Süddeutsche Zeitung

Dachau:Im Goldrausch

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Weil das Edelmetall in Krisenzeiten als wertstabile Anlage gilt, boomt das Ankaufgeschäft. Doch wie vertrauenswürdig sind die Ankäufer? Ein Rundgang durch Dachau.

Andreas Glas

Da liegt er, der feuchte Traum jedes Goldankäufers: ein Armband, 18 Karat, 65 Gramm Gold. "Feuchter Traum" - das sagt Ludwig Stöckl wirklich, als er die rote Schmuckschatulle aufklappt. Er muss es wissen: Über dem Verkaufstresen hängt sein Meisterbrief, seit mehr als 30 Jahren ist er Goldschmied. Doch sein Geld verdient er zurzeit vor allem als Ankäufer. Wie viele Goldankäufer es inzwischen in Dachau gibt, ist kaum noch zu überblicken, "weil manche Geschäfte den Goldankauf nebenher betreiben. Aber gefühlt werden es immer mehr", sagt Stefan Wolf von der städtischen Wirtschaftsförderung. Fest steht: Es ist ein lohnendes Geschäft - jedenfalls für diejenigen, die ankaufen. Und für diejenigen, die ihren Schmuck oder ihr Zahngold verkaufen möchten? Ein Stadtrundgang soll zeigen, wie vertrauenswürdig Dachaus Goldankäufer sind.

29,30 Euro gibt es an diesem Donnerstagnachmittag für ein Gramm Gold. So steht es auf dem Leuchtschild im Schaufenster bei Juwelier Ludwig Stöckl in der Augsburger Straße. Ändert sich der Börsenkurs, ändert sich automatisch der Ankaufkurs auf dem Leuchtschild. Das passiert alle zehn Minuten. 1905 Euro würde Stöckl kurz vor 14 Uhr für das goldene Armband zahlen, das Testschmuckstück. Und wie viel Geld zahlt die Konkurrenz? Der Rundgang führt von der Augsburger Straße, die Martin-Huber-Treppe hinunter, in Richtung Bahnhof und von dort aus über Schleißheimer Straße und Karlsberg zurück in die Altstadt.

Erste Station: ein Schmuckgeschäft in der Augsburger Straße. Der Mann hinter dem Tresen klappt die Schatulle auf, sieht das Armband und grinst wie ein kleiner Junge an Weihnachten. Dann kneift er eine Lupe ins Auge und sucht den Prägestempel, auf dem die Karatzahl steht. Dass er den Stempel nicht findet, hat einen einfachen Grund: Die Prägung wurde entfernt. "Kein Stempel", murmelt er und grinst nicht mehr. Er legt die Lupe zur Seite und beginnt, die Kante des Armbands auf einem Stein zu reiben, bis sich ein goldener Strich abfärbt. Dann öffnet er eine kleine Holzkiste, in der sechs Fläschchen mit Salpetersäure stecken. Um die Legierung zu ermitteln, schraubt er den Deckel von einem der Fläschchen und tupft die Säure auf den Stein. Je höher die Legierung, desto besser widersteht der goldene Strich der Säure. Der Mann hinterm Tresen reibt und tupft und reibt und tupft, dann sagt er: "Es ist Gold, aber wie viel Karat, weiß ich nicht. Ich kann das nicht ankaufen, tut mir leid."

Zweiter Versuch, Martin-Huber-Straße. Wer den Laden betritt, steht in einem kargen Raum. Nur ein Schreibtisch steht hier drin, an der kahlen Wand hängt ein gerahmter Meisterbrief. Auf dem Tisch steht eine Goldwaage und auch das Holzkästchen mit der Salpetersäure. Der Mann, der hinter dem Schreibtisch sitzt, trägt Stirnglatze und eine randlose Brille. Eine Art fliegender Händler, der nur drei Tage die Woche in Dachau ist und dann wieder woanders. Auch er nimmt das Armband, reibt es auf dem Probierstein und tupft die Säure darüber. Es dauert keine Minute, dann sagt er: "Fünfzehnhundert Euro." Das sind 400 Euro weniger als Juwelier Stöckl bietet. Ziemlich wenig Geld, für einen, der in Werbeanzeigen mit den "fairsten Goldpreisen in Dachau" wirbt.

Dritte Station, Frühlingsstraße. "Sofort Geld in bar" heißt es auf dem Schild, das vor dem Laden steht. Eine Textilreinigung, in der auch Gold angekauft wird. Der Inhaber bittet freundlich darum, Platz zu nehmen. Er wiegt das Schmuckstück, macht mit einer Feile einen kleinen Kratzer in den Verschluss des Armbands und trägt mit einer Pipette die Salpetersäure auf. Dann tippt er auf einem Taschenrechner herum und sagt über das 18-Karat-Schmuckstück: "Das sind 14 Karat. Das wären 1170 Euro, aber ich gebe Ihnen 1200. Wenn Sie ja sagen, kann ich das gleich zahlen." Nein, danke.

