtige graue Silhouette des Baums an einer Hausfassade hat auch etwas Bedrohliches. Früher oder später wird die Natur die Städte zurückerobern, mit beharrlicher Gewalt werden die Wurzeln den Asphalt sprengen und Blüten aus dem geborstenen Beton treiben. Den Menschen könnte dann schon das gleiche Schicksal ereilt haben wie die Polar-Algen.

„Augenblick und Dauer“, Ausstellung von Theresia Hefele und Anna Kiiskinen in der KVD-Galerie Dachau. Vernissage am Donnerstag, 17. Oktober, um 19.30 Uhr. Zu sehen bis 10. November. Die Künstlerinnen sind sonntags anwesend.

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