Süddeutsche Zeitung

Gesundheit:Der Ärztemangel schlägt sich im Landkreis Dachau nieder

Immer mehr Praxen im Dachauer Hinterland müssen dicht machen, weil sich keine Nachfolger finden für Mediziner, die in den Ruhestand gehen.

Von Thomas Hürner, Dachau

Zeit ist nicht immer nur Geld, findet Kurt Huttenloher. Für den Odelzhausener Hausarzt ist Zeit vielmehr gleichbedeutend mit Fürsorge und einem persönlichen Bezug zum Patienten. "Beides miteinander zu vereinbaren", sagt Huttenloher, "das ist auf dem Land schon eine große Herausforderung."

Es ist Mittagszeit, seit halb acht Uhr morgens steht er in seiner Praxis, eine kurze Kaffeepause war bisher nicht drin. Schnell was essen, dann geht's weiter zur Visite ins Altenheim, anschließend ist noch bis 19 Uhr Sprechstunde. "Das ist inzwischen unser täglich Brot", sagt Huttenloher und meint damit: Landärzte müssen privat schon zu Kompromissen bereit sein, damit sie heutzutage ihren Beruf gewissenhaft ausüben können.

Es gibt immer weniger Landärzte, auch im Landkreis Dachau

Es gibt immer weniger Landärzte, während die Anzahl der Patienten ungefähr gleich geblieben ist. Bundesweit fehlen schon jetzt rund 10 000 Ärzte. Das hat Andreas Gassen, der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), unlängst vorgerechnet. Hinzu kommt, dass es junge Mediziner eher in die Metropolen zieht. Auf dem Land schließen immer mehr Hausarztpraxen, da die Ärzte, die in den Ruhestand gehen, keinen Nachfolger finden. Die übrig gebliebenen Mediziner sind häufig überlastet, die Wartezimmer werden immer voller.

Auch Huttenloher kennt viele Kollegen, die vergebens nach einem Nachfolger suchen. Aber warum wollen Nachwuchsmediziner nicht aufs Land? "Für mich ist das unverständlich", sagt Huttenloher. Womöglich habe das mit neuen Präferenzen zu tun, mit Work-Life-Balance oder Vorbehalten gegenüber unternehmerischer Selbstständigkeit. "Die junge Generation will sich das nicht mehr aufbürden", sagt der Arzt aus Odelzhausen, "dabei kann dieser Beruf gerade auf dem Land etwas sehr Erfüllendes haben."

Petershausen sucht seit zwei Jahren einen Hausarzt

Die Gemeinde Petershausen sucht seit zwei Jahren einen Hausarzt. Statt der ehemals fünf Mediziner gibt es nur noch dreieinhalb. Die Konsequenz: "Die Ärzte müssen sich strecken, wo es geht", sagt Bürgermeister Marcel Fath (Freie Wähler). Die Suche sei nicht erfolgversprechend, weil viele junge Ärzte ein Angestelltenverhältnis bevorzugten. Fath sieht aber noch weitere Hürden: Die Suche nach passenden und barrierefreien Räumlichkeiten sei "höchstschwierig", sagt er. Die Problematik bestehe aber vornehmlich im Gesundheitssystem. "Das ist Licht und Schatten", sagt Fath und fügt hinzu: "Na gut, eigentlich schon viel Schatten."

Der Landtagsabgeordnete Bernhard Seidenath (CSU) bezeichnet den Mangel an Ärzten in Bayern als "ein Stück weit hausgemacht", weil es jahrelang verpasst worden sei, die notwendigen Studienplätze zur Verfügung zu stellen. Erschwerend hinzu komme, dass innerhalb der nächsten acht Jahre rund ein Drittel der Ärzte in den Ruhestand gehe. Folgt man Seidenath, dann könnten diese beiden Entwicklungen verheerende Auswirkungen haben. "Wenn die Hausärzte alter Schule abtreten", sagt er, "dann braucht es eineinhalb bis zwei Köpfe, um diese zu ersetzen." Die Lücke zwischen dem Bedarf und dem Versorgungsangebot könnte also bald eklatant werden. Außerdem, so Seidenath, würden junge Ärzte häufig weniger arbeiten als ihre älteren Kollegen aufgrund von unterschiedlicher Lebensphilosophien. "Rund um die Uhr für die Patienten da sein", sagt Seidenath, "wird vielleicht irgendwann nicht mehr die Regel, sondern die Ausnahme sein." Des Problems möchte sich Seidenath dennoch annehmen, erst kürzlich hat er ein 27 Anträge umfassendes Paket im Bayerischen Landtag gestellt. Neben einer Erhöhung der Medizinstudienplätze stehen vor allem die Attraktivität und die Förderung des Allgemeinarztberufs sowie ländlicher Regionen im Fokus.

Die Gemeinde Sulzemoos baute selbst ein Ärztehaus

Der Sulzemooser Bürgermeister Gerhard Hainzinger wollte nicht warten, bis die große Politik Lösungen präsentiert, sondern handelte selbst. Auf der Suche nach einem Hausarzt für seine Gemeinde sei er von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB) darauf hingewiesen worden, dass der Landkreis Dachau bereits "überversorgt" sei. Und rein zahlenmäßig stimmt das auch: Die Versorgungsquote für den gesamten Landkreis Dachau liegt bei etwa 110 Prozent. Die Aufgabe der KVB ist die Sicherstellung der flächendeckenden ambulanten ärztlichen, psychotherapeutischen und zahnärztlichen Versorgung. Der Blick richte sich aber auf den Landkreis insgesamt, kritisiert Hainzinger, "das geht am wahren Bedarf der Gemeinde vorbei".

Dass Gerhard Hainzinger heute trotzdem "sehr zufrieden" ist und von einer "guten Versorgung" für seine Gemeinde spricht, liegt vor allem daran, dass er damals selbst die Initiative ergriffen hatte. Die Gemeinde ging in Vorleistung und stellte ein Gebäude zur Verfügung, welches das Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) anschließend anmietete und seitdem betreibt. Dafür braucht es keine Zulassung von der KVB. In Sulzemoos arbeiten heute drei Ärzte. Hainzinger sieht das MVZ als Erfolgsmodell und Vorbild für andere Kommunen auf dem Land - vorausgesetzt es klappt dann auch mit der Suche nach Ärzten. "Viele Frauen studieren Medizin", sagt Hainzinger, "auf dem Land arbeiten wollen sie aber nur selten." Seinen Eindrücken zufolge würden es Frauen häufig bevorzugen, in einem Angestelltenverhältnis in Großstädten zu verbleiben und manche auch lieber nur halbtags zu arbeiten.

Dass zwischen dem Dachauer Stadtzentrum und dem Hinterland ein Missverhältnis besteht, bekommt auch Hans-Ulrich Braun, Vorsitzender des Ärztlichen Kreisverbandes, häufig zu hören. "Gerade im Norden tut man sich schwer", sagt er. Die Zulassung für seine eigene Praxis in Karlsfeld habe er vor zehn Jahren nur deshalb bekommen, weil die Versorgungsquote kurzzeitig unterschritten war. Karlsfeld, sagt Braun, befinde sich zwar im Wachstumsstreifen München und damit in einer sehr beliebten Region. Er sei sich aber sicher, dass eine Praxis auf dem Land "bestens laufen würde". Immerhin gebe es dort kaum Konkurrenz und auch die Mieten seien noch verhältnismäßig günstig. "Solche Dinge", sagt Hans-Ulrich Braun, "werden von jungen Kollegen häufig unterschätzt."

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Quelle:
SZ vom 27.04.2019
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