Vierte Station, ein Uhren- und Schmuckgeschäft am Fuß des Karlsbergs. Hier muss man klingeln, erst dann summt es und die Tür öffnet sich. Es sieht aus, wie in einem Wohnzimmer der besseren Gesellschaft: edle, hochpolierte Biedermeiermöbel stehen hier, hinter dem Verkaufstresen geht es in die Schmuckwerkstatt. Das Geschäft gehört einem älteren Ehepaar, auch die beiden Enkel sind da und schauen sich das Armband neugierig an. Der ältere Herr verschwindet samt Armband in der Werkstatt. "Da ist ja gar kein Stempel drauf", hört man ihn rufen, bevor er zu feilen beginnt. Als er wiederkommt, bietet er 1200 Euro. 14 Karat hat seine Prüfung ergeben. Zu wenig.

Letzter Versuch, zurück in der Augsburger Straße. Seit gut einem Monat betreibt der Iraker Khaldun Al-Mindawy ein Schmuckgeschäft schräg gegenüber von Juwelier Ludwig Stöckl. Auch Al-Mindawy ist Goldschmied und in einer Juwelierfamilie groß geworden. Er begutachtet das Armband zuerst mit der Lupe, dann macht er den Säuretest und holt den Taschenrechner raus. Und siehe da: "Das sind 18 Karat", sagt er, "dafür kann ich Ihnen sofort 1925 Euro bezahlen." Dass Al-Mindawy etwas mehr zahlen würde als Ludwig Stöckl, kann mit dem Goldpreis zu tun haben, der in den vergangenen zwei Stunden leicht gestiegen ist. In jedem Fall ist der Iraker die große Ausnahme unter den fünf besuchten Goldankäufern - er macht an diesem Nachmittag das fairste Angebot.

Das Ergebnis des Stadtrundgangs: Für ein und dasselbe Schmuckstück bekommt man nicht überall in Dachau gleich viel Geld. Die Ankaufpreise schwanken zwischen 1170 und 1925 Euro - ein Unterschied von mehr als 750 Euro. Eine Menge Geld. Goldschmiedemeister Ludwig Stöckl überrascht dieses Ergebnis nicht: "So läuft das leider. Dass momentan Goldankäufer wie Pilze aus dem Boden schießen, hat auch damit zu tun, dass nur wenige Leute wissen, wie der Preis berechnet wird." Für viele Ankäufer ist diese Unwissenheit offenbar eine Verlockung, den Kunden über den Tisch zu ziehen.

"Am einfachsten kann manipuliert werden", sagt Stöckl, "wenn die Karat falsch zugewiesen werden" - auch auf dem Testrundgang haben zwei Ankäufer das Goldarmbad auf 14 Karat beziffert statt der tatsächlichen 18 Karat. Dass dies an fehlender Sachkenntnis gelegen haben könnte, glaubt Stöckl nicht: "Um Gold ankaufen zu dürfen, brauchen Sie zwar keine Ausbildung. Aber Sie können sich darauf verlassen, dass Ihr Gegenüber weiß, was er ankauft. Schon allein deshalb, um sein eigenes Risiko zu minimieren."

Angesichts der Gefahr, beim Goldverkauf viel Geld zu verlieren, rät Stöckl dazu, sich vorab zu informieren: über den tagesaktuellen Ankaufkurs und darüber, wie sich der Ankaufpreis zusammensetzt. Außerdem sei es ratsam, das Schmuckstück vorher selbst zu wiegen und mit dem Gewicht auf der Goldwaage des Ankäufers zu vergleichen. Denn oft werde nur ein Gesamtpreis genannt, über den Weg dorthin bleibt der Kunde im Ungewissen. Diese Vorkehrungen seien wichtig, da es "welche gibt, die nach Nasenspitze zahlen. Wenn Sie da einen unerfahrenen Eindruck machen, dann gibt es weniger Geld."

Dass man beim Goldkauf exakt jenen Goldpreis ausgezahlt bekommt, der an der Börse gehandelt wird, hält aber auch Ludwig Stöckl für eine Illusion: "Auch ich bin Geschäftsmann und nicht völlig uneigennützig." Der idealisierte Goldwert des getesteten Armbands liegt beispielsweise bei etwas mehr als 2100 Euro - und damit rund 175 Euro über dem Preis, den Stöckl und sein Kollege Al-Mindawy an ihre Kunden auszahlen würden. Denn neben dem eigenen Gewinnanteil muss jeder Ankäufer die Kosten aufschlagen, die ihm entstehen, wenn er ein Schmuckstück zu einer so genannten Scheideanstalt schickt, wo das Material geschmolzen und das Gold getrennt wird.

"Zur Zeit mache ich mehr kaputt als ich ganz mache", sagt Juwelier Stöckl über den aktuellen Gold-Boom. Mit anderen Worten: Statt eigenen Schmuck herzustellen, ist er vor allem damit beschäftigt, alten Schmuck in die Scheideanstalten zu schicken, wo er eingeschmolzen wird. Dass das Geschäft mit dem Goldankauf wieder abflaut, ist so schnell nicht zu erwarten. Im Gegenteil: Weil die Notenpressen der Zentralbanken immer heißer laufen, wird die Angst vor einer Inflation wohl noch zunehmen und immer mehr Menschen in die Läden der Goldankäufer treiben. Gold gilt in Krisenzeiten als relativ wertstabile Anlage - doch nur wer beim Verkauf von altem Schmuck, Besteck oder Zahngold vorsichtig ist, kann verhindern, dass der Goldverkauf zum Verlustgeschäft wird.

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Quelle:
SZ vom 17.11.2012
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