Dachau:Jagd auf Bettler

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München und die Deutsche Bahn wollen die Roma vertreiben, Dachau aber macht da nicht mit

Von Helmut Zeller, Dachau

So eine S-Bahnfahrt zerrt mitunter schon an den Nerven: Überfüllte Waggons, verspätete Züge und was alles dem Pendler zwischen Dachau und München sonst an Ungemach widerfährt. Die Deutsche Bahn wirkt da eher hilflos. Aber in einem anderen Fall geht sie jetzt umso energischer vor: gegen Bettlermusikanten an Bahnhöfen und in S-Bahnen. Zwar stellen sie, wie erklärt wird, kein "Sicherheitsproblem" dar. Aber weg sollen sie doch. Das Münchner Kreisverwaltungsreferat will die organisierten Bettler aus der Stadt vertreiben, droht gar mit Haftstrafen von bis zu vier Wochen.

Derart drastische Maßnahmen stehen in Dachau nicht einmal zur Diskussion. "Angemessen und menschlich", sagt Hauptamtsleiter Josef Hermann, will die Stadt mit den Bettlern umgehen, die vor allem in der Münchner Straße Almosen erbeten. Kaum ein Dachauer, so Herrmann, beschwere sich über sie. Wenn doch, dann schaltet die Stadtverwaltung die Polizei ein. Die Rechtslage ist eindeutig: Organisiertes Betteln ist verboten, ebenso Betteln und Musizieren in Zügen und Bahnanlagen.

Dennoch bläst die Bahn jetzt geradezu zu einer Jagd auf Bettler, an der die Fahrgäste kräftig mithelfen sollen. "Im Schulterschluss mit den Sicherheitsbehörden informieren MVG und S-Bahn ihre Fahrgäste auch aktiv über den Umgang mit Bettelmusikanten. Seit heute laufen kurze Spots im Fahrgast-Fernsehen sowie auf den Infoscreens in den U- und S-Bahnhöfen. Die S-Bahn wird auch über Handzettel Tipps zum Umgang mit Bettelmusikanten geben", heißt es in einer am Mittwoch veröffentlichten Presseerklärung. Das Bahn-Volk könne jederzeit das Fahr- oder Sicherheitspersonal ansprechen oder über die Notfallsäulen in den Bahnhöfen herbeirufen.

Die organisierte Hatz hinterlässt einen bitteren Beigeschmack: Die Menschen, die in die Nähe von Kriminellen gerückt werden, stammen vor allem aus Ländern wie Rumänien oder der Slowakei - sie sind Roma, was aber tunlichst verschwiegen wird. Vielleicht deshalb, weil sie Nachkommen der Überlebenden des Genozids sind, den die Nationalsozialisten an ihrem Volk in Auschwitz und anderen Todeslagern verübten. Die Roma sind EU-Bürger, die in ihren Ländern von der Mehrheitsgesellschaft diskriminiert und von Nationalisten sowie Rechtsextremen verfolgt, attackiert und auch ermordet werden. Und die EU - Stichwort: Menschenrechtsverletzungen - lässt es geschehen.

Die Armut der Roma, die meisten bekommen keine Arbeit und leben in Slums, wird ignoriert. Vor allem, so die Bahn, solle man kein Geld geben. Dann würde die Bettelei aufhören. Das stimmt zwar nicht. Aber in der "Weltstadt mit Herz" soll die Armut unsichtbar gemacht werden. Auch die CSU-Kampagne "Wer betrügt, der fliegt" war gegen die Roma gerichtet - irgendwie hat das Land Probleme mit ihnen. Nicht das ganze Land: Dachau hat aus der Auseinandersetzung mit seiner Geschichte gelernt und auch Verständnis für die "blanke Not" (Hermann) der Bettler.

© SZ vom 08.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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