Abba Naor:"Ich glaube an die neue Generation"

Der Schoah-Überlebende Abba Naor betreut seit 13 Jahren einen deutsch-israelischen Schüleraustausch in Dachau.

Von Anna-Sophia Lang, Dachau

Auch in diesem Jahr war Abba Naor auf der Internationalen Jugendbegegnung einer der wichtigsten - und vielleicht auch witzigsten - Redner. Im Interview spricht der Israeli über das Tabu Dachau, den neuen Antisemitismus und die Erwartungen an Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD).

SZ: Herr Naor, die Hitze ist vorbei. Sie haben ganz schön darunter gelitten. Aber als Israeli sind Sie solche Temperaturen doch gewöhnt?

Abba Naor: Überhaupt nicht. So heiß wie es noch vor ein paar Tagen war, ist es auch in Israel nur selten. Aber Dachau ist schon meine zweite Heimat geworden, ich komme oft und gerne hierher, nur 1944/45 als jüdischer KZ-Häftling hat es mir nicht besonders gefallen. Aber wissen Sie, ich stamme aus Litauen und träume noch heute von den Wäldern, dem Regen und den strengen Wintern. Der Schnee knirschte so schön unter meinen Stiefeln.

Sie haben vor 13 Jahren den deutsch-israelischen Schüleraustausch initiiert. Eine Erfolgsgeschichte. Kostete Sie das damals viel Überwindung?

Für mich war Dachau tabu. Aber die Zeit heilt Wunden. Es war nicht einfach, die Jugendlichen aus Israel herzubringen. Es hat viel Kraft und Überredungskunst gekostet. Am Anfang wollte niemand kommen. Jetzt stehen sie Schlange, ich könnte jedes Jahr 50 Jugendliche mitbringen.

Eine der Jugendlichen aus Israel hat erklärt, sie habe Angst gehabt, nach Deutschland und Dachau zu kommen.

Das ist nur natürlich. Aber Dachau ist eine Stadt wie jede andere. Hier ist ein Konzentrationslager gebaut worden, weil es das Gelände und die Nähe zu München gab. Mit den Dachauern, schon gar nicht den heutigen, hatte das zunächst nichts zu tun.

Warum ist dieser Austausch so wichtig?

Wir sind ein kleines Volk und haben sehr wenige Freunde. Wir können es uns nicht leisten, jemanden abzuweisen, der uns Freundschaft anbietet. Wir sollten ein Beispiel für die Welt sein. In der Bibel steht: "Ihr sollt ein Licht für die Völker sein". Genau das ist es.

Jugendbegegnung

Der 87-jährige Abba Naor aus Israel spielt eine zentrale Rolle in der Vergangenheitspolitik der Stadt Dachau.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Ihre Initiative ist ein wesentlicher Bestandteil der Internationalen Jugendbegegnung. Wie hat sich die Begegnung im Lauf der Jahre entwickelt?

Sie hat sich mit den Leuten verändert, die sie gestalten. Manche sind sehr aktiv, manche machen ihren Job. Man muss sich schon einarbeiten in die Thematik. Das Problem ist: Früher saßen hier sechs, sieben Zeitzeugen. Max Mannheimer ist immer da gewesen, zwei Wochen lang. Dieses Jahr waren wir nur noch zu dritt. Das spürt man. Ich weiß nicht, wie viele wir nächstes Jahr sein werden.

Warum, glauben Sie, nehmen Jugendliche daran teil?

Diese Frage stelle ich ihnen immer. Es ist Sommer, sie haben Ferien, sie könnten genauso gut am Strand liegen. Die Antwort: Weil sie Interesse an der Vergangenheit haben und daran, was sie für die Zukunft bedeutet. Es ist ja ihre Zukunft.

"Schuldgefühle bringen einen nicht weiter."

Aber deutsche Jugendliche kommen kaum, vor allem aus Dachau niemand?

Das liegt an den Erwachsenen in Dachau, nicht an den Jugendlichen selbst. Sie sind immer in Dachau, jetzt haben sie Ferien und wollen raus, woanders hin. Man müsste sie ermuntern, an der Internationalen Jugendbegegnung teilzunehmen. Es gibt genug engagierte Lehrer und Vereinigungen. Die müssten das machen.

Deutsche Jugendliche sagen, dass sie Schuldgefühle hätten.

Schuldgefühle bringen einen nicht weiter. Wichtig ist, aktiv zu werden gegen die falschen Propheten und den Wert der Demokratie und des Lebens verstehen zu lernen.

Wie hat sich Deutschland verändert?

Abba Naor: 80 Jugendliche aus 30 Ländern nahmen dieses Jahr an der Internationalen Jugendbegegnung teil.

80 Jugendliche aus 30 Ländern nahmen dieses Jahr an der Internationalen Jugendbegegnung teil.

(Foto: Toni Heigl)

Für mich sind das heute andere Menschen. Sie beschäftigen sich mit der Vergangenheit ihres Landes und den Verbrechen, die ihre Vorfahren begangen haben. Ich sehe eine neue Generation. Und ich glaube an diese Generation. Ich bin sicher, sie wird es nicht zulassen, dass die Vergangenheit sich wiederholt. Splittergruppen wird es immer geben, aber diese neue Generation macht den Mund auf. Sie wird diesen Gruppen nicht erlauben, den Kopf zu erheben.

