Süddeutsche Zeitung

Neue Sitzeverteilung:Mehr Vielfalt, mehr Konfliktpotenzial

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Elf Parteien und Gruppierungen sind nun im Dachauer Kreistag vertreten, vier davon zum ersten Mal. Gewinner sind ganz klar die Grünen. SPD und Freie Wähler gehen geschwächt aus der Wahl hervor.

Von Thomas Radlmaier, Dachau

Es läuft bei Marese Hoffmann. Es ist Dienstagvormittag, zwei Tage nach der Kommunalwahl. Und in diesen Stunden sind die ersten Ergebnisse der Kreistagswahl auf der Homepage des Dachauer Landratsamtes eingetrudelt. Der grüne Balken steigt auf mehr als 16 Prozentpunkte, nur der schwarze Balken ist höher. Die Grünen stellen damit fortan nach der CSU die zweitstärkste Fraktion im Kreistag. Die Anzahl ihrer Mandate hat sich mehr als verdoppelt. Doch da ist noch eine andere Zahl, die Marese Hoffmann besonders freut: 17 266. So viele Wähler haben der Grünen Fraktionschefin ihre Stimme gegeben. Damit überholt sie den Landratskandidaten Achim Liebl (15 867 Stimmen) und die Haimhauser Bürgermeisterkandidatin Sabrina Spallek (14 993). Hoffmann ist die Stimmenkönigin der Grünen, und damit so etwas wie eine Gewinnerin unter Gewinnern.

Bis auf die Grünen haben alle Parteien, die bereits im Kreistag vertreten waren, Prozentpunkte im Vergleich zur Kommunalwahl 2014 verloren (abgesehen von der FDP, die minimal zugelegt hat). Und das obwohl die Ökopartei mit dem Bündnis für Dachau neue Konkurrenz in der grünen Wählerschaft bekommen hat. Woran liegt das? "Wir waren in den vergangenen Jahren immer sichtbar als Gruppe und waren bereit zur Kooperation", sagt Hoffmann. Zudem habe ihre Fraktion gute Vorschläge gemacht. Der Wähler habe die Arbeit der Grünen "in der Gesamtheit honoriert". Zum Beispiel hätten die Grünen lange vor der Corona-Krise gefordert, dass es an Wertstoffhöfen Möglichkeiten zum Händewaschen geben muss. Daneben wollen sie im neuen Stellenplan des Landkreises eine Vollzeitstelle für Klimaschutz und Nachhaltigkeit und eine für nachhaltige Digitalisierung stehen haben. Allesamt wichtige Themen, welche die CSU nicht ausreichend beachtet habe, so Hoffmann.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Dachauer Grünen zudem von einem überregionalen Trend profitieren. Die Grünen machen auf Bundes- und Landesebene derzeit eine gute Figur. Zudem sind Klima- und Umweltschutz vielen Menschen so wichtig wie noch nie. Das weiß auch Hoffmann - doch wie das Wahlergebnis letztlich zustande kam, dürfte ihr ziemlich egal sein. Die Grünen im Kreistag sind zu einer mächtigen Fraktion geworden. "Beim Klimaschutz ist im Landkreis Luft nach oben", sagt sie. Diese Forderung ist indirekt ein Vorwurf an Landrat Stefan Löwl und die CSU-Fraktion, umweltpolitische Aspekte auf der Ebene des Landkreises nur stiefmütterlich behandelt zu haben. Die CSU-Fraktionschefin Stephanie Burgmaier weist das zurück. "Die grünen Themen sprechen wir auch an", sagt sie. Deshalb glaube sie, dass die CSU mit den Grünen "wie bisher gut zusammenarbeiten" werde.

Löwl hat sich bisher um größtmögliche Harmonie im Kreistag bemüht. Für viele Beschlüsse in den vergangenen Jahren haben sich große Mehrheiten gefunden. Ob die Parteien auch im neuen Kreistag so gut zusammenarbeiten werden, ist zumindest fraglich. Einerseits erhöht sich die Zahl der Kreistagsmitglieder, andererseits wird die Parteienlandschaft im Gremium vielfältiger. Elf verschiedene Parteien ziehen in den Kreistag ein, vier davon zum ersten Mal. "Mit elf Gruppierungen im Kreistag wird es natürlich schwieriger. Aber der Landrat hat ja in der Vergangenheit schon auf interfraktionelle Zusammenarbeit gesetzt. Deshalb bin ich guter Dinge, was den neuen Kreistag angeht", sagt Burgmaier.

Die CSU hat zwar im Vergleich zur Kommunalwahl vor sechs Jahren leicht an Prozenten verloren, gleichwohl bekommt die Fraktion einen Sitz dazu. Weshalb man in der Partei zufrieden ist mit dem Abschneiden. Fortan sitzen 27 Christsoziale im Kreistag. Darunter sind zehn Bürgermeister. Bei 17 Kommunen im Landkreis Dachau ist das eine bemerkenswerte Quote. Einer davon ist Richard Reischl. Die Wähler im Landkreis haben den Hebertshausener Rathauschef vom 40. Listenplatz auf den neunten nach vorne katapultiert. "Das ist der größte Sprung von allen gewählten Kandidaten über alle Listen hinweg", schreibt Reischl auf Facebook. Er war in den vergangenen Jahren auch immer wieder als scharfer Kritiker der CSU-Parteispitze aufgefallen.

