Auf ein Jahrhunderthochwasser war Altomünster vorbereitet, nicht aber auf eine Jahrtausendflut. 151 Liter Wasser pro Quadratmeter prasselten nach Daten des Deutschen Wetterdiensts von Samstag- bis Montagmorgen auf die Marktgemeinde nieder, das war mehr als in den vom Hochwasser besonders betroffenen Landkreisgemeinden Markt Indersdorf und Petershausen – und der zweithöchste Wert in ganzen Bayern. Und Bürgermeister Michael Reiter ist sich nicht mal sicher, ob die Zahl stimmt – nach den Messungen im Ort müsste es noch mehr gewesen sein.
„Wir haben gekämpft“, erzählt er am Montag am Telefon. Zeit, um auf den Katastrophenschutz zu warten, hatten sie nicht. Das Wasser stieg, und es war schnell klar, dass selbst die erst 2018 erhöhte Hochwasserschutzanlage die Fluten nicht abhalten kann. Einem Aufruf folgten spontan 100 Leute, sie befüllten und stapelten Sandsäcke; den Sand dafür lieferte das örtliche Betonwerk. Bauunternehmer und Landwirte karrten die Säcke an. 1500 davon hatte die Gemeinde auf Vorrat, doch das waren viel zu wenige, um großflächige Überflutungen zu verhindern. THW und Feuerwehr waren im Dauereinsatz, auch Reiter, der bei der Feuerwehr eigentlich nur Fördermitglied ist, packte mit an. Rund 30 Stunden habe er am Wochenende in Gummistiefeln gestanden. Dazwischen: zweieinhalb Stunden Schlaf.
Von einem Bürgermeister könne man das erwarten, findet Reiter, qua Amt ist er ja für Altomünster verantwortlich. Aber die große Hilfsbereitschaft im Ort, die findet er schon außergewöhnlich, auf Facebook postete er dafür ein „herzlichstes Dankeschön“ – und das, wo er doch eigentlich „kein Fan von Social Media“ ist. Das Schlimmste konnte mit der gemeinsamen Kraftanstrengung verhindert werden. „Wir sind mit einem blauen Auge davongekommen.“ Die Sandsäcke bleiben trotzdem erst einmal da liegen, wo sie sind. Falls es doch wieder losgeht mit dem Regen.
Manche Feuerwehrleute waren 20 Stunden am Stück im Einsatz
Was die Freiwilligen Feuerwehren in diesen Tagen des fast pausenlos prasselnden Regens geleistet haben, hebt auch Richard Reischl, Bürgermeister von Hebertshausen, in einem Facebook-Post hervor. Die Leistungsbilanz allein der vier Wehren in seinem Gemeindegebiet: insgesamt 63 absolvierte Einsätze mit rund 3400 Helferstunden. Teilweise hätten die Feuerwehrleute bis zu 20 Stunden am Tag gearbeitet. „Ich bin sehr froh, solch schlagkräftige Wehren bei uns in der Gemeinde zu wissen“, schreibt Reischl.
Noch immer ist kaum zu überblicken, wie groß die Schäden durch die Wassermassen im Landkreis eigentlich sind. Mehr und mehr zeigt sich aber, dass auch die, deren Keller nicht vollgelaufen sind, die Auswirkungen zu spüren bekommen werden. Etwa, weil öffentliche Einrichtungen oder Vereine nicht oder nur noch teilweise funktionieren.
Auch das Vereinsgelände des TSV Indersdorf wurde geflutet. „Das Umkleidegebäude stand ungefähr einen Meter unter Wasser“, erzählt der 1. Vorsitzende, Bernhard Wetzstein – samt Heizung. Erst seit Kurzem gebe es wieder Strom auf dem Gelände. Beträchtliche Schäden seien dennoch nicht zu verzeichnen gewesen, der Kunstrasen habe dem Hochwasser standgehalten und sei lediglich an einigen wenigen Stellen beschädigt worden. Nass ging es auch dem ASV Dachau rein. Wie der Sportverein am Dienstag auf seiner Facebook-Seite bekannt gab, seien aber nur geringe Mengen an Wasser in den Keller eingedrungen, das vereinseigene Hausmeisterteam habe alles im Griff. Der normale Trainingsbetrieb könne fortgesetzt werden.





