Dachau:Krankheit Fitness

Dachau: Manfred Lütz.

Manfred Lütz.

(Foto: Toni Heigl/Toni Heigl)

Der Kabarettist, Psychiater, Theologe und Chefarzt Manfred Lütz begeistert das Publikum am Ignaz-Taschner-Gymnasium mit seinen Ansichten über den Gesundheitswahn und sportlichen Tatendrang als religiöse Ersatzhandlung

Von Benjamin Emonts, Dachau

Die Gesundheitsreligion ist die neue, alles vereinnahmende Weltreligion. Wo man auch hinschaut, leben die Erdenbürger im Fitness- und Gesundheitswahn. Sie laufen wie von Sinnen mit Stöcken durch den Wald, essen Körner und lassen sich freiwillig an modernen Foltermaschinen quälen. "Städtemarathons sind das neue Hochamt des Gesundheitswesens", sagt Manfred Lütz, Psychiater, Theologe und Bestseller-Autor. "Um den Tod zu vermeiden, nehmen wir uns das Leben."

Nun mag sich manch einer von derart scharfen Thesen auf den Schlips getreten fühlen. Nicht umsonst warnt der Rheinländer Manfred Lütz - bekannt durch Talk Shows wie Markus Lanz und seine zahlreichen Bestseller - zu Beginn seines Programms am Ignaz-Taschner-Gymnasium: "Humorlose Fitnessstudio-Besucher sollten jetzt lieber gehen." Die 180 Zuschauer der Veranstaltung des Alumni- und Fördervereins des Taschnergymnasiums blieben. Der rhetorisch versierte Schnellsprecher, der übrigens auch Theologe ist, hat sie mit seiner Realsatire sofort gefangen. Sein tiefgründiges, teils philosophisches Kabarett-Programm "Lebenslust - über Risiken und Nebenwirkungen des Gesundheitswahns" trifft ja durchaus den Nerv der Zeit, die von "Wellness-Köchen", zwanghaften Diäten und dem abendlichen Konsum von Gesundheitsmagazinen geprägt sei. Lütz versteht es, die Problematik des Gesundheitswahns, der unsere Zeit dominiert, scharf aber zugleich humorvoll und hintergründig zu vermitteln.

Die Religion im klassischen Sinne musste der Gesundheitsreligion längst weichen, sagt Lütz. Ärzte sind Halbgötter, denen, wenn sie scheitern, sofort eine Klage droht. Während Priester vom Aussterben bedroht sind, steigt die zahl der Fitness-Gurus und Heilpraktiker weiter an. Am Streben des Menschen nach dem ewigen Leben indes hat sich nichts geändert. "Früher fastete man, um zu verzichten. Heute, um möglichst spät und gesund in den Himmel zu kommen", stellt Lütz fest. Doch trotz Diäten und Fitnesswahn bleibt der Tod unvermeidbar. Und am Ende wird sich manch einer womöglich die Frage stellen: "Hätte ich nicht besser mehr für andere da sein sollen, als die ganze Zeit im Fitnessstudio zu verbringen?"

Politisch hat die Gesundheitsreligion weitreichende Konsequenzen. "Die sakrale Hochwertung der Gesundheit lässt den Gesundheitsbereich boomen", sagt Lütz. Ein unerreichbares, aber gleichwohl höchst erstrebenswertes Ziel, wie es das Streben nach maximaler Gesundheit nun einmal sei, "ist der Traum der Ökonomie, zugleich aber der nicht enden wollende Albtraum seriöser Politik". Und wenn Gesundheit unser höchstes Gut ist: "Sind dann Kranke und Behinderte etwa Menschen zweiter oder gar dritter Klasse?"

Schließlich führt Lütz' kurzweiliger, mit komischen Beobachtungen aus dem Alltag garnierter Vortrag zur Frage: Was ist Glück? Am sichersten produzieren ließen sich Glücksgefühle bekanntlich durch Heroin. "Aber wer will das schon?" Für Lütz ist Glück ein "plötzlich aufblitzendes, unwiederbringliches Moment". Lebenskunst besteht also darin, Quellen des Glücks in Grenzsituationen des Lebens zu finden, in Phasen des Leidens, des Schmerzes. "Gesund ist ein Mensch, der mit seinen Krankheiten einigermaßen glücklich leben kann", sagt Lütz. Dazu gehört auch: "Mal richtig ungesund essen - das muss doch erlaubt sein."

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