Süddeutsche Zeitung

"Kräutergarten" in Dachau:Belasteter Ort

Die Stadt bietet dem Freistaat eine Teilfläche des "Kräutergartens" für einen Euro zum Kauf an. Dieser lehnt ab, weil das ehemalige Nazi-Areal angeblich kontaminiert sein soll. Doch der Boden ist sauber.

Von Helmut Zeller, Dachau

Und plötzlich sind sie da: die gefürchteten Altlasten, die staatliche oder kommunale Bauprojekte erheblich erschweren. Dann wieder soll es die Altlasten gar nicht geben - doch eines scheint sicher: Die jahrelang geplante Sanierung des "Kräutergartens" am ehemaligen Konzentrationslager Dachau steht jetzt vollends auf der Kippe.

Gespräche über einen Gedenkort auf dem einstmals 147 Hektar großen historisch bedeutsamen Areal östlich der Alten Römerstraße hat es viele gegeben. Auch ein Gutachten zur Nutzung liegt schon lange vor. Aber alles scheiterte bisher am Geld. Und nun geht es um Altlasten auf dem Gelände, das der Stadt Dachau gehört.

Es gebe auf dem Teilareal überhaupt keine Altlasten, sagt Hartmann

Einen Teil davon - den mit den historischen Gewächshäusern der ehemaligen SS-Plantage - hat Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) schon 2018 dem Freistaat Bayern für den symbolischen Preis von einem Euro angeboten. Im Kuratorium der Gedenkstättenstiftung erklärte Stiftungsdirektor Karl Freller (CSU) am 14. Februar dieses Jahres aber kategorisch: "Dieses Angebot kann erst wahrgenommen werden, wenn von Seiten der Stadt Dachau die Altlasten beseitigt (...) sind", heißt es im Sitzungsprotokoll. Hartmann ist ziemlich überrascht: "Wir wissen davon nichts." Nicht nur das: Es gebe auf dem Teilareal überhaupt keine Altlasten, sagt Hartmann.

Vor allem aber ist der Dachauer Oberbürgermeister verärgert über das Vorgehen der Stiftung. Bis heute habe er weder telefonisch noch schriftlich in dieser Sache von Freller gehört. In der Stiftungsratssitzung im Januar habe der CSU-Politiker, sagt Hartmann, noch erklärt, dass das Finanzamt nur noch die Modalitäten des Dachauer Angebots prüfen müsse. Von Altlasten, die Freller dann einen Monat später im Kuratorium anführte, sei überhaupt nicht die Rede gewesen. "Das ist ein Entgegenkommen der Stadt", sagt Kämmerer Thomas Ernst, "damit auf dem Gelände ein würdiger Gedenkort errichtet werden kann". "Ich hätte schon erwartet, dass man mir die Bedenken mitgeteilt hätte", sagt Hartmann am Freitag der SZ. Gleich nächste Woche will er den Stiftungsdirektor anrufen.

Dann dürfte der Oberbürgermeister auch erfahren, dass Freller, wie er der SZ sagte, inzwischen das Staatliche Bauamt Freising mit einer Untersuchung beauftragt hat. Die Fachleute der Behörde sollen unter anderem prüfen, welchen Wert das angebotene Grundstück hat, welche Folgekosten auf den Freistaat wegen der Kontaminierung zukommen würden. Zur Untersuchung steht der östliche Teil des Areals mit den Resten der historischen Gewächshäuser, die zusehends verfallen. An die Stadt als Grundeigentümer ist das Bauamt noch nicht herangetreten. Auch im Landratsamt Dachau hat man noch nichts aus Freising gehört.

Des Rätsels Lösung liegt vielleicht in einem anderen Gutachten, das bereits in Arbeit ist: Nach seinen bisherigen Ergebnissen liegt tatsächlich eine starke Kontaminierung vor, die sogar ins Grundwasser reicht - nur bezieht sich die Untersuchung auf den nördlichen Grundstücksteil des "Kräutergartens", auf dem die zwei ehemaligen Verwaltungsgebäude der Nationalsozialisten stehen, es liegt also in einiger Entfernung zu dem von der Stadt angebotenen Areal mit den historischen Gewächshäusern. Dieses findet sich auch nicht im Altlastenkataster für das Stadtgebiet, das möglicherweise belastete Flächen ausweist. Eigentlich ein Glücksfall. Hartmann sagt, dass bei Bauprojekten im Stadtgebiet häufig Altlasten gefunden würden, vor allem Torfrückstände wie jüngst beim Hallenbad. Aber im fraglichen Gebiet eben nicht.

Umfangreiche Untersuchung von Teilen des "Kräutergartens"

Freller indes bleibt im Gespräch mit der SZ bei seiner Forderung: Demnach muss die Stadt Dachau nicht nur die Altlasten beseitigen, sondern auch die "denkmalrechtlichen Vorgaben" erfüllen. Die Stiftung, so der Vizepräsident des Bayerischen Landtags, könne nicht einfach ein kontaminiertes Gelände übernehmen, auch nicht zum schönen Preis von einem Euro. In einem solchen Fall müsse sogar der Haushaltsausschuss des Landtags eingeschaltet werden. Nur, welche Altlasten? Umfang und Art kennt Freller, wie er sagt, auch nicht.