Dann steht es gut um die Erinnerungspolitik in Deutschland?

Die Vergangenheit ist "in". Das ist gut so! Jedes Jahr gibt es große Gedenkveranstaltungen, Angela Merkel, Joachim Gauck und andere Politiker kommen. Da wird viel Geld reingesteckt. Man will zeigen: Das ist das neue Deutschland. Wir wollen nicht vergehen. Wir erinnern uns.

Und wie sieht es in Dachau aus?

Von der bayerischen Erinnerungspolitik kann so manch anderes Bundesland etwas lernen. Hier wird viel investiert. Das ist tüchtige Arbeit, zum Beispiel was die Erhaltung der ehemaligen Außenlager betrifft. Da tut die Stiftung Bayerische Gedenkstätten viel Gutes. In Dachau war der ehemalige Oberbürgermeister Peter Bürgel mit Leib und Seele dabei.

Sein Nachfolger führt die Politik weiter. Wie schlägt er sich aus Ihrer Sicht?

Florian Hartmann probiert sein Bestes. Er ist noch jung. Er ist zur Jugendbegegnung gekommen, hat gesprochen. Er will den Austausch mit Israel erhalten. Ich hoffe, dass er sich für die Kooperation zwischen dem Amperklinikum und dem Kaplan Medical Center in Israel einsetzt. Es ist nur schade, dass er die Israelis nicht zu sich ins Rathaus eingeladen hat. Er sollte das tun, um ihnen klar zu machen, dass Dachau heute eine Stadt wie jede andere ist. Die Schüler würden das nach Hause tragen.

Aber erzählen sie zu Hause nicht auch vom erstarkenden Antisemitismus in Deutschland und Europa?

Jugend trifft sich

Abba Naor wurde als 13-Jähriger in das Ghetto im litauischen Kaunas deportiert, dann in das KZ Stutthof und in die Außenlager des KZ Dachau. Nach seiner Befreiung lebte er in Israel. Seit 2001 ist Abba Naor, heute 87 Jahre alt, Vertreter der ehemaligen Landsberg-Häftlinge im Vorstand des Internationalen Dachau-Komitees CID und tritt vor allem in Schulen als Zeitzeuge auf. Zur Internationalen Jugendbegegnung treffen sich seit 1983 junge Menschen aus der ganzen Welt für zwei Wochen in Dachau zu Workshops, Exkursionen und Zeitzeugengesprächen. sz

Antisemitismus wird nie verschwinden. Mal ist er laut, mal leise. Das hat auch mit dem wieder erstarkenden Nationalismus exklusiven Charakters in manchen Ländern Osteuropas zu tun. In Westeuropa wird die neue antisemitische Welle von Muslimen - aber nicht von allen, möchte ich betonen - getragen. Es leben kaum mehr Juden in Europa. Und sie haben immer den Staat Israel als Garanten.

Wie empfinden Sie deutsche Kritik an Ihrem Heimatland Israel?

Das ist versteckter Antisemitismus. Israel ist eine starke Macht im Nahen Osten. Es ist ein normales, demokratisches Land. Die Länder drumherum werden von Cliquen gesteuert, mit ihnen geht man anders um. Doch wie soll sich Israel verhalten, wenn Autobomben gezündet werden und Jugendliche ermordet werden? Die Berichterstattung in Deutschland ist nicht immer korrekt. Aber auch die Extremisten auf jüdischer Seite sind gefährlich.

Laut einer Bertelsmann-Studie vom Januar wollen 81 Prozent der Deutschen die Geschichte der Judenverfolgung hinter sich lassen.

Ich glaube nicht, dass das stimmt. Nach den Erfahrungen, die ich mache, den Kindern, Jugendlichen und Lehrern, die ich treffe und mit denen ich spreche, kann ich mir das nicht vorstellen.

Diese Frage hören Sie sicherlich oft: Was kommt nach den Zeitzeugen?

Dann müssen sich die zuständigen Leute Gedanken machen. Man muss sich vorbereiten, Erzählungen aufschreiben, Interviews führen, dokumentieren. Das, was jetzt schon gemacht wird. Ich hoffe, dass die Vergangenheit auf der Tagesordnung bleibt. Das braucht es für die Zukunft. Die Welt ist nicht in Ordnung. Wenn man eine bessere Generation will, muss sie aus der Vergangenheit lernen.

Bekommen Sie in Zeitzeugengesprächen immer die gleichen Fragen gestellt?

Die Fragen sind ähnlich, aber sie werden anders gestellt. Es kommt darauf an, wo ich die Leute treffe, wo sie herkommen, wie alt sie sind. Je nachdem, wie die Frage gestellt wird, ist auch die Antwort eine andere.

Welche Rolle spielt das Alter?

Die Jugendlichen hier bei der Jugendbegegnung sind sehr zurückhaltend. Sie wollen mich mit ihren Fragen nicht verletzen. In den Schulen mit jüngeren Kindern ist das anders. Da werde ich manchmal gefragt: Waren Sie bei der Hitlerjugend? Haben Sie Hitler gesehen?

Verletzen Sie solche Fragen?

Nein. Ich bin nicht aus Porzellan. Ich habe zu viel erlebt und gelitten und bin mit allen Schrecken konfrontiert worden.

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