Jazz e.V. Dachau:Alles Interpretationssache

Jazz e.V. Dachau: Die drei unerschrockenen Abenteurer vom Trio HNT verstehen sich blind: Sebi Tramontana (Posaune), Jost-H. Hecker (Cello) und Herbert Nauderer (Schlagzeug).

Die drei unerschrockenen Abenteurer vom Trio HNT verstehen sich blind: Sebi Tramontana (Posaune), Jost-H. Hecker (Cello) und Herbert Nauderer (Schlagzeug).

(Foto: Toni Heigl)

Das Trio "HNT" um den Künstler und Schlagzeuger Herbert Nauderer entwickelt seine Stücke ohne Vorgaben und in freier Improvisation. Beim Jazz e.V. erlebt das Publikum ein wahrhaft abenteuerliches Konzert - aber im besten Sinne.

Von Gregor Schiegl, Dachau

Wenn es schnell gehen muss, ist eine Instant-Suppe schon praktisch: Pulver in die Tasse, heißes Wasser drüber, umrühren, fertig. Beim "Instant Composing", das das Trio HNT am Freitagabend auf der Bühne der Dachauer Kulturschranne vorführen will, stellt sich natürlich die Frage: Was, beim Heiligen Coleman, schüttet man da rein? "Ihr habt doch sicher ein bisschen was vorbereitet", sagt der Programmchef des Jazz e.V., Axel Blanz, mit konspirativem Grinsen, bevor das Konzert am Freitagabend losgeht. Selbst für eine Instant-Suppe reicht es ja nicht, nur eine leere Tüte aufzureißen.

Schlagzeuger Herbert Nauderer hebt die Brauen: Nee, vorbereitet sei gar nichts, wieso? Auf der Webseite des Jazz e.V. kann man es lesen: "Kompromisslos stürzen sich die drei Musiker Sebi Tramontana (Posaune), Herbert Nauderer (Schlagzeug und Percussion) und Jost-H. Hecker (Cello) ohne jegliche vorherige Verabredung und ohne stilistische Festlegung jedes mal aufs Neue in dieses faszinierende Abenteuer der Freiheit."

Das Konzert vor 18 Jahren fiel ins Wasser: Hörsturz

Die drei unerschrockenen Abenteurer sind nicht mehr die Jüngsten, aber das hat auch Vorteile. Sie verstehen sich blind, tatsächlich. Sogar auf die dezenten kleinen Zeichen, wie man sie sonst im Zusammenspiel improvisierenden Musikern kennt, sparen sie sich.

2004 hätte das Trio schon mal beim Jazz e.V. auftreten sollen. Herbert Nauderer bekam einen Hörsturz, manchmal wird es ziemlich laut bei diesem Trio. Schon allein deswegen hatte man sich beim Jazz e.V. höllisch auf die Formation gefreut. Das geplante Konzert musste aber abgesagt werden.

Jetzt, 18 Jahre später, also ein neuer Anlauf, und die Erwartungen sind groß, der erste Stock der Kulturschranne ist rappelvoll. Nicht nur Aficionados der neuen Musik sind da, auch Künstler der KVD. Eine Etage tiefer, in der Galerie der Künstlervereinigung Dachau, wird unter dem Titel "Sektor b32 - die Expedition" gerade eine ziemlich unkonventionelle Ausstellung von Herbert Nauderer, dem Mann am Schlagzeug, gezeigt. Jetzt wollen die Leute sehen und vor allem hören, wie HNT aus dem Stand Kompositionen zusammenrührt, ohne Tüten, ohne Pulver, ohne jede Rezeptur, nur mit dem, was die Inspiration des Augenblicks so hergibt.

Minimal Techno mit Cello - geht alles

Das Trio startet mit einer raffiniert abgestimmten Klangmalerei. Nauderer sägt und kratzt an den Hi-Hats, Tramontana quakt und schnauft durch die Posaune, oft klingt der Sound durch den Dämpfer nach Radionachrichtensendung aus der Nachbarwohnung. Hecker spielt sein Cello wie einen funky Kontrabass, dann wieder kratzt und schrubbt er über die Saiten, er entlockt ihnen auf- und ab schwellendes Sirenengeheul oder reiht Miniaturen aneinander, die er manisch wiederholt. Minimal Techno mit Cello. Geht alles. Country übrigens auch.

Eine melodische Wendung gerät Hecker so folkig, dass man sofort an hutschwenkende Cowboys beim Squaredance denken muss. Sebi Tramontana schickt ein lang gezogenes Tuten hinterher; in Hörweite des Tanzbodens fahren offenbar auch Züge der Pacific Railway. Wenigstens schweigt das Küchenradio der Schranne, das beim vergangenen Jazzkonzert noch den Auftritt des MUC Art Chamber Trios grausam verpopdudelte. Diesmal bimmeln nur die Kirchenglocken der benachbarten Stadtpfarrkirchen, aber das muss man wohl als höhere Gewalt hinnehmen. Oder als Inspiration.

Sebi Tramontana weiß um die Kraft der Reduktion, manchmal reicht schon ein kunstvolles Schnaufen ins Posaunenventil oder expressive Bewegungen, ganz ohne Ton, solange das Publikum nur zuhört. Einmal sieht es so aus, als imitiere er einen Pfarrer, der sehr schwungvoll Weihwasser auf seine Gemeinde sprengt. Oder Kartoffelbrei. Das ist Interpretationssache, wie so vieles an diesem Abend. Der gebürtige Sizilianer setzt die Posaune ab, dekliniert englische Phrasen, singt, pfeift, zischt. Fragt nach einem Break eines Mitspielers: "Wieso das?" Phasenweise wird dieses Konzert zum Happening. Nur lustiger.

Kompositionen wie abstrakte Kunst

Das zweite Set ist schneller, dichter und dynamischer als das erste, es hat auch mehr Power. Es fordert von den Musikern auch allerhöchste Konzentration. Ob man die dabei entstehenden Stücke tatsächlich als Kompositionen betrachten will, hängt freilich davon ab, wie eng oder wie weit man den Begriff definiert: Dass hier ein klar umrissenes Thema nach festgelegten formalen Strukturen durchgespielt würde, kann man schwerlich behaupten. Die Instant-Kompositionen von HNT sind wie abstrakte Kunst: Vorrangig geht es um Raum, Struktur, Rhythmus, um Farbigkeit, Dynamik, Ausdruck, es ist eine Ästhetik ohne die vertrauten Schablonen des Figürlichen.

In Worte gefasst klingt das alles furchtbar verkopft, und doch ist dieses Konzert ein intensives sinnliches Erlebnis und keine Sekunde lang langweilig: Über weite Strecken lauscht man dem Trio fast atemlos, der klangliche Schönheit und Vielfalt wegen, mit der sie ihre Musik schmücken, mehr aber noch, weil die Stücke einen straff gespannten dramaturgischen Bogen haben. Was sich mit Spannung auflädt, muss sich mit großer Energie irgendwann und irgendwie entladen, und es kann gar nicht anders sein als spektakulär. Es ist Musik, bei der man mitfiebert, ein Abenteuer für die Ohren. Nach allem, was man mitbekommen hat, ist das Wagnis diesmal glücklich zu Ende gegangen. Niemand hat einen Hörsturz erlitten.

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