Davon kann bei der Boxschule Dachau nicht die Rede sein. Sie hat ihren Sitz in Günding, zwischen Maisach und Amper. „Die Boxschule war mal kurz eine Schwimmschule“, sagt Kathrin Wimberger. Die Mitbegründerin der Schule kann sich nur in Humor flüchten. Neben dem Boxkeller habe das gesamte Mattenarsenal sowie der Vinyl – und Heizungsboden der Schule unter Wasser gestanden. Das hat sie mitgenommen. „Ich habe in den letzten beiden Nächten praktisch nicht geschlafen“, sagt sie. Wie hoch die Schäden wirklich sind, lässt sich noch gar nicht beziffern.
Zuversicht habe ihr lediglich die große Solidarität und tatkräftige Unterstützung seitens der Boxmitglieder gegeben. Nach einer kurzen Nachricht in einer gemeinsamen Whatsapp-Gruppe seien innerhalb von anderthalb Stunden beinahe 25 Helfende zusammengekommen, die mit Eimern, Schippen und sogar Schneeschaufeln gegen die Wassermassen angekämpft hätten.
Der „Brazilian Jiu Jitsu Dachau“, der im ersten Stock des Gebäudes trainiert, ist vom Hochwasser verschont geblieben. Die Kampfsportler haben der Boxschule eine Ausweichmöglichkeit angeboten, fortan sollen einige Trainingseinheiten des Jiu-Jitsu verschoben und gestreckt werden, das Boxtraining fällt daher nicht komplett ins Wasser. Das hat den Club erst einmal gerettet. Am kommenden Donnerstag soll der Betrieb weitergehen.
„Wenn wir jetzt schließen, bedeutet das für uns einen Totalschaden“
Erst vor zwei Jahren eröffnet hat die Kletterhalle der „Naturfreunde“ in Dachau, mit einem überdachten Außenbereich, Boulderrouten auf mehreren Etagen und über 220 Seilkletterrouten. Hier droht jetzt ein großflächiger Schimmelbefall, berichtet Geschäftsführer Pablo Quevedo. Das steigende Grundwasser habe die Klettermatten durchnässt und in dem Gebäude erheblichen Schaden angerichtet. Trotzdem haben sich die Naturfreunde entschieden, Haus und Außenbereich weiterhin für Kletterbegeisterte zu öffnen. Eine andere Wahl hat Quevedo kaum: „Wenn wir jetzt schließen, bedeutet das für uns einen Totalschaden.“
Am Wochenende hatte der Verein einen Hilferuf auf Facebook veröffentlicht. Fotos zeigten den überfluteten Bereich um den Kletterblock. Bereits nach einer halben Stunde hätten sich auch hier 40 Helfer versammelt, die tatkräftig anpackten und sogar Pumpen und Sauggeräte mitbrachten. Vorübergehend geschlossen ist jetzt nur die Boulderhalle im Erdgeschoss, weil die nassen Bouldermatten entfernt werden müssen. Der sinkende Grundwasserpegel gibt ihm Hoffnung, dass die Helfer in den kommenden Tagen die noch ausstehenden Aufräumarbeiten abschließen können.
Als das Grundwasser in den vergangenen Tagen stieg und den Boden des Caritas-Gebrauchtwarenmarkts in Dachau bedeckte, konnte deren Leiterin, Julia Geisenhofer, dank zahlreicher Helfer noch rechtzeitig handeln, um größeren Schaden zu verhindern. Zahlreiche Klienten eilten herbei, stellten Möbel höher und beförderten mit einer hauseigenen Pumpe das drei Zentimeter hoch stehende Wasser ins Freie. Geisenhofer zeigt sich zuversichtlich, dass der Gebrauchtwarenmarkt kommende Woche wieder öffnen kann.
Besucher der Gedenkstätte werden umgeleitet
Auch an der KZ-Gedenkstätte Dachau sind die sintflutartigen Regenfälle nicht spurlos vorbeigegangen: „Am Wochenende musste wegen des hohen Pegels der Würm temporär der Zugang zum ehemaligen Krematoriumsbereich eingeschränkt werden“, teilt Pressesprecherin Verena Bierl auf Anfrage der SZ mit. Aktuell stehe im Keller des ehemaligen Wirtschaftsgebäudes Grundwasser, weswegen der vordere, westliche Teil des Museums geschlossen bleiben müsse. Der Zutritt zum Ostteil des Museums erfolge über alternative Eingänge und sei auch barrierefrei möglich. Die Einschränkungen werden voraussichtlich noch einige Tage bestehen bleiben.
In den vergangenen Jahren war auch die Versöhnungskirche auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte oft von Überschwemmungen betroffen. Angelegt ist die Kirche als Weg, der langsam in die Tiefe führt. „Diesmal sind wir verschont worden“, sagt eine Mitarbeiterin der Kirche. Das gehört auch zu den Katastrophen: dass es immer wieder kleine Wunder gibt.