Manche Kunstschauen sind wie ein Zoobesuch. Hier brüllt der Löwe, dort spreizt der Ara sein prächtiges Gefieder, alles ruft "Oh!" und "Ah!", ein einziges Spektakel. Und dann gibt es Ausstellungen wie die von Thomas Heyl in der KVD-Galerie. Hier springt einen die Kunst nicht an, man muss sie erst entdecken. Das erfordert ein bisschen Geduld.
Man kennt es von Terrarien, in denen scheue Tiere sich verstecken. Und hat man die Rarität zwischen dem dichten Blätterwerk gefunden, rätselt man, mit was für einer Spezies man es da eigentlich genau zu tun hat. Aber wozu gibt es Flyer, Ankündigungen und Plakate: Mit "Scherenschnitte" ist die Ausstellung des Künstlers überschrieben. Das klingt eindeutig, wie Hund oder Katze, und ist doch bestenfalls die halbe Wahrheit. Heyls Werke sind Mischwesen aus Scherenschnitt und Malerei, sie sind bisweilen von so irritierend räumlicher Wirkung, dass man fast von Objekten sprechen möchte.
Im Format sind sie eher klein und erscheinen auf einer Höhe nebeneinander gereiht ein wenig verloren an den endlosen Weiten der Dachauer Galeriewände. Diese Arbeiten bräuchten eigentlich einen kleineren, intimeren Rahmen. Aus der Distanz machen sie noch wenig her, man muss nah ran, um die Reize dieser zarten Schöpfungen zu erkennen. Also keine Scheu, treten Sie näher! Die Bilder beißen nicht.
Hier malt die Schere
Thomas Heyl malt auf Pergamentpapier, das ist in sich transparent, aber in gewisser Weise auch trübe, halb Schein, halb Sein. Darin Risse und Durchbrüche oder mit chirurgischer Präzision herausgetrennte Flächen. Der Durchblick auf die weiße Wand lässt die Formen hell hervortreten, ein Nichts inmitten eines papierenen Hauchs von Grau, und doch erscheint es so konkret und real wie ein Betonpoller.
Bisweilen haben die Negativformen Strukturen, wie man sie von Photoshop-Spielereien kennt, wenn man mit dem Mauszeiger in einer Grafik herumradiert, krikel, krakel, eine Auslöschung und zugleich eine Signatur moderner Bildschirmarbeit. Heyl bringt beides zusammen. Zerstörung, die Neues schafft.
Im engeren Sinne ist seine Malerei weder gegenständlich noch abstrakt. Die Formen und Strukturen, die er mit Aquarellfarbe, Ruß und Acryl auf Papier bringt, kombinieren wiederkehrende Elemente, "teilweise komplexe Geflechte aus sich durchdringenden Gittern, Bändern, schlauchartigen Formen eingehüllt von Blasen und Geweben", so beschreibt der Künstler sein Repertoire.
In der lockeren Dynamik erinnern die Arbeiten an die Kunst des Informel. Oft haben sie noch etwas Skizzenhaftes und Unfertiges, als wäre der Malprozess noch im Gange. Und weil hier von Scherenschnitten die Rede ist, darf auch der "klare und unmissverständliche Eingriff" (Zitat des Künstlers) in diese Mal-Variationen nicht fehlen. "Durch eine klärende Kante oder einen scharfen Schnitt."
Das klingt nach Eindeutigkeit und Trennschärfe, erweist sich jedoch als Illusion: Neben einem gekrümmten schwarzen Rechteck spart der Papierschnitt eine schmale spitzwinkelige Fläche aus, die auch ein Schattenwurf sein könnte. Dadurch erscheint die schwarze Fläche auf einmal dreidimensional: ein festgepinntes Blatt Tonpapier, das sich mit der unteren Kante von der Wand gelöst hat. Das Auge des Betrachters arbeitet hier emsig mit.
Schule des Sehens
An Thomas Heyls Werken lassen sich zahlreiche Mechanismen der bildenden Kunst und ihrer Wahrnehmung studieren, von den Figur-Grund-Beziehungen bis zu Wechselwirkungen von Form und Farbe. Die Ausstellung des Künstlers aus dem Landkreis Starnberg ist gewiss mehr als eine Lehrmittelsammlung, aber sie ist auch dies: eine weiterführende Schule des Sehens. Übrigens ist Thomas Heyl auch als Professor für Kunst und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg tätig.
Kunstbetrachtung, das zeigt diese Ausstellung besonders, erschöpft sich nicht nur im Betrachten des offen Sichtbaren. Das Sehen ist auch ein konstruktiver Prozess, in dem Vorstellung und Imagination eine wichtige Rolle spielen. Wer sich darauf einlässt, kann mit etwas Glück sogar Fabelwesen zwischen den Blättern entdecken.
Thomas Heyl, Scherenschnitte, KVD-Galerie Dachau. Öffnungszeiten: Donnerstag bis Samstag 16 bis 19 Uhr, Sonntag 14 bis 18 Uhr. Zu sehen bis Sonntag, 11. Februar.