"Wir haben in der Fraktion eine gute Mischung unter anderem mit starken Bürgermeistern, einigen Frauen und bekannten Persönlichkeiten", sagt Burgmaier. Für diese Persönlichkeiten mussten gleichwohl einige Mitglieder des Dachauer Ortsverbandes weichen. Weder Tobias Stephan, der Ortsvorsitzende, noch Florian Schiller, Fraktionschef im Stadtrat und bislang Kreisrat, haben es in den Kreistag geschafft, obwohl beide auf aussichtsreichen Listenplätzen standen. Dafür konnte Peter Strauch den Rückenwind aus seiner OB-Kandidatur nutzen und vertritt die Dachauer Christsozialen nun im Kreistag.

Ganz anders sieht es bei der SPD aus. Von den acht Fraktionsmitgliedern kommen drei aus Dachau: Oberbürgermeister Florian Hartmann und die Stadträte Sylvia Neumeier und Dennis Behrendt. Fraktionssprecherin Marianne Klaffki hofft, dass das herausragende Ergebnis der Dachauer Genossen bei der OB- und Stadtratswahl auch ein wenig auf die Kreis-SPD ausstrahlt. Denn klar ist, die verbliebenen Sozialdemokraten müssen im neuen Kreistag die Arbeit auf weniger Schultern verteilen. "Alle müssen sich jetzt stärker einbringen", sagt Klaffki. Insgesamt verlieren sie drei Mandate und sind nun nur noch drittstärkste Kraft hinter der CSU und den Grünen. Potenzielle Bündnispartner gibt es dafür im Kreistag genug. Die Genossen haben sich in der vergangenen Legislaturperiode versucht, ihr umweltpolitisches Profil zu schärfen. Beispielsweise forderten sie, dass der Landkreis den Klimanotstand ausrufen soll. Nachdem SPD, Grüne und Bündnis für Dachau bereits in der Stadt eine Allianz für die OB-Wahl schmiedeten, könnte sich die Zusammenarbeit auch im Landkreis fortsetzen. Doch während im Stadtrat die Grünen im Schatten der SPD agieren müssen, ist es im Kreistag umgekehrt.

Auch die Freien Wähler müssen bittere Rückschläge einstecken. Eigentlich war das Ziel, die Fraktionsstärke auszubauen. Doch nun verlieren sie Sitze und bekannte Kreisräte wie Michaela Steiner und Franz Eichinger, die immer wieder das Wort ergriffen haben. "Das bedauere ich sehr", sagt Fraktionschef Michael Reindl, der "persönlich sehr enttäuscht" über das Wahlergebnis ist. So richtig erklären kann er sich das Debakel nicht. Die Zersplitterung der Parteienlandschaft sowie der Erfolg der Grünen hätten den Freien Wählern geschadet. Aber eigentlich habe man in den vergangenen Jahren "sachgerechte Politik" gemacht und "das Beste gegeben". Reindl hätte auch gerne mehr Bürgermeister in seiner Fraktion gehabt. Der einzige ist Michael Reiter aus Altomünster. Marcel Fath aus Petershausen, der dort in die Stichwahl muss, hat den Einzug trotzt des dritten Listenplatzes verpasst. Dazu beigetragen hat vielleicht auch das Ergebnis aus Faths eigener Gemeinde, wo die Grünen bei der Kreistagswahl mit den Freien Wählern gleich auf liegen.

Auch andere Parteien haben bittere persönliche Schicksale zu beklagen: Mechthild Hofner (ÖDP) und Edgar Forster (Freie Wähler Dachau) sind ausgeschieden. Bei der ÖDP hat es auch für Hauke Stöwsand trotz Landratskandidatur und Listenplatz eins nicht gereicht.

Die vier neu angetretenen Parteien dürfen sich über ihren Einzug in den Kreistag freuen. Gleichwohl sind bei der AfD schon jetzt Störgeräusche zu vernehmen: Karl-Hermann Behrens, einer von vier gewählten Kreisräten der Rechtspopulisten und Vorstandsmitglied des Dachauer Kreisverbandes, ist aus der AfD ausgetreten. Über die Gründe schweigt er. Auch ob er sein Mandat wahrnehmen will, lässt er offen. Neben Behrens wurden Michael Stauch, Georg Niedermeier und Markus Kellerer für die Rechtspopulisten in den Kreistag gewählt. Das Bündnis für Dachau vertreten Dachaus Zweiter Bürgermeister Kai Kühnel und Lena Wirthmüller. Jonathan Westermeier, Sprecher der Dachauer Ortsgruppe von Fridays for Future, holt für die Linke/Die Partei ein Mandat. Und Wolfgang Moll, Präsident des TSV Dachau 1865, sitzt für seinen politischen Verein Wir im neuen Kreistag.

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SZ vom 21.03.2020
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