Seit Jahren schon läuft eine umfangreiche Untersuchung von Teilen des Geländes, wie ein Sprecher des Landratsamts Dachau bestätigt. Es sei noch nicht klar, um welche Rückstände es sich im einzelnen handele, wer der Verursacher sei und wie man damit umgehen müsse, sagt Hartmann. Klar ist bisher: Hinter dem Hauptgebäude sind Hartmann zufolge Treibstoffrückstände aus den Sechzigerjahren gefunden worden. "Das müssen wir entsorgen", sagt der Oberbürgermeister. Ob unter dem Gebäude, in dem obdachlose Familien untergebracht sind, auch Altlasten vorhanden sind, ist noch ungeklärt. Für die Bewohner besteht, wie Hartmann betont, jedoch keine Gefährdung, weil der Boden, sofern er überhaupt kontaminiert ist, durch das Gebäude ja versiegelt ist.

"Von Altlasten auf der Fläche der Gewächshäuser ist nichts bekannt"

Glücklich kann die Stadt allerdings nicht sein. Das Gelände hat so oft den Besitzer gewechselt und war verschiedenen Nutzungen ausgesetzt, zum Beispiel durch amerikanisches Militär in den Nachkriegsjahren. Sollten weitere belastete Flächen entdeckt werden, müsste die Stadt, sofern die Experten keinen Verursacher der Bodenbelastung eindeutig ausmachen können, als gegenwärtiger Eigentümer allein für die Altlastenbeseitigung aufkommen - eine teure Angelegenheit. Da würde die Stadt rasch bei einem zweistelligen Millionenbetrag angelangt sein.

Aber auf die ablehnende Haltung der Stiftung kann sich Oberbürgermeister Hartmann keinen Reim machen. "Von Altlasten auf der Fläche der Gewächshäuser ist nichts bekannt", sagt er. Davon weiß auch die stellvertretende Landrätin Marianne Klaffki nichts. Für sie ist die Sache klar: Der Umbau der ehemaligen SS-Plantage zu einem Gedenkort muss für den Freistaat Bayern "oberste Priorität" haben. Das sagt die SPD-Politikerin heute, das hat sie vor fünf Jahren schon gesagt, als sie Gespräche zwischen Vertretern des Bundes, der Stiftung, der KZ-Gedenkstätte und der Stadt Dachau über die Zukunft des historischen Ortes initiiert hatte. Einig waren sich eigentlich alle: Es muss etwas geschehen. "Sonst braucht man es gar nicht mehr machen", sagte Klaffki damals.

Es gibt genug Gründe für einen Erinnerungsort

Auf dem Großteil des Areals entstand nach dem Krieg das Gewerbegebiet Dachau Ost. Die restliche verwilderte Brachfläche mit verrosteten alten Gewächshäusern war einst Teil eines gigantischen landwirtschaftlichen Komplexes, den die Nationalsozialisten verharmlosend "Kräutergarten" nannten. Hinter dem Projekt stand Heinrich Himmler, der mit den Bioprodukten der Plantage die deutsche Volksgesundheit verbessern wollte. Für diesen Zweck wurde die "Deutsche Versuchsanstalt für Ernährung und Verpflegung" gegründet, die Himmler persönlich unterstand. Das Geschäftsmodell basierte auf Sklavenarbeit. Zwischen 1939 und 1945 starben auf der Plantage mehr als 800 KZ-Häftlinge, zumeist Juden sowie Sinti und Roma. Sie gingen an Hunger und den Strapazen der unmenschlich harten Arbeit zugrunde oder wurden von den SS-Wachen erschossen.

Gründe genug für einen Erinnerungsort. Auch ein Nutzungskonzept für ein der Gedenkstätte angeschlossenes Fortbildungs- und Studienzentrum liegt vor. "Die notwendige Raumstruktur wäre vorhanden", sagte damals Gedenkstättenleiterin Gabriele Hammermann. Auch die Vor- und Nachbereitung eines Besuches des neu gestalteten Gedenkorts am ehemaligen SS-Schießplatz Hebertshausen wäre denkbar, ebenso eine Nutzung durch die Stadt sowie die Dachauer Zeitgeschichtsvereine. Allerdings hat die Gedenkstätte nun Aussicht auf zusätzliche Räume in einem anderen Gebäude, das neben ihrem Besucherzentrum liegt, auf dem ehemaligen, heute von der Bereitschaftspolizei genutzten Lager der SS.

Auf jeden Fall wird jetzt erst einmal das Bauamt Freising das Areal mit den Gewächshäusern untersuchen - dabei würde, wie ein Experte meinte, doch ein fachlicher Blick auf die Luftaufnahmen, in Google abrufbar, genügen: Dort zumindest finden sich keine Hinweise auf Altlasten.

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Quelle:
SZ vom 20.07.2019
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