Dachau:Das Vermächtnis der Dachau-Überlebenden in die Zukunft tragen

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Der neue CID-Präsident Dominique Boueilh: Sein Vater Didier hat den "Todestransport aus Compiègne" überlebt. (Foto: Privat)

Dominique Boueilh übernimmt von General Jean-Michel Thomas den Vorsitz des Comité International de Dachau, der Vereinigung ehemaliger KZ-Häftlinge aus 40 Ländern.

Von Helmut Zeller, Dachau

Für den 66-jährigen Dominique Boueilh haben die "Contes de Dachau", die fast vergessenen Geschichten aus Dachau von Joseph Rovan (1918-2004) eine besondere Bedeutung. Der Münchner Jude war 1934 vor den Nazis nach Frankreich geflohen und hatte vor seiner Deportation in ein Konzentrationslager in der Résistance gekämpft. Dominique Boueilhs Vater Didier war mit Rovan in dem Transport, der am 2. Juli 1944, vier Wochen nach der Landung der Alliierten in der Normandie, nach Dachau ging.

Diesen "Todestransport aus Compiègne" bezeichnete der tschechische Historiker und Dachau-Überlebende Stanislav Zámečník (1922-2011) als einen der furchtbarsten Deportationszüge mit 2521 Gefangenen: 891 der Männer - einer anderen Quelle zufolge waren es 984 - überlebten die mehrtägige Fahrt in fast unbelüfteten Viehwaggons nicht. Sie waren erstickt. Didier Boueilh, damals 18 Jahre alt, kam davon. Wann immer sein Sohn Dominique Boueilh an Gedenkfeiern in der KZ-Gedenkstätte Dachau teilnimmt, wird die Erinnerung an seinen inzwischen verstorbenen Vater übermächtig. In diesen Momenten spürt der 66-Jährige die bittere Wahrheit des Satzes, dass jeder in der Geschichte gefangen ist und sie in ihm. Aber gerade das gibt ihm Kraft für die gewaltige Aufgabe, die vor ihm steht, nachdem er jetzt zum Präsidenten des Comité International de Dachau (CID) gewählt worden ist.

Entsetzen über den Ukraine-Krieg

Ende Februar hat er die Nachfolge von General Jean-Michel Thomas angetreten, der die Vereinigung ehemaliger KZ-Häftlinge aus 37 Ländern seit Juni 2015 geleitet und nicht mehr kandidiert hat. Der Wechsel im Präsidentenamt fällt in eine bedrückende Zeit. Das CID ist entsetzt: Wieder herrscht Krieg in Europa. Die Häftlingsvereinigung protestiert gegen den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, der eine klare Verletzung des Völkerrechts darstelle und die Existenz der Ukraine und den Frieden in Europa gefährde. Sein Ziel als Präsident ist es, wie Boueilh der SZ erklärt, das Vermächtnis der ehemaligen Dachau-Überlebenden in die Zukunft zu tragen - und wie schon seine Vorgänger im Amt auf Frieden und Freiheit hin zu wirken.

Dachau war der Anfang von Europa

Sein Vater Didier wog bei der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau am 29. April 1945 durch US-Soldaten nur noch 43 Kilogramm und war dem Tod nahe. Während seines Lebens danach verließ Didier Boueilh nie seine Felder und seine kleine Stadt im Département Gers im Südwesten Frankreichs. Mit einer Ausnahme: Er kehrte mehrmals nach Dachau zurück. "Diese Wallfahrten haben mir gut getan. Ich traf andere Überlebende. Gemeinsam versprachen wir, niemals zu vergessen, aber auch zu lernen zu vergeben. Ich konnte ermessen, welches Glück ich hatte. Die Älteren haben mir geholfen zu überleben. Als Bauer war ich auch an schwere Arbeit gewöhnt", sagte er einmal der Presse.

Der Vater gab Dominique Boueilh eine Vision mit, der auch der Historiker und Journalist Rovan sein Buch gewidmet hat: Er hat den unmenschlichen Alltag im Dachauer Lager eindrücklich beschrieben, ebenso den Widerstand der Gruppen von Gefangenen aus mehr als 40 Ländern und ihr Verhältnis zueinander analysiert. Das Buch Rovans, der als ein Architekt der deutsch-französischen Versöhnung gilt, vermittelt einen Einblick in die Entstehungsgeschichte des Vermächtnisses der KZ-Häftlinge: Dachau war der Anfang von Europa. Unter dem Naziterror entstand bei allen nationalen Unterschieden, sogar Feindseligkeiten, eine gemeinsame Vision von Menschlichkeit und einem freien Europa.

Die Zukunft der KZ-Gedenkstätte

In ersten Gesprächen mit dem Vizelandtagspräsidenten Karl Freller (CSU), Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, und der Gedenkstättenleiterin Gabriele Hammermann habe er, so Dominique Boueilh, den Wunsch bekräftigt, "die bisher sehr gute Zusammenarbeit mit den verschiedenen Akteuren im Dienst des Gedenkens an die Opfer des KZ Dachau fortzusetzen und zu stärken". Auch lege er viel Wert darauf, dem Projekt der Neugestaltung der KZ-Gedenkstätte Dachau besondere Aufmerksamkeit zu schenken und es zu unterstützen. Gerade dieses Projekt hängt derzeit in der Luft. Gedenkstätte und Stiftung warten auf einen definitiven Bescheid des Bundes zu einem Projektförderantrag, dem Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) in seiner jetzigen Form aber nicht zustimmt. Boueilh zufolge ist das Projekt in seinem "vielfältigen und innovativen Ansatz" nötig, um die Erinnerung an die Naziverbrechen für künftige Generationen zu gewährleisten.

Arbeitskollegen in Deutschland

Boueilh ist auch Präsident der französischen Lagergemeinschaft im CID und Generalsekretär der "Union des associations françaises de mémoire des camps nazis", deren Gründungsmitglieder die französischen Vereine und die Lagergemeinschaften von Buchenwald, Dachau, Mauthausen, Neuengamme, Oranienburg-Sachsenhausen und Ravensbrück sind. Seit 15 Jahren ist er Mitglied des CID-Vorstands. Boueilh arbeitete 40 Jahre lang bei "Airbus Defence & Space". In seinem Beruf hatte er viele Gelegenheiten, in europäischen Ländern zu arbeiten, besonders in Deutschland, in Ottobrunn, Manching, Ulm und Friedrichshafen.

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