Süddeutsche Zeitung

Jahresrückblick:Wenn der Fiesta zur Zugabe blinkt

Lesezeit: 2 min

In der Corona-Krise hat Dachau Kultur in ganz neuen Formen erlebt. Ein Rückblick auf in die Kultur im Corona-Jahr 2020.

Von Gregor Schiegl, Dachau

Die Konzerte abgesagt, Galerien und Museen geschlossen, Kleinkunstbühnen dicht und auch in den Theatern bleiben die Vorhänge die meiste Zeit über geschlossen. Was Lockdowns und behördliche Auflagen in der Corona-Pandemie vom Kulturjahr 2020 im Landkreis noch übriggelassen haben, wäre kaum der Rede wert, hätte sich nicht der alte Satz bewahrheit, wonach Not erfinderisch macht - und die Not ist gewaltig in diesem Jahr. Beim ersten Lockdown im März verlagert sich der Kulturbetrieb großteils in die keimfreie Parallelwelt des Digitalen. Das Gedenkkonzert der Stadt zum 75. Jahrestags der Befreiung des KZ Dachau wird online gestreamt. Der Petershausener Folk-Musiker John Barden, der zu Saint Patrick sonst mit Gitarre durch die irischen Pubs in München tingelt, spielt mit seinem Junior die Tour daheim vom ausgebauten Dachboden. 2000 Leute verfolgten das Konzert via Youtube; im Verlauf der nächsten Monate wird es fast 1000 weitere Male geklickt.

Die Dachauer Autorin Ingrid Zellner wendet sich ebenfalls per Youtube an ihr Publikum und gibt Leseproben ihres neuen Krimis "Stumm vor Angst". Die Künstlervereinigung Dachau (KVD) postet auf Instagram Fotos rund um ihre Ausstellungen und produziert dazu auch kurze Filme über ihre ausstellenden Künstler. Die Dachauer Theatertage, die schon immer offen waren gegen über experimentellen Formaten, haben ein Online-Stück der United Puppets aus Berlin im Programm. Es geht um den Versuch von Saskia Schildkröte, ihren 250. Geburtstag zu feiern. Die Gäste - Hase, Hund und Co - sind der Aufführung per Videokonferenz zugeschaltet. All dies sind witzige, innovative Formate, aber sie führen auch immer klarer vor Augen, was fehlt: die physische Präsenz. Kultur lebt auch von sinnlicher kollektive Erfahrung.

Dass dies 2020 trotzdem möglich ist, ist auch Dachaus Kulturamtsleiter Tobias Schneider zu verdanken. Für den "Dachauer Musiksommer" entwickelt er passgenaue Veranstaltungskonzepte zu den strengen, immer wieder wechselnden Kontaktbeschränkungen. Im Mai spielen Sascha Seelemann & The Grizzlies auf der Dachauer Thoma-Wiese ein Autokonzert. Es ist das erste in Bayern. Nicht nur technisch läuft das Experiment glatt, auch die Stimmung in den blinkenden Autos, ist großartig; sowohl Publikum wie Künstler haben ihren Spaß. Der Veranstaltungstechniker Thomas Wild adaptiert das Autokonzertformat für eine eigene Reihe in Weichs. Als die Auflagen im Sommer gelockert werden, sind auch Sitzkonzerte möglich. Wenn die Spider Murphy Gang beim Musiksommer in Dachau einen Kracher nach dem anderen raushaut und man wie festgetacktert auf seinem Stuhl sitzen bleiben muss, grenzt das schon fast an seelische Folter. Einen großer Fortschritt sind die personalisierten Online-Tickets. Warteschlangen wie früher beim Barockpicknick gibt es nicht mehr - und soll es auch in Zukunft nicht mehr geben.

Wer ganz viel Glück hat wie Klassikkonzertabonnentin Claudia Fischbach aus Prittlbach, bekommt sogar ein Privatkonzert im Garten. Drei Musiker des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks spielen dort zwischen Apfelbäumen und Blumenbeeten Bach und Beethoven als Dankeschön für ihre jahrelange Treue. Trotz aller Abstandsregeln: Man rückt nun auch zusammen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5160475
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 30.12.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.