Es war klar, dass die Zeit drängt. Trotzdem musste auch Albert Herbst, Sachgebietsleiter Kreisschulen und ÖPNV und ein Mann mit jahrelanger Expertise, zugeben, dass er mit dieser Menge an Neuanmeldungen an den Landkreisschulen - vor allem an den Gymnasien - für das Schuljahr 2021/22 nicht gerechnet hatte. "Heuer sind wir wieder überrascht worden, ich geb's zu." Und auch wenn die Prognosen für das kommende Schuljahr damit nicht zugetroffen haben, sondern noch übertroffen worden sind, lässt sich doch ein Trend in jedem Fall erkennen: Die Schülerzahlen werden bis 2030 nicht sinken - und die drei Landkreisgymnasien sind jetzt schon an ihrer Belastungsgrenze. Und so strebt die Verwaltung an, das Karlsfelder Gymnasium bereits im kommenden Jahr zu gründen und nicht, wie zunächst angedacht, lediglich sogenannte Vorläuferklasse an den bereits bestehenden Gymnasien zu bilden.
Die Besonderheit dabei: Weil der geplante Neubau in Karlsfeld bis dahin nicht fertig sein wird, soll die Schule zunächst in die Pavillons der Außenstelle des Josef-Effner-Gymnasiums (JEG) in der Steinstraße in Dachau ziehen. Vorgesehen sind zunächst sieben Klassen, wobei fünf später nach Karlsfeld umsiedeln sollen und zwei Klassen nach Röhrmoos, wo zeitgleich das fünfte Landkreisgymnasium entstehen und ebenfalls pünktlich zum Wechsel auf G 9 fertiggestellt werden soll.
Auch für den Fall, das es beim Bau des Gymnasiums zu Verzögerungen kommen sollte, sei man mit dieser Lösung gut beraten, befand Landrat Stefan Löwl (CSU): "Das ist der einzige planbare Weg." Wie Löwl den Kreisrätinnen und Kreisräten im Schul- und Kreisausschuss am Freitag mitteilte, habe man sich bereits mit dem zuständigen Kultusministerium abgestimmt. Ein finales Gespräch gemeinsam mit den beiden Oberbürgermeistern von Dachau und München, Florian Hartmann und Dieter Reiter (beide SPD), sowie dem Kultusminister Michael Piazolo (FW) ist für den 21. Juli anberaumt. Die Münchner die an den Kosten für den Bau der Schule in Karlsfeld auch beteiligt sind, seien an einer Gründung im kommenden Jahr auch interessiert, auch wenn der Schulweg für deren Schüler dann natürlich zwischenzeitlich ein weiterer wäre, so Löwl.
Auch seitens des Kultusministeriums erhofft sich der Landrat Unterstützung, obwohl es sich bei der Entscheidung, eine neue Schule zu gründen und diese vorübergehend an einem anderen Standort unterzubringen, zumindest seines Wissens nach um ein absolutes Novum in Bayern handle. "Alle sagen, es ist die einzige, sinnvolle Lösung - es hat bloß noch nie jemand gemacht." Aber es haben eben auch noch nie ein Landkreis zwei Schulen auf einmal gebaut.
Löwl ist der Meinung, dass diese Variante für alle Beteiligten "mit Abstand die billigste Lösung" wäre: Zwar müsse man zwei Jahre früher einen Schulleiter bezahlen, dafür spare man sich aber andere Kosten, etwa für einen Containerbau. Zudem sei das Vorhaben auch pädagogisch sinnvoll, weil sich schon frühzeitig eine Schulfamilie bilden könne, die dann gemeinsam in die neue Schule einziehen könne.
Für den unwahrscheinlichen Fall, dass eine Gründung vorab aus Sicht des Kultusministeriums gar nicht oder erst zu einem späteren Zeitpunkt möglich sei - laut Mitteilungsvorlage erlaubt das Ministerium eine eigene Schulleitung "jeweils erst ein Jahr vor der zuverlässigen Inbetriebnahme" der beiden Schulen - , werde man das Thema spätestens in der Sitzung am 15. Oktober noch einmal auf die Tagesordnung setzen, so Löwl, der auch versicherte: Pläne B und C lägen im Notfall bereits in der Schublade.
Die Neuanmeldungen an den Schulen für das bevorstehende Schuljahr hatten zu der spontanen Planänderung geführt: Wie Sachgebietsleiter Herbst erklärte, seien, Stand Mai, an den bislang drei Gymnasien in Dachau und Markt Indersdorf gleich vier zusätzliche Eingangsklassen zu verzeichnen. Damit steigt die Zahl der 5. Klassen von bislang 18 auf 22 an. "Das ist ein neuer Rekord", so Herbst. Ein schnelles Handeln sei so früher erforderlich geworden, als ursprünglich angenommen, "sonst stehen wir irgendwann mit dem Rücken zur Wand". Was der Grund für den enormen Anstieg der Übertritte ist, vermochte Herbst auf Nachfrage von Kreisrat Jonathan Westermeier (Linke/Partei) nicht eindeutig zu beurteilen.
Der ebenfalls anwesende ITG-Schulleiter Erwin Lenz erklärte sich den Anstieg der Neuanmeldungen zum einen damit, dass der Landkreis nach wie vor Zuzugsgebiet ist. Zum anderen äußerte er die Sorge, dass Grundschullehrkräfte aus einem coronabedingten Mangel an Beurteilungsmöglichkeiten im vergangenen Jahr die Entscheidung für den Übertritt häufiger als sonst den Schülerinnen und Schülern überlassen hätten. Diese "Versuchsübertritte" könnten den Gymnasien, so seine Sorge, in zwei bis vier Jahren Probleme bereiten. Gleichwohl betonte er, dass er seine Sorge nicht als Kritik an den Grundschulen verstanden wissen wolle. Er könne deren Dilemma gut verstehen und schätze deren schwere Arbeit ungemein.
Landrat Löwl indes versicherte, dass, wenn jeder, der könnte, auch tatsächlich an eines der Landkreisgymnasien übertreten würde, die Übertrittsquote längst bei mindestens 50 Prozent läge und nicht bei den gut 37 Prozent, die den Landkreis schon jetzt vor große Herausforderungen